Der Wille zur Perfektion

Die Triererin Sophia Graf ist gerade einmal 15 Jahre alt, als sie 2011 zum ersten Mal in ihrer Karriere an einer Karate-Weltmeisterschaft teilnimmt. Als WM-Neuling gewinnt die Schülerin überraschend Bronze, ein Jahr später folgt EM-Silber im Team. Anfang März wird sie wieder Landesmeisterin – zum siebten Mal in Folge. Das „WM-Küken“ von 2011, wie sie sich selbst nennt, ist schon Vereinstrainerin und für viele junge Nachwuchs-Karatekas ein großes Vorbild. In der Serie “Auf dem Sprung nach oben – Talente aus Trier” stellt 16vor-Mitarbeiter Jörn Pelzer wöchentlich vielversprechende Trierer Nachwuchssportler vor.

TRIER. Ein lauter Schrei hallt durch die Trainingshalle des Karate- und Sportvereins Trier (KSV) in Euren. Es ist ein Kampfschrei – „Kiai“ genannt – den Sophia Graf von sich gibt. Im Dojo, der Trainingshalle, trainiert die 16-Jährige gerade gemeinsam mit drei weiteren Mädchen Kata, eine Vorführform des Karates, die aus stilisierten Kämpfen besteht. „Es ist wie ein Kampf gegen einen imaginären Gegner, vergleichbar mit einer Kür beim Turnen, nur dass es eben auf Karatetechniken ankommt“, beschreibt Sophia diese Disziplin. „Es gibt verschiedene Stilrichtungen mit verschiedenen Katas, deren Abläufe aber immer genau festgelegt sind.“ Unter anderem Schnelligkeit, Kraft, Dynamik und Abschluss der Karatetechniken sind am Ende eines Wettkampfduells entscheidend für Sieg oder Niederlage. „Es kommt auf die Ästhetik und Perfektion der Abläufe an.“

Seit ihrem fünften Lebensjahr macht Sophia Karate und hierbei besonders die Vorführform Kata. Im Kindergarten lag damals ein Flyer des KSV Trier aus. Sie war sofort begeistert: „Auf dem Flyer war ein Karateka abgebildet, der in die Luft trat“, erinnert sie sich. Das beeindruckte Sophia so sehr, dass sie bald darauf zum Training ging. „Schon nach dem ersten Mal wollte ich dort nicht mehr weg. Seit dem bin ich dabeigeblieben.“

Endlos viele Trainingsstunden standen seitdem auf dem Plan, um diese koordinativ höchst anspruchsvolle Sportart mit ihren Abläufen und Bewegungen zu perfektionieren. Inzwischen verstehen sich Sophia und Trainer Thomas München schon beinahe blind: „Ich merke eigentlich schon selbst, wenn ich etwas nicht so gemacht habe, wie es sein soll. Mein Trainer muss gar nicht mehr viel dazu sagen“, erzählt sie und fügt hinzu: „Früher hat mich dieser Perfektionismus manchmal genervt, und ich habe mir beim Training gedacht: Die Hand war doch zurück, Trainer! Mit den Jahren habe ich aber einen Willen entwickelt, dass ich die Kata auch wirklich perfekt vorführen will.“

Dieser Wille brachte Sophia in den vergangenen Jahren zahlreiche nationale und internationale Kata-Erfolge. Sieben Mal nacheinander gewann die Triererin den rheinland-pfälzischen Landesmeistertitel, zuletzt Anfang März. 2009 feierte sie ihren ersten großen Titel: die Deutsche Meisterschaft in der Altersklasse Schüler (U14). „Ich habe alle Duelle ohne Punktverlust gewonnen. Das war einfach unglaublich“, erinnert sich die Schülerin. „Das war so wie bei der Weltmeisterschaft.“ Sophia spricht von der WM 2011 in Malaysia, bei der sie überraschend die Bronze-Medaille gewann. Besonders dieser Erfolg zaubert ihr immer noch ein stolzes Lächeln ins Gesicht: „Das ist auch heute noch unfassbar für mich“, erzählt sie. „Sozusagen als kleines Küken habe ich zum ersten Mal bei einer WM teilgenommen und wurde gleich Dritte.“ Ein Jahr später kam noch eine Medaille dazu: Silber mit dem Kata-Team bei der Europameisterschaft in Aserbaidschan.

