Vielen Dank für die Blumen

„Wenn Ihnen ein Fremder plötzlich Blumen schenkt, könnte das an ‚Impulse‘ liegen“, hieß ein Werbeslogan in den 80er Jahren für ein Mädchendeo. Im Falle von Frank Meyer gibt es eine andere Erklärung. Trotz der vier neuen verlockend klingenden Geruchsvarianten „Sweet Love“, „Party Star“, „Vanilla Kisses“ und „Happiness“ des immer noch erhältlichen Achselsprays dürfte sich unser Stadtschreiber einen erwachseneren, maskulineren Duft unter die Arme sprühen. Außerdem bekam er die Blumen von keinem Fremden geschenkt, sondern von seinem Vermieter, der damit ganz andere Absichten verfolgte, als sich von Herrn Meyers Wohlgeruch betört zu zeigen.

TRIER. Es lässt sich kaum verbergen, dass ich eigentlich ein echtes Landei bin. Aber allmählich beginne ich mich an die Gesetze der Großstadt zu gewöhnen – lerne die Sitten kennen in meiner „hood“. So wurde ich zum Beispiel vor ein paar Tagen von meinem Vermieter zwangsgeranisiert. Das war aber gar nicht sooo schlimm.

Von Blumen verstehe ich noch weniger als von Heiligen. Mit etwas Glück kann ich gerade einmal Rosen und Sonnenblumen auseinanderhalten, ansonsten weiß ich über Blumen nur, dass sie schön bunt sind und gut riechen, man sie aber in der Regel nicht essen kann. Warum sollte ich mich also für Blumen interessieren?

Ich hätte jedoch argwöhnisch werden müssen, als vor ein paar Tagen mehrere Blumenkästen mit so roten Dingern drin vor meiner Tür standen. „Das sind Ihre Geranien!“, erklärte mein Vermieter. Was zum Teufel sind und vor allem was soll ich mit Geranien? Und wieso „meine“ Geranien? Hatte ich gestern Abend im Kesselstatt so viel getrunken, dass ich irgendwo Geranien bestellt habe? Nie im Leben!

Wie ich erfuhr, herrscht in dem Haus, in dem ich jetzt wohne, ganz einfach Geranienpflicht. Die Geranienkästen kommen auf die Fensterbänke! Außen! Ach so. Die Geranienpflicht bedeutet übrigens nicht, dass ich die Blumen selber kaufen muss – die Geranien samt Kästen werden von der Hausverwaltung kostenlos zur Verfügung gestellt. Man hat dann als Mieter lediglich eine Pflegepflicht. Das ist so was Ähnliches wie Unterhaltspflicht nur mit Wasser statt mit Geld.

Ich hab keine Ahnung, wie man dafür sorgt, dass Geranien mehrere Wochen am Stück überleben… also hab ich die Frau vom Meier Kurt, „es“ Meier Hildegard, gefragt. Hildegard spricht diese Blumensorte „Scheranien“ aus (genauer gesagt: Scheraaanien), was doch gleich viel freundlicher klingt und weniger angsteinflößend.

„Hildegard, die haben mich in Trier zwangsscheranisiert“, klagte ich ihr weinerlich mein Leid.

„Dat schad dir mol garnix“, meinte sie streng.

Offenbar war sie der Meinung, Männer sollten sich auch in der Blumenpflege auskennen (musste ich mir deswegen Sorgen um den Meier Kurt machen?).

Jedenfalls ging ich bei Hildegard in einen circa 45-minütigen Crash-Kurs, in dem ich alles lernte, was man für eine ordentliche Power-Scheranisierung brauchte: Wann wieviel Wasser, womit und wie häufig düngen (dabei wurde das Scheranien-Dünger-Rezept, das Hildegard von ihrer Großmutter hatte, erstmalig außerhalb der direkten Erblinie weitergetratscht), dabei die Mondphasen beachten usw… ich will ja nicht alle Geheimnisse ausplaudern.

Erst jetzt fällt mir auf, wie viele Scheranien es in Trier gibt. Und ich hatte mich immer gewundert, warum so viele Häuser eiserne Halterungen auf den Fensterbänken haben. Meine Wohnung hat die auch. Trier darf wohl getrost als scheraniengerechte Stadt bezeichnet werden (gibt es diesen Titel schon? Existiert ein staatlich anerkanntes Prüfsiegel dafür? Was – noch nicht? Dann wird’s aber Zeit!)

Kennen Sie das: Man beschließt, sagen wir mal, sich einen gelben VW Polo zu kaufen, und erst dann fällt einem auf, dass die Stadt voller gelber Polos ist, die Sie vorher alle nicht gesehen haben? Nein, Sie kennen das nicht? Strengen Sie sich ein bisschen an, verdammt nochmal – dieser Effekt funktioniert auch mit Ihrem silbernen Opel Astra! Ich jedenfalls sehe jetzt dauernd Scheranien in Trier, die mir vorher nie aufgefallen sind.

Aber ach, Masse bedeutet noch nicht Klasse! Herrje, was gibt es doch für Scheranienstümper! Die düngen wohl nicht mit Oma Meiers selbstangesetzter Brennesseljauche! Achten Sie mal bewusst darauf, wenn Sie das nächste Mal in Trier unterwegs sind. Lassen Sie den Blick ruhig mal über die schönen alten Häuserfronten schweifen. Sie werden bemerken, dass Sie Scheranien entdecken, die durchaus, naja, bemitleidenswert in ihren Kästen hängen. Und dann gibt es noch die kraftstrotzenden, im Blütenstand leicht überdimensioniert wirkenden, power-farbleuchtenden Mega-Scheranien. Wenn Sie solche Scheranien entdecken, sind das bestimmt… meine! (Oma Meiers Brennesseljauche, sag ich nur!).

Tja, wenn ich schon zwangsscheranisiert werde, will ich wenigstens Top(f)-Profi werden. Außerdem kommt „es“ Meier Hildegard demnächst zu einer Kontrollbesichtigung. Danach darf ich mit dem Meier Kurt zum Kesselstatt Wein trinken gehen.

Also lieber Vermieter: Ich gebe zu, manchmal muss man zu seinem Glück eben gezwungen werden. Denn wer weiß: Wenn ich dereinst weh- oder reumütig auf die Stadtschreiberzeit zurückblicke, denke ich vielleicht an die besten Geranien meines Lebens.

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