„Kunst darf das, Kunst muss das“

In der Tuchfabrik startete am vergangenen Samstag die Ausstellung „Reliquie – Fetisch in Kirche, Kunst und Konsum“. Vor dem Hintergrund der Heilig-Rock-Wallfahrt setzen sich über 70 Künstler mit Glauben und Kommerz, mit der Frage, was wir heute anbeten, auseinander. Viele Werke sind plastisch und provokant, doch die Ausstellung ist mehr als eine Provokation um der Provokation willen. Bei der gutbesuchten Vernissage sprach der Künstler und Kunsttheoretiker Bazon Brock.

TRIER. Die zahlreichen Pilger, die dieser Tage gen Trierer Dom marschieren, um dort das angebliche Sterbegewand Jesu Christi zu Gesicht zu bekommen, hinterlassen ihre Spuren. Nicht etwa auf dem harten Pflasterstein des Domfreihofes unter ihren Füßen oder auf der Glasvitrine des heiligen Rocks, sondern auf den Ausstellungswänden der Tuchfabrik, ein paar Straßen entfernt, unberührt vom Trubel der Wallfahrt. Hier nimmt sich die Kunst dem aktuellen Thema an. Die zeitgenössischen Werke der über 70 nationalen und internationalen Künstler behandeln Fragen zu Religion, Kommerz und modernen Götzenbildern und bieten eine fassettenreiche künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema „Reliquie“. Zumeist satirisch und provokant, auf Leinwand, Ultraschallbild oder Toastbrot, mit Video- oder Klanginstallation und Performance-Kunst: Das Ergebnis ist experimentell, teils verstörend und nicht immer direkt zugänglich. Doch es regt zum Nachdenken an.

Für die Vernissage am Samstagabend war hoher Besuch eingetroffen. Man hatte den Kunsttheoretiker und Professor für Ästhetik Bazon Brock eingeladen, um die Mottoausstellung mit einer seiner berüchtigten, fulminanten Reden zu eröffnen. Der künstlerische Avantgardist und selbsternannte Denker vom Dienst schuf, man erwartet auch nichts anderes von ihm, einen hochgestochenen, intellektuellen Rahmen für die Ausstellung. Leider verlor er in seiner langatmigen und aufgeblasenen Reise durch Wissenschafts-, Kunst- und Kulturgeschichte die meisten seiner Zuhörer nach nur 20 Minuten. Einen wichtigen Punkt traf er dennoch: Die Kunst dürfe nicht bei der bloßen Dichotomie zwischen gläubig und ungläubig, religiös und nicht-religiös verharren.

Tut sie auch nicht. Viele der Werke gehen weiter und fragen nach postmodernen Formen von Fetisch. Was beten wir heute an? Wie kann konsumierbarer Religionsersatz aussehen und was haben die Menschenschlangen, die vor den Apple Stores auf die Vorstellung des neuen „iPhones“ warten, mit den Pilgern, die dieser Tage vorm Dom Schlange stehen, gemeinsam? Antworten gibt etwa ein Stück des Föhrener Künstlers Rainer Röder. Eine Kette, die aus den plattgedrückten Kapseln des teuren, im Werbespott selbst von George Clooney und John Malkovich verehrten Nespresso Kaffees zusammengesetzt ist: Kaffee-Kult eben. Etwas verloren wirken dagegen gerade die Beiträge namhafter Künstler wie Jaques Tilly, Janosch oder Klaus Staeck, mit denen die Tufa sich schmücken und brüsten konnte. So erscheinen die religionskritischen Karikaturen des Tigerenten-Erfinders Janosch, verglichen mit der restlichen Ausstellung, zu eindeutig und zu plump.

„Die Gefahr religiöse Gefühle zu verletzten ist natürlich da“, erklärt Kuratorin Christina Biundo. „Aber es ist keine Provokation um der Provokation willen. Es gibt eine Berechtigung für eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema.“ Provokationspotenzial hat die Ausstellung tatsächlich alle Mal. Viele Ausstellungsstücke sind düster und morbide, thematisieren die Inquisition, Missbrauch oder die Verstrickung von katholischer Kirche und NS-Regime. Die Triererin Martina Diederichs betitelt ihren Rosenkranz aus Penissen ganz plastisch mit „Der Lustreiche (Grenzüberschreitung I)“. Da könnte der ein oder andere Wallfahrer einen echten Schock bekommen, sollte er aus Versehen ins falsche Mekka pilgern. „Aber Kunst darf das“, weiß Biundo. „Seit Joseph Beuys könnte man sogar sagen: Kunst muss das!“

Zu Recht sehr häufig vertreten sind die Werke von Jörg Baltes. Der Künstler aus Sprendlingen bei Mainz steuerte unter anderem seine Serie von mit religiösen Motiven bemalten Toastbroten bei. Leonardo da Vincis Abendmahl hat er auf vier mal neun Weißbrotscheiben gedruckt und es so kurzerhand in „Leonardos Abendbrