„Der kulturelle Schaden wird auf Dauer sein“

Vor der Kulturausschuss-Sitzung demonstrierten über 100 Menschen für den Erhalt des Drei-Sparten-Hauses. Foto: Christian JörickeIm Kulturausschuss wurden gestern mögliche Szenarien für die Zukunft des Trierer Theaters vorgestellt. Das von der Integrated Consulting Group erstellte Gutachten umfasst die Möglichkeiten, das Schauspielensemble, die Tanz- und Musiktheaterensembles oder alle Ensembles aufzulösen und ausschließlich Gastspiele zu zeigen. Aus der Untersuchung geht zwar hervor, was beim Theaterbudget gespart werden kann, aber nicht, wie die wirtschaftlichen und die Image-Folgen für die Stadt insgesamt wären. Während sich die Zahl der Teilnehmer an der Unterschriftenaktion für den Erhalt des Ensembletheaters den 25.000 näherte, demonstrierten vor der Sitzung über 100 Kulturschaffende und -interessierte, das Theater-Netz Trier der Universität und zahlreiche Theatermitarbeiter vor und im Rathaus gegen Spartenstreichungen. Unterdessen äußerte sich ein ehemaliger Kulturdezernent gegenüber 16vor zur aktuellen Theatersituation.

TRIER. „Das Theater ist nicht nur eine Eventorganisation“, sagt Walter Blankenburg, der sich zufällig kurz vor der Kulturausschuss-Sitzung an der Theaterkasse mit einer Mitarbeiterin unterhält. „Es macht eine Stadt aus. Kultur gibt einer Stadt ihr Gesicht.“ Überlegungen über eine Neustrukturierung hält der ehemalige Kulturdezernent zwar für legitim, Streichungen von Sparten, wie sie wenig später im Rathaus besprochen werden, lehnt er strikt ab. „Das Drei-Sparten-Haus muss erhalten bleiben“, fordert der Sozialdemokrat. „Nicht nur aus Image-, sondern auch aus ökonomischen Gründen.“ Schließlich sei das Theater ein Wirtschaftsfaktor.

Am Augustinerhof bereiten sich inzwischen Dutzende Ensemblemitglieder und andere Mitarbeiter des Hauses, Teilnehmer des Theater-Netzes Trier (TNT) der Universität und andere Kulturschaffende wie Tufa-Chefin Teneka Beckers auf ihren Protest gegen mögliche Spartenstreichungen und gegen das von Thomas Egger kürzlich vorgestellte Kulturleitbild vor. Sie wollen dem Kulturdezernenten und den Ausschussmitgliedern deutlich machen, das die Entwicklung der Kulturlandschaft in Trier in eine falsche, weil rein ökonomische Richtung gehe. Dazu haben sie sich kopierte Geldscheine auf den Mund geklebt.

Vor dem Haupteingang spielt das Orchester Auszüge aus „Nabucco“, vor der Seitentür hat sich der Flashmob und der Chor postiert, der in der im eigenen Art auf die Vorzüge eines Ensembletheaters hinweist. „Wenn du merkst, dass die Welt nicht nur aus Geld besteht / Es im Leben auch noch um etwas anderes geht / Und es fragt dich einer, wer macht das hier / Sag, das ist dein Ensemble, dein Theater Trier“, singen die schwarzgewandeten Chormitglieder.

Stummer Protest gegen weitere Einsparungen am Theater. Foto: Christian JörickeDas Theater bekam im vergangenen Jahr von der Stadt auferlegt, zur Haushaltskonsolidierung eine Million Euro einzusparen. Ob dies überhaupt möglich ist, spielte keine Rolle. Das Theater tat alles Machbare, wie auch die Integrated Consulting Group (ICG) feststellte, die mit einer “Strukturuntersuchung zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Theaters Trier” beauftragt wurde. Das vorgebene Ziel konnte jedoch nur zur Hälfte erreicht werden. „Das Theater arbeitet im Rahmen einer sparsamen Haushaltsführung“, bekräftigt noch einmal Dieter Haselbach, Senior Consultant bei der ICG Deutschland, im Kulturausschuss, bevor er Szenarien für die Einrichtung vorstellt. „Um weiter zu sparen, muss sich das Theater strukturell ändern.“

Im Vorfeld stellt Haselbach klar, welche Szenarien ausscheiden, weil sie die Haushaltsziele nicht erreichen. Dazu gehören die Kürzung der Produktionsanzahl, das Bespielen in größeren Blöcken und die Auflösung des Tanztheater-Ensembles. Freude innerhalb des Teams von Sven Grützmacher wäre jedoch verfrüht.

„Ich kann verstehen, dass es Ängste gibt“, sagt Haselbach über die Diskussionen und den Protest der vergangenen Wochen. „Es gibt berechtigte Sorgen, was passieren kann.“ So hätte der Übergang zu einem Bespieltheater unter anderem zur Folge, dass der Angebotsumfang zurückginge, vor allem im Musiktheater die programmatische Vielfalt wegen eines begrenzten Stückeangebots am Gastspielmarkt verloren ginge und es keine Identifikation des Publikums mit den Trierer Ensemble-Mitgliedern mehr gäbe, was zusätzlich zu einem Zuschauerückgang führte. Dies wären Folgen, die – wie selbst das Gutachten zeigt – auch durch einen „klugen“ Bespielbetrieb nicht kompensiert werden könnten.

Drei Szenarien präsentiert der Co-Autor von „Der Kulturinfarkt“ dem Kulturausschuss und den Dutzenden kulturschaffenden und -interessierten Zuhörern im Großen Rathaussaal – die vierte Möglichkeit, eine Fortsetzung des Drei-Sparten-Hauses unter einem optimierten Betrieb wird als Vergleichsmaßstab mit angegeben.

Szenario 1 beinhaltet die Auflösung des Schauspielensembles. Die Konsequenzen wären weniger Vorstellungen (statt 90 nur noch 60), dadurch entsprechend weniger Publikum, das pädagogische Programm für Schulen müsste ersetzt werden und die Reputation des Theater und das Image der Stadt wären „vorübergehend“ beeinträchtigt. 37 Menschen würden ihre Arbeit verlieren. Diese Option würde das Einsparziel von einer Million Euro nur vorübergehend erreichen, da es Kostensteigerungen nicht abdecken könnte.

Dieter Haselbach stellte Szenarien für ein "anderes" Theater vor. Foto: Christian JörickeDas zweite Szenario sieht eine Streichung des Musik- und Tanztheaters vor – als Variante könnte das Orchester bestehen bleiben. Sollten die Ensembles des Musik- und des Tanztheaters, das Orchester und der Chor aufgelöst werden, entfielen 96 Vorstellungen und sämtliche Konzerte. Insgesamt 55 könnten durch Gastauftritte ersetzt werden. Die Zahl der Besucher würde sich um die Hälfte reduzieren. Auch hier müsste ein neues pädagogisches Angebot geschaffen werden. Der Imageverlust sei aber ebenfalls nur „vorübergehend“. Mit der der Streichung der Sparten Musik- und Tanztheater fielen 147 Arbeitsplätze weg.

Bei der radikalsten Option, einem vollständigen Bespielbetrieb, wären 212 Arbeitsplätze betroffen. Und es gäbe nur noch Gastspiele. Die Studiobühne könne verstärkt vom Jugendclub, „60+“ sowie studentischen und anderen Theatergruppen genutzt werden. Vorausgesetzt, es gibt die hauseigenen Laientheater dann noch.

Laut Gutachten kommen derzeit nur die Szenarien 2 und 3 in Frage, um nicht nur das Konsolidierungsziel zu erreichen, sondern auch die steigenden Kosten abzudecken. Weniger Personal bedeutet weniger Ausgaben. Hinzu kommt, dass eingekaufte Stücke günstiger sind als selbstinszenierte. Diese rein betriebswissenschaftliche „Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Theaters in Trier“ will Haselbach als Anregung für eine offene Diskussion verstanden wissen. „Es ist eine Einladung, über Veränderungen am Theater zu diskutieren.“

Diskutiert wird dann auch direkt im Anschluss. „Ich finde es eine Zumutung, Wanderarbeiter im künstlerischen Bereich einzuführen“, sagt Grünen-Sprecher Gerd Dahm und erinnert an die Aufgabe einer Kommune als Arbeitgeber. Auch Marc-Bernhard Gleißner von der Linksfraktion kritisiert, dass man mit diesen Szenarien im kulturellen Bereich in der Leiharbeit ankomme. Zudem trage das Gutachten nichts dazu bei, in dieser Diskussion „Fantasie anzuregen“, und sei „voll von sprachlichen Euphemismen und Verschleierungen“, klagt der Germanist. „Diese Szenarien sind in keiner Weise zukunftsfähig. Ein Theater ohne eigenes Personal ist keine Zukunft.“

