Meyer in Weimar
Gefühlt ist Trier Deutscher Meister im Städte-Partnerschaften-Haben. Vielleicht sogar Europameister. Wenn man von Igel her kommend nach Trier reinfährt, fällt jedenfalls auf, dass der Gedenkstein, in den sämtliche Städtepartner eingemeißelt sind, viel größer ist als das Ortsschild. Mag sein, dass es noch ein paar Städte gibt, die „brutto“ mehr Städtepartnerschaften haben. Köln oder Berlin zum Beispiel. Aber ich kann mir kaum vorstellen, dass es irgendwo eine höhere „Pro-Kopf-Städtepartnerschaft“ gibt als in Trier. Auf die Einwohnerzahl umgerechnet müsste Köln zum Beispiel 80 Städtepartnerschaften haben, und Berlin 275. Und? Schafft ihr das, Berlin und Köln?
WEIMAR/TRIER. Das mit den Städtepartnerschaften hat, wenn ich das richtig verstanden habe, ja eine Jahrtausende alte Tradition an der Mosel. Schon Kaiser Konstantin hat in Trier, Rom und Byzanz rumresidiert, so dass es damals schon so ’ne Art Dreiecks-Städtepartnerschaft gab. Dafür musste der Ortsschildmacher aber noch nicht so doll meißeln. Im Mittelalter ist das mit den Partnerschaften dann etwas eingeschlafen, weil man sich doch nur gegenseitig die Pest eingeschleppt hätte.
Heute sind Städtepartnerschaften wieder voll im Trend und deshalb hat Trier auch gleich acht davon! (Na, zählen Sie die mal der Reihe nach auf. Klappt das?) Eine der Partnerstädte war wohl ein Versehen, denn eigentlich hat man ja nur Städtepartnerschaften im Ausland. Trier hat aber eine in Thüringen, nämlich Weimar. Thüringen ist nicht Ausland. Thüringen ist höchstens „anders“ (was keinesfalls negativ gemeint ist). Kaum hatte man 1990 diese Städtepartnerschaft in trockenen Tüchern, schwupps: Schon war’s gar nicht mehr Ausland.
Obwohl Weimar viel weniger exotisch ist als zum Beispiel Fort Worth, Nagaoka oder Ascoli Piceno, ist es eine wirklich beliebte Partnerstadt. Auch zum selber hinfahren. Ich war ja schon in wunderbaren Partnerstädten wie Pula, Gloucester, s-Hertogenbosch und natürlich auch in Metz. Und jetzt war eben Weimar dran.
Dass Trier Städtepartner ist, merkt man gleich daran, dass eine der Hauptverkehrsadern, eine im Westen der Stadt liegende Einfallstraße, „Trierer Straße“ heißt (man muss kerngesund und sehr reaktionsschnell sein, wenn man sie als Fußgänger lebend überqueren will).
Ein bisschen neidisch sein kann man schon auf Weimar. Die haben Goethe, Schiller und Herder, und wir haben nur Karl Marx, Kaiser Konstantin und Guildo Horn. Obwohl man sagen muss, dass in Trier die thematische Verteilung bei den Berühmtheiten breiter gestreut ist.
Immerhin hat Goethe nicht nur gedichtet, sondern auch den Ginko erfunden – das ist ein Baum, dessen Blätter als Tee getrunken die Konzentrationsfähigkeit fördern. Aber das Holz des Ginko (oder heißt es „des Ginkos“?) eignet sich nicht zum Grillfeuermachen, also sooo super ist die Erfindung nun auch wieder nicht. Trotzdem kann man in Weimar alle paar Meter Mini-Ginkos (oder heißt das „Mini-Ginken“?) kaufen. Und Thüringer Bratwurst gibt’s ebenfalls an jeder Straßenecke. Man kommt also kulinarisch ganz gut zurecht und muss keine Würste mitnehmen, wenn man nach Weimar fährt. (Das wäre wie Heilige Röcke nach Trier tragen!). Außerdem gibt’s in Weimar die Kabarett- und Musikkneipe „Sinnflut“ – so ’ne Art Tufa in klein – wo man prima versacken kann, wenn man sich den ganzen Tag lang die Weimarer Klassik um die Ohren gehauen hat. Und damit ich irgendetwas Sinnvolles beitrage zur Städtepartnerschaft, widme ich „unserem“ Weimar folgendes Gedicht:
Sinnflut in Weimar
Wenn ich noch einen Goethe, Ginko oder Schiller sehe
muss ich mich erbrechen.
Das muss Weimar so machen, verstehe ich.
Das ist Marketing. Das braucht der Japaner
und die Schulklasse aus Niedersachsen.
Hier wohnte… und hier wohnte… und hier wohnte
auch der-und-der schon. Von… bis.
Schlechtes Gewissen, weil ich einige Namen
noch nie gehört habe. Und auch die nette Rentnerin
vom Seniorenverein Süd-Eifel kann nicht helfen
in Detailfragen deutscher Kulturgeschichte –
Spendiert mir aber ’ne Thüringer Bratwurst
vorm Hotel Elephant, wo der-und-der schon…
Dann fliehe ich, wegen Überfüllung des Theaterplatzes,
in ein Café hinter der Herderkirche…
… und von dort zum Hotel.
Auf dem Weg dringt Musik
durch weißgerahmtes Bogenfenster
auf den Bürgersteig. Zugezogene Vorhänge
lassen einen Spalt zum Schauen: Kleine Bühne. Halbdunkel.
Vier Musiker. Halbleer die Stuhlreihen.
Mein Atem beschlägt die Scheibe,
die Nase malt einen Fettfleck aufs Glas.
„Nur herein, der Eintritt ist frei. Herein, denn!“
Thomas’ Open Corridor: jazz improvisations.
Ich rücke einen Stuhl an kleinen, runden Tisch,
Köpfe drehen sich mir zu, ein zwanzigfaches Lächeln,
dann wieder zurück zur Bühne – Saxophonsolo.
Es raunt mir über die Schulter:
„Was wollen Sie trinken?“
„Ein Bier!“
„Dann müssen Sie mit in den Nebenraum.“
Also ob ich seltene Drogen verlangte.
„Bier gibt es nur in Halbliterflaschen. Zweidreißig, bitte!“
Oh schöner Brunnen, der mir fließt! – Jam Session:
„Hey, Boris, komm du ans Schlagzeug, jetzt!“
Und auch der Kontrabass wechselt ein jugendliches Gesicht
gegen ein nächstes aus.
Der Jazz ist jung und klassisch und romantisch,
und stürmt und drängt und schillert.
Wo bin ich hier?
Kabarett „Sinnflut“, Weimar, Partnerstadt.
Nachtrag für alle, die sich über diese ungewöhnliche Kolumne wundern: Verdammt, bin ich froh, dass ich wieder zurück in Trier bin und nächste Woche nicht mehr so ein pseudo-kulturelles Zeug produzieren muss!
von Frank Meyer