„Irgendwann die Weltmeisterschaft gewinnen“

Die Triererin Charlotte Sanati gilt als eines der größten Schachtalente in Deutschland. Zwei Mal wurde sie bereits deutsche Meisterin, zuletzt holte sie den Vize-Titel. Foto: Jörn PelzerWährend andere Kinder in ihrem Alter hoffen, in diesem Jahr endlich wieder weiße Weihnachten zu erleben, wird Charlotte Sanati definitiv keinen Schnee an Heiligabend zu sehen bekommen. Für die 11-Jährige, die als eines der größten deutschen Nachwuchstalente im Schach gilt, steht über die Weihnachtstage die Weltmeisterschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten an – und das im T-Shirt und mit kurzer Hose. In der Serie “Auf dem Sprung nach oben – Talente aus Trier” stellt 16vor-Mitarbeiter Jörn Pelzer regelmäßig vielversprechende Trierer Nachwuchssportler vor.

TRIER. Bei Höchsttemperaturen um die Weltmeisterschaft zu spielen, das ist Charlotte Sanati schon gewöhnt. 2011 ging es schließlich nach Brasilien. Zwei Wochen musste sich die damals Neunjährige vom Unterricht befreien lassen, Zeit zum Sightseeing blieb aber nicht. Stattdessen saß die Triererin entweder am Schachbrett oder am Schreibtisch. „Ich habe meine ganzen Schulsachen mitgenommen, und die Lehrer haben jeden Tag eine E-Mail geschrieben. Ich musste meistens vor den Partien meine Hausaufgaben machen.“ Am Ende der WM stand Rang 28 und ein tolles Erlebnis: „Dass ich bei einer Weltmeisterschaft in Brasilien war und dass so viele Kinder aus der ganzen Welt da waren, war schon cool.“

Warm, aber nicht ganz so heiß wie in Brasilien, wird es auch bei der Weltmeisterschaft in diesem Jahr. Über die Weihnachstage geht es für Charlotte und ihre Familie zur WM in die Vereinigten Arabischen Emirate. „Ich will so gut spielen wie ich kann, und es ist ja noch ein bisschen Zeit. Ich schaue einfach, wie es läuft“, gibt sich Charlotte bescheiden. Dabei könnte die Elfjährige durchaus mit viel Selbstbewusstsein in die Emirate reisen. Schließlich ist sie eines der größten deutschen Schachtalente. „2010 und 2011 habe ich die Deutsche Meisterschaft gewonnen. 2011 bin ich in den Bundeskader gekommen und dieses Jahr in meiner neuen Altersklasse deutsche Vizemeisterin geworden“, erzählt sie ihre Erfolge außergewöhnlich nüchtern auf. Ob sie sich gar nicht darüber freue? „Doch, schon“, schmunzelt Charlotte verlegen.

„Manchmal kommt es mir so vor, als sei es ihr unangenehm, im Mittelpunkt zu stehen“, sagt Vater Hassan Sanati. „Sie ist schon stolz, dass sie das geschafft hat. Denn es ist anstrengend für sie, vor allem mit der Schule.“ Seit zwei Jahren geht Charlotte auf die Ganztagsschule des Humboldt-Gymnasiums in Trier, das heißt: Unterricht bis vier. „Danach mache ich meine Hausaufgaben und dann wird trainiert“, erzählt die Sechstklässlerin. Anfangs trainierte sie fünf Stunden pro Woche, mittlerweile sind es zwei Stunden am Tag. Volleyball und Chor nutzt das Nachwuchstalent als Ausgleich: „Das verfolge ich aber nicht so sehr wie Schach.“

Trainiert wird zuhause. Ein bis zwei Mal wöchentlich kommt Wolfgang Langer, Jugendleiter der Schachgesellschaft Trier 1877, zu Charlotte – den Rest übernimmt ihr Vater, der selbst früher Schach spielte. „Drehen Sie sich einmal um“, sagt Hassan Sanati und zeigt auf sechs aufeinanderliegende Bücher, die, abgesteckt mit bunten Zetteln als Lesezeichen, auf dem Dielenboden neben der weißen Esszimmertür liegen. „Daraus lerne ich mit ihr“, verrät der Mediziner. Selten werden komplette Partien simuliert. Vielmehr trainieren die beiden unterschiedliche Spielzüge, wie Eröffnungen sowie Mittel- und Endspiele. Spielen Tochter und Vater dann doch einmal eine Partie gegeneinander, steht der Sieger schnell fest. „Das dauert höchstens fünf Minuten, dann habe ich gewonnen“, lacht Charlotte.

Charlotte Sanati vor der WM-Partie gegen die ecuadorianische Meisterin in Brasilien. Foto: privatIhr außergewöhnliches Schach-Talent stach schnell heraus. 2009 kam Hassan Sanati, Internist am Trierer Elisabeth-Krankenhaus, mit Kurt Lellinger, dem großen Schulschach-Förderer der SG Trier, ins Gespräch. Nur wenige Monate nachdem sich Charlotte dann das erste Mal in ihrem Leben an ein Schachbrett gesetzt hatte, feierte sie ihren ersten Erfolg. Mit acht Jahren wurde die gebürtige Triererin auf Anhieb Rheinland-Pfalz-Meisterin. Ihre Ziele und Träume für die Zukunft sind klar formuliert: An der Schachbundesliga teilzunehmen und Großmeisterin zu werden. „Irgendwann will ich auch die Weltmeisterschaft gewinnen. Ich hoffe, dass das mal klappt. Aber da gibt es ja noch viele andere, die das auch wollen.“

Besonders ihre Konzentration sei ihre Stärke, sagt Charlotte, die teilweise Schachpartien von bis zu sechs Stunden spielt. „Ich spiele langsamer und versuche nicht, von Anfang an den Gegner so schnell es geht zu besiegen wie viele andere.“ Besonders die Fähigkeit, sich lange konzentrieren zu können, helfe ihr auch in der Schule. „Und unter Druck Probleme zu lösen und mit Druck überhaupt umzugehen“, fügt Hassan Sanati hinzu.

Nicht nur das Schachspielen gibt er an seine Tochter weiter. Der Arzt aus Persien, wo Schach eine lange und besondere Tradition hat, versucht, seiner Tochter so viel wie möglich von seiner Heimat zu erzählen. Die große persische Familie, die zum größten Teil im Iran lebt, sei sehr stolz auf Charlotte und schicke ihr Glückwünsche zu ihren Erfolgen. Charlotte selbst ist sehr interessiert an ihren persischen Wurzeln und stolz, Halb-Perserin zu sein. Die Sprache spricht sie aber nicht: „Ich habe es ehrlich gesagt versäumt, ihr die Sprache beizubringen. Mittlerweile verstehe ich selbst nur noch wenig“, erzählt Hassan Sanati, der seine Heimat 1986 aus politischen Gründen verließ. „Sobald es die politischen Verhältnisse zulassen, werden wir aber den Iran besuchen.“

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