Nix los beim „Heiligen Rock“?

Für den dritten Teil seiner kolumneninternen Reihe „Zweifler trifft Pilger“ sammelte Frank Meyer Eindrücke von der Zugänglichkeit des „Heiligen Rockes“. Ist es sinnvoller, das Gewand in Augenschein zu nehmen, wenn man alleine ist oder mit vielen Mitinteressenten? Und falls man zu einer Schlange gehört – mit wem ist das Warten und die Wahrnehmung der Reliquie am erfülltesten? Unser Stadtschreiber hat eindeutige Antworten.

TRIER. An einem Montag Ende April 1996, gegen halb eins, war nix los beim „Heiligen Rock“. Das behauptet zumindest mein Informant, der Backes Herrmann.

Kaum hat man mal zwei Kolumnen zur Heilig-Rock-Wallfahrt geschrieben, schon wird man als Experte beschimpft. „Du musst das doch wissen!“, beschweren sich Bekannte und Verwandte, wenn ich achselzuckend auf die Frage reagiere, wann man den „Heiligen Rock“ sehen könne, ohne lange Schlange stehen zu müssen. Obwohl, es gibt da offensichtlich Experten: Gestern kamen mir in der Weberbachstraße ein paar Leute entgegen, und einer davon fragte die anderen: „Geh‘ ma dann net noch de Kiedel gucken?“ – Antwort: „Klar geh‘ ma noch de Kiedel gucken, awwer schbäder, dann ass dao neist los.“

Wie? Ich dachte beim Heiligen-Rock-Gucken geht es gerade darum, dass was los ist und dass das Schlangestehen die einzig wahre Vorbereitung auf die Begegnung mit der Reliquie ist. (Wenn man doch nur was zu essen in die Schlange mitnehmen könnte, eine Klappschmier wenigstens, aber das geht natürlich nicht, weil man damit nicht in den Dom darf.)

Der Backes Herrmann jedenfalls (ein Großneffe vom Meier Kurt übrigens) hat sich 1996 gedacht: Ich geh‘ da montags hin, da ist am wenigsten Betrieb, und am besten über Mittag, da sitzen alle vorm Pilgerteller. Er also so um halb eins zum Dom und… NIX! Neist los! Keine Pilger. Nicht ein einziger. „Vielleicht sind ja ein paar im Dom“, dachte Herrmann. Aber er konnte einfach direkt bis zum Schrein durchlaufen. Er war offenbar der einzige, der an jenem Montag um halb eins den „Heiligen Rock“ sehen wollte.

Bei mir war das vergangenen Mittwoch ganz anders: Da war Kindertag und es sprangen Milljuuunen Mini-Pilger vorm Dom rum. Ich hab mich der Tiger-Gruppe angeschlossen. Die Tiger waren alle fünf oder sechs Jahre alt, trugen weiße Mützen mit dem Kita-Namen drauf und hatten zwei coole Erzieherinnen dabei. Echte Tigerbändigerinnen!

Wie wunderbar unbeeindruckt vom „Heiligen Rock“ die Kiddies waren! Eigentlich war sonst alles um sie herum „Wow!“ und „Oh, guck mal“: der Dom, die bunten Pilgerstäbe (nein, die darf man nicht mitnehmen!), die Kerzen zum Anzünden, der Spielplatz im Palastgarten, das Eis, der große Konstantin-Fuß im Innenhof der ADD, der Rokokosaal und der Theaterworkshop… das war alles super. Aber der „Heilige Rock“, der war völlig unspektakulär.

„Habt ihr euch das Gewand von Jesus Christus nicht so vorgestellt?“
„Nö.“
„Wie, ’nö‘? Wie habt ihr euch die Tunika denn vorgestellt?“
Alle durcheinander: „Weißer“ – „Dunkler“ – „Kleiner“ (dazu sag ich jetzt mal nix) – „Nein, größer“ (noch größer?) – „Ordentlicher“ (?!? Ist damit gemeint: gebügelt?) – „Und wo können wir jetzt unsere selbstgebastelte Kerze abgeben?“ Ende der Heilig-Rock-Diskussion. – Mir scheint, die Kids setzen die Prioritäten noch richtig.

Der Herrmann jedenfalls dachte sich damals: „So nicht!“ und hat – statt rumzujammern von wegen „nix los“ – einfach im Dom gewartet, bis sich eine halbwegs brauchbare Schlange bildete. Er hat erst eine Gruppe aus der Eifel vorgelassen, dann ein paar Schüler, die mit ihrem Lehrer kamen, und auch noch ein munteres Grüppchen spanisch sprechender Pilger. Als er sich dahinter anstellte, hatte er das Gefühl, endlich ordentlich zum „Heiligen Rock“ zu gehen. Eine Spanierin, die etwas Deutsch konnte, drehte sich zu ihm um und wollte wissen, ob er sich in Trier auskenne. Nicht zuletzt ihre gurrenden „rrr“-Laute und säuselnden „s“-Töne bewirkten, dass dem Backes Hermann beinahe so schwindlig wurde wie sonst nur von zu viel Weihrauch. Er ertappte sich bei Gedanken, die er besser rasch wieder verdrängen sollte, wenn er reinen Gewissens vor die Tunika Christi treten wollte. Aber als er den Dom wieder verließ, hatte der Herrmann dann doch die meiste Zeit nach dem falschen Rock geschaut. Sowas passiert mir nie.

Am Samstag bin ich beim Schlangestehen (70 Minuten!) dann an eine Agnostikergruppe geraten. Selbst die fahren wall. Wer etwas völlig Unromantisches tun will, sollte es wirklich mal mit Agnostiker-Pilgern probieren! Da ist es dann auch egal, ob die Warteschlange kurz oder lang ist. Was wollen diese Agnostiker eigentlich? Genau: sich vor einer Entscheidung drücken! Da lobe ich mir den aufrechten Atheisten oder den überzeugten Gläubigen. Ja oder nein. Basta! Immer dieses „Ei, woher soll ich denn wissen, ob es Gott gibt?“! Immerhin stand die Agnostikergruppe mit exakt demselben ergebnisoffenen Stirnrunzeln vor der Karl-Marx-Unterhose wie vorm „Heiligen Rock“. Wenn schon nicht wissen, wo das Weltheil herkommen soll, dann wenigstens in alle Richtungen zweifeln! Aber verheißungsvoll gegurrt haben die Agnostiker nicht.

Der Backes Herrmann, der hat’s richtig gemacht! Er hat der Spanierin dann noch Trier zeigen dürfen. Er blieb zwar sehr vage, als ich ihn fragte, was er ihr in Trier so alles gezeigt hat… aber sie mailen sich heute noch. Da hat die Warteschlange zusammengeführt, was vorher gar nicht wusste, dass es sich finden sollte. Deshalb empfehle ich ab jetzt allen, die unvorsichtigerweise mich als Experten konsultieren: Nicht ausgerechnet dann zum „Heiligen Rock“ gehen, wenn da grad „neist los“ ist, sondern sucht euch eine spannende Warteschlange!

Kolumne vom 17.04.2012: „Eine Nummer zu groß?„.
Kolumne vom 10.04.2012: „Wallfahrst du noch oder pilgerst du schon?„.

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