„Was bedeuten ‚vorübergehende Beeinträchtigungen der Reputation des Theaters und des Images der Stadt'“, möchte Hermann Kleber von der FWG wissen. In diesem Punkt bleibt Haselbach vage. „Jede Veränderung wird dazu führen, dass es Gewinner und Verlierer gibt. Es wird Beeinträchtigungen und Irritationen geben.“ Beispiele nennt er keine. „Dieser Übergangsprozess von Ensemble- zu Bespieltheater wird in Deutschland nicht oft gegangen.“ Ein erfolgreiches Bespieltheater sei ein volles Bespieltheater, erklärt Haselbach. Die wirtschaftlichen Folgen für die Stadt und die Imagefolgen für Trier als Kulturstandort sind auch in dieser Aussage nicht enthalten. Gegenstand der Untersuchung waren nur „plausible betriebliche Szenarien, die den politisch definierten Beitrag zur Haushaltskonsolidierung erbringen“.

Theater-Mitarbeiter und andere Kulturschaffende und -interessierte sorgten für eine große Zuhörerschaft bei der Ausschuss-Sitzung. Foto: Christian Jöricke„Untersucht wurden Szenarien, die in die Hand der Stadt liegen“, betont der Soziologe. Diese Einschränkung ist wichtig für die weitere Diskussion. Denn zu den Möglichkeiten einer Umstrukturierung des Theaters gehört auch eine Kooperation mit den beiden anderen rheinland-pfälzischen Theatern in Koblenz und Kaiserlautern. CDU-Sprecher Ulrich Dempfle und sein SPD-Kollege Markus Nöhl bringen diese Option ins Spiel. „Wir tragen die Verantwortung für die wirtschaftliche Situation. Darum ist es unsere Pflicht, nach Lösungen für ein zukunftsfähige Theater zu suchen“, wendet sich Dempfle zum einen an die Kritiker der vorgestellten Szenarien und verweist zum anderen darauf, dass es auch noch andere Möglichkeiten gebe.

Zwei weitere Optionen, ein Drei-Sparten-Haus zu erhalten, sind, dass Gelder aus dem sogenannten freiwilligen Leistungsbereich umgeschichtet werden – darunter würden allerdings andere Einrichtungen leiden. Oder dass das Land seinen Zuschuss wieder erhöht. „Gespräche mit dem Land werden weiter gesucht“, so Egger. Die Aussichten auf eine Erhöhung seien allerdings schlecht. „Mir wäre es sehr willkommen, wenn es sich anders entwickelt“, so der Kulturdezernent.

„Heute ist nicht der Tag der Entscheidung“, macht Nöhl von der SPD-Fraktion deutlich. „Wir müssen jetzt darüber diskutieren, welche Optionen es gibt und welche Konsequenzen sie haben. Dann müssen wir entscheiden: Was ist uns Kultur wert?“.

Ganz zum Schluss wendet sich Gerhard Weber an den Kulturausschuss. Bewusst steht der Theaterintendant von seinem Platz auf und stellt sich vor die Ensemblemitglieder im Besucherbereich. „Der kulturelle Schaden für die Stadt wird auf Dauer sein“, sagt er zu einer möglichen Umsetzung der drei präsentierten Szenarien und widerspricht damit den darin immer wieder genannten „vorübergehenden“ Beeinträchtigungen. „Einer dieser Wege wäre der endgültige Zerfall des Trierer Theaters.“ Er ruft darum noch einmal dazu auf, für den Schutz des Theaters und des Ensembles zu werben. „Es ist in erster Linie kein Kampf um Arbeitsplätze. Es ist ein Kampf für die Zuschauer.“

Walter Blankenburg, bis 1991 Trierer Kulturdezernent, hat die Diskussion in der Ausschuss-Sitzung nicht mitverfolgt. Anfang der 80er Jahre war er in einer ähnlichen Situation wie Egger heute. Auch damals wurde ein großes Unternehmen beauftragt, den Nutzen von Spartenstreichungen zu untersuchen. Die Ergebnisse wurden schnell verworfen und sich stattdessen darum bemüht, mehr Geld zu bekommen. Hier sieht er seinen Nachfolger in der Pflicht: „Als Dezernent muss man für sein Theater kämpfen.“

Das vollständige Gutachten finden Sie hier.

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