Leben, lieben und sterben in der Provinz

Meyer, Frank P.: Normal passiert da nichts. Saarbrücken, Conte. 2012Der Stadtschreiber und 16vor-Kolumnist Frank Meyer hat nach zwei Bänden mit Kurzgeschichten seinen ersten Roman veröffentlicht. „Normal passiert da nichts“ erzählt vom Leben im saarländischen Primstal, von Schwenkbraten, Stubbis, Kirmes und Liebschaften. Doch gibt es natürlich kein Dorfleben ohne eine Geschichte familiärer Verstrickungen. Wer sich auf Primstal und seine Bewohner einlässt, landet schließlich mitten in einem rasanten Roadmovie-Abenteuer und kann prüfen, ob sich das Motto „Normal passiert da nichts“ auch bei einem Raubüberfall auf die Trierer Uni-Mensa bewährt.

Die Primstaler Dorfjugend hält zusammen und findet sich überall dort, wo ein Schwenker aufgebaut wird. In diesem Roman wird nicht einfach nur geschwenkt. Schwenken wird als saarländisches Alltags- und Lebensprinzip vorgeführt. Wer Schwenkbraten auf den Grill legt, braucht keine Einladungen zu verschicken, um sich bald in größerer Gesellschaft zu befinden. Und tatsächlich, was uns Trierern durch kulturelle Berührungen mit dem gemeinen Saarländer längst bekannt ist, geht einem im Laufe des Romans noch mal in seiner tieferen Bedeutung auf. Denn dieses gemeinsame Schwenken ist mehr als bloße Partygeselligkeit und weniger als tiefschürfende Freundschaft. Die Schwenkbratenesser verbindet eine Art Schicksalsgemeinschaft, eine lose zusammengewürfelte, aber unausweichliche Zugehörigkeit. Als Primstaler gehört man dazu, zu einer Dorfgemeinschaft, in der jeder jeden kennt und in der jeder die Geschichte von jedem kennt. Das kann als Vertrauensbasis die Rekrutierung eines lustigen Überfallteams erleichtern. Doch ebenso fühlen sich die Protagonisten bisweilen vom Stammbuch der Dorfgeschichte und den familiären Erblasten erdrückt.

Bei den Romanhelden handelt es sich um Mittdreißiger – also eigentlich zu alt, um „Dorfjugend“ genannt zu werden. Das Haus, in dem die Cousins Mike und Gabriel wohnen, wird seiner früheren Verwendung wegen immer noch „der Jugendclub“ genannt. Die Jungs schmuggeln Luxemburger Ware, gammeln, feiern und lassen sich gelegentlich von ihren Müttern den Hausputz erledigen. Der Alltag von Gabriel und Mike scheint sich in einer postpubertären Warteschleife eingependelt zu haben. Und wenn Ärger droht, klingelt die Dorfpolizei, trinkt einen Stubbi mit und redet ein ernstes Wörtchen mit den Jungs. Der Buchtitel beschreibt ein Motto, das die saarländischen Provinzhelden zwischen naivem Weltvertrauen und gewiefter Bauernschläue durch das Leben begleitet.

Aus der Perspektive des Belgiers Raffael, der zu Mike und Gabriel in die Jugendclub-WG zieht, klingt der Roman wie eine ethnografische Feldstudie über die Spezies des Saarländers. Von befremdlichen Ritualen wird da berichtet – wie etwa dem „Mariathlon“, einem kuriosen Saufwettbewerb in Trier, bei dem es den Titel zu verteidigen gilt. Neben Bier und Schwenkbraten interessieren sich die Saarländer Mannsbilder aber natürlich auch für Sex und die Liebe. Mike ist hier für die pubertären Zoten und die schnellen Eroberungen zuständig, während Gabriel im Laufe des Romans mit Johanna, der jungen Dorfapothekerin, anbandelt und eher an einen zaghaften Teenager erinnert.

Es bleibt aber nicht allein beim Lieben und Leben, auch dem Sterben im Saarland widmet sich das Buch. In Meyers Roman begegnet man dem Tod ganz alltäglich, wenn Johannas alte Mutter stirbt, man begegnet ihm schelmisch, wenn man den Nachbarn Schorschi kennenlernt, der seit klein auf als todgeweiht gilt, aber munter vor sich hin altert und auch das Abenteuer in Trier nicht auslassen möchte; und schließlich begegnet man dem Tod im Ausmaß einer historischen Katastrophe. Es sind die Katastrophen des Saarlandes, über die Gabriel ein Buch schreiben möchte, um Licht in seine familiäre Vergangenheit zu bringen.

Die Kapitel des Romans sind aus den verschiedenen Perspektiven erzählt. Der Erzählbogen hat durch den Perspektivwechsel bis zuletzt noch Überraschungen parat. Raffael und Johanna sind ein bisschen gewiefter und weniger naiv als Gabriel. Alle drei ähneln sich aber im Blick des sensiblen Beobachters mit nachdenklicher und sehnsuchtsvoll suchender Grundhaltung, die durch den insgesamt eher schnoddrigen Erzählstil durchscheinen. Frank Meyer macht die Leser in witzig-charmantem Ton und gelegentlich kalauernd-zotigen Dialogen mit seinen kindsköpfigen Helden und ihrer Clique vertraut. Die Primstaler werden durchaus als provinziell, aber nie als einfältig geschildert. Und in einem Dorf, in dem Provinzhelden seit Generationen davon träumen, so cool wie Belmondo oder lässig wie Sean Connery zu sein, gedeiht ein sehr amüsant zu lesender, rasanter und hollywoodreifer Coup.

Gelegentlich kommt einem die ein oder andere Textpassage oder bildhafte Beschreibung in dem ansonsten bodenständig gehaltenen Ton etwas zu literarisch vor. Gelegentlich wundert man sich, wenn zum Beispiel Gabriel, für den die Primstaler Kirmes ein Highlight des Jahres ist, beim Anblick von Raffaels Mutter spontan an einen Woody-Allen-Film denken muss. Unterlaufen Frank Meyer hier ungewollte Stilbrüche oder ist „der Saarländer an sich“ vielleicht doch nicht so ein leicht zu durchschauendes Schwenkbratentier…

Meyer, Frank P.: Normal passiert da nichts. Saarbrücken, Conte Verlag. 2012. 18,90 Euro.

Am kommenden Freitag liest Frank Meyer um 19.30 Uhr  im Warsberger Hof aus seinem Roman. Am Dienstag, 19. Juni, findet eine Lesung am Ort des Verbrechens, in der Uni-Mensa, statt. Weitere Termine finden Sie hier.

 

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