Ihre Sportart und ihr Wille, der sie zu den großartigen Erfolgen in den vergangenen Jahren geführt hat, haben sie auch persönlich geprägt: „Wenn ich etwas anpacke, dann zu hundert Prozent. Ich mache keine halben Sachen und habe dann irgendwann keine Lust mehr“, sagt Sophia. „Ich bin durch meine Sportart ehrgeiziger und auch disziplinierter als andere geworden.“

Mittlerweile leitet die 16-Jährige sogar – gemeinsam mit anderen Vereinstrainern – ihre eigenen Trainingsgruppen. Montags und freitags trainiert sie die Karate-Kids, das Kata-Team des KSV und eine Fördergruppe von Sechs- bis Elfjährigen. Für viele der jungen Nachwuchs-Karatekas ist Sophia schon ein großes Vorbild: „Mein Trainer erzählt den Jüngeren oft von meinen Erfolgen, und dann schauen mich die Kleinen immer mit ganz großen Augen an“, schmunzelt Sophia. Einem Mädchen scheint es Sophia besonders angetan zu haben: „Sie kommt oft zu mir und fragt, ob ich ihren Gürtel binde, dabei ist er gar nicht offen. Das ist schon süß, denn das macht sie nur, um mit mir in Kontakt zu kommen.“

Seit sie 2009 zum Nationalkader gehört, geht die Triererin nicht nur drei Mal pro Woche zum Vereinstraining. An rund sechs bis sieben Wochenenden im Jahr lädt Nationaltrainer Efthimios Karamitsos Sophia nach Frankfurt ein, um mit den anderen Karatekas des Nationalteams zu trainieren. Vor Welt- und Europameisterschaften muss sie sogar bis zu sechs Wochenenden hintereinander zum Nationalkader-Training nach Frankfurt fahren.

Unter der Woche haben sich Schule und Training ganz gut eingependelt, sagt sie. An den Wochenenden, an denen sie nach Frankfurt muss, werde es aber meistens sehr stressig: „Dann muss ich im Zug für die Schule lernen, damit ich das alles nicht noch Sonntagabend machen muss.“ Für Welt- und Europameisterschaften und andere Turniere im Ausland muss sie sich zudem immer wieder ein paar Tage schulfrei nehmen. Ihre Noten leiden aber nicht darunter: „Oberes Mittelfeld“, resümiert die Schülerin lächelnd. „Wenn ich in der Schule fehle, schreibt meine beste Freundin im Unterricht für mich mit. Dann kann ich alles nacharbeiten.“

Spätestens im November wird sich Sophia wohl wieder ein paar Tage von der Schule befreien lassen müssen. Im spanischen Guadalajara steht Ende des Jahres die Jugend- und Junioren-Weltmeisterschaft an. Ob die Schülerin teilnehmen darf, ist aber noch nicht entschieden: „Für jedes Land darf pro Altersklasse jeweils nur ein Karateka teilnehmen. Mein Bundestrainer hat sich noch nicht festgelegt, meine Chancen stehen aber gut.“ In der Hoffnung, nominiert zu werden, setzt sich die 16-Jährige zunächst bescheidene Ziele: „Ich will mich wieder gut präsentieren, sodass mein Bundestrainer zufrieden ist. Die zweite oder dritte Runde ist realistisch, alles andere ist von meiner Tagesform und der Auslosung abhängig.“

Langfristig will sich Sophia auch im Seniorenbereich etablieren. Dass das trotz ihrer Erfolge in den letzten Jahren kein Selbstläufer ist, liege an der starken Konkurrenz. „In dieser Altersklasse sind alle Karatekas über 18 Jahre alt. Da werde ich dann auf Gegner treffen, die schon fünf bis zehn Jahre länger trainieren als ich“, sagt sie. „Da mithalten zu können, ist mein Traum.“

„Auf dem Sprung nach oben – Talente aus Trier“, Teil 3: Leonie Edringer
“Auf dem Sprung nach oben  Talente aus Trier”, Teil 2: Dominik Werhan
“Auf dem Sprung nach oben – Talente aus Trier”, Teil 1: Lukas Achterberg

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