„Das war erst der Anfang“

Dass Maike Hausberger bei den Paralympics 2012 in London um Medaillen kämpfen würde, war vor wenigen Jahren noch undenkbar. Erst 2009 begann sie beim Post-Sportverein Trier erstmals mit Leichtathletik. Seitdem legt die 18-jährige Läuferin und Weitspringerin, die seit ihrer Geburt von einer sogenannten unvollständigen Halbseitenlähmung (Hemiparese) betroffen ist, eine Bilderbuchkarriere hin. In der Serie “Auf dem Sprung nach oben – Talente aus Trier” stellt 16vor-Mitarbeiter Jörn Pelzer regelmäßig vielversprechende Trierer Nachwuchssportler vor.

TRIER/SAARBÜCKEN/BUTZWEILER. „Das kann ich doch auch“, dachte sich Maike Hausberger selbstbewusst, als sie im Sommer 2008 die Paralympics in Peking zuhause vor dem Fernseher verfolgte und einen ehrgeizigen Entschluss fasste: „Die Kulisse und Atmosphäre haben mich so beeindruckt, dass ich mir gesagt habe: Da will ich auch einmal mitmachen, egal ob schon 2012 in London oder erst 2016 in Rio.“ Sportlich war die damals 13-Jährige schon immer, fuhr wie viele andere Kinder und Jugendliche in ihrem Alter Fahrrad, ging Laufen und spielte sogar Fußball im Dorfverein – trotz einer Behinderung.

Seit der Geburt hat Maike eine linksseitige Hemiparese, eine unvollständige Lähmung der linken Körperhälfte, durch die sie Hand, Arm und Bein nur eingeschränkt bewegen kann: „Lähmung hört sich immer so an, als könnte ich Hand oder Arm gar nicht benutzen, aber dem ist nicht so“, sagt die junge Sportlerin. Viele Handgriffe, die für einen nicht behinderten Menschen im Alltag selbstverständlich sind, kann Maike gar nicht oder nur mit viel Kraft und hoher Konzentration bewältigen. „Zum Beispiel kann ich ein Glas mit Wasser nicht mit meiner linken Hand heben, weil es eine zu feinfühlige Bewegung für mich ist“, erzählt sie. „Es gibt aber immer eine Lösung, Alltagsdinge auch ohne meine linke Hand oder meinen linken Arm zu erledigen“, sagt die 18-Jährige und fügt hinzu: „Für vieles habe ich einfach nur mehr Zeit gebraucht, um es zu lernen, wie Fahrrad fahren oder meine Schuhe zu binden.“ Wirklich beeinträchtigt fühlte sich Maike durch ihre Behinderung aber nie.

Als sie nach ihrem Entschluss, einmal bei den Paralympics zu starten, 2009 beim Post-Sportverein Trier mit Leichtathletik anfing, sorgte sie gleich für großes Erstaunen: „Besonders im Weitsprung wunderten sich viele, dass ich über drei Meter sprang. Für mich war das nichts Neues, das war in der Schule völlig normal.“ Schnell stach ihr Talent auch über ihren Verein hinaus heraus. In ihrem ersten Jahr im Behindertensport wurde sie auf Anhieb Deutsche Meisterin im Dreikampf (Ballwurf, 100 Meter, Weitsprung) und binnen zwei Monaten in die Nationalmannschaft berufen.

Schon zwei Jahre später, als sie bei der Weltmeisterschaft in Neuseeland nur knapp eine Medaille im Weitsprung, bei den 400 Metern und mit der 4×100-Meter-Staffel verpasste, war sie in der Weltspitze angekommen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war Maike klar, dass sie es tatsächlich zu den Paralympics in London ein Jahr später schaffen kann: „Im Sommer 2011 stellte sich nach meinem Realschulabschluss die Frage, was mir die beste Möglichkeit für Sport und Schule im Hinblick auf die Paralympics geben könnte.“ Die Wahl fiel letztendlich auf den Olympiastützpunkt in Saarbrücken, wo sie im Internat wohnt und inzwischen die 11. Klasse des Saarbrücker Rotenbühl-Gymnasiums besucht. „Der Bundestrainer hatte mir vorgeschlagen, nach Berlin zu gehen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, nur noch in den Ferien nach Hause zu fahren“, verrät Maike, die ihre Familie in Butzweiler fast jedes Wochenende besucht.

Unter der Woche wechseln sich für die Schülerin jeden Tag Schule und Training ab. Viel Zeit für sich selbst bleibt Maike dabei nicht. „Eine zweite Sportart kommt zum Beispiel gar nicht in Frage.“ Und mit Freundinnen in die Stadt zu gehen, sei gerade in der zurzeit beginnenden Sommersaison nur schwer vereinbar. „Vor allem die Freundschaften in Trier und Butzweiler musste ich teilweise aufgeben, weil ich kaum noch Zeit habe“, sagt die junge Nachwuchssportlerin, die aufgrund ihrer Behinderung während des Trainings und ihrer Wettkämpfe zwei Schienen tragen muss.

„Eine Schiene hält das linke Handgelenk stabil, damit es in der Laufbewegung besser mitschwingt und nicht unkontrolliert schlackert.“ Ihre zweite Schiene hält ihren linken Fuß nahezu im rechten Winkel: „Wenn mein Bein am Ende des Rennens einmal schwer wird, müsste ich mich andernfalls zu sehr darauf konzentrieren, meine Zehenspitzen anzuheben, um nicht hinzufallen.“ So etwas sei ihr aber glücklicherweise noch nie passiert.

Überhaupt scheint ihre Karriere bisher ohne Zwischenfälle zu verlaufen und eine einzige Erfolgsgeschichte zu sein. Nachdem Maike bei der WM 2011 in Neuseeland eine Medaille noch knapp verpasste, legte sie ein Jahr später bei der Europameisterschaft in den Niederlanden nach. Silber im Weitsprung und Silber mit der 4×100-Meter-Staffel: Ein perfekter Auftakt in das Paralympics-Jahr, mit dem sie ihre Ambitionen, für die Spiele in London nominiert zu werden, noch einmal untermauerte.

Und tatsächlich gehörte sie am 29. August zu den deutschen Sportlern, die bei der Eröffnungsfeier ins Londoner Olympiastadion einlaufen durften. „Das war Gänsehaut-Feeling pur“, zeigt sich Maike ob ihrer Erinnerungen immer noch überwältigt. „In diesem Moment war ich einfach nur sprachlos. Man sieht die 80.000 Menschen im Stadion und weiß, dass noch viel mehr vor dem Fernseher zuschauen.“

Für eine Medaille sollte es für die zweitjüngste Teilnehmerin im deutschen Team am Ende nicht ganz reichen: Platz fünf im 400-Meter-Lauf, Platz neun im Weitsprung. Im Großen und Ganzen war Maike aber zufrieden, vor allem weil sie ihren eigenen deutschen Rekord über 400 Meter zwei Mal verbessern konnte: „Natürlich wäre ich gerne noch schneller gelaufen und auch im Weitsprung an meinen deutschen Rekord herangekommen, aber ich muss mir ja auch noch etwas für kommende Wettkämpfe aufheben“, schmunzelt die sympathische Athletin und fügt selbstbewusst hinzu: „Das war ja erst der Anfang.“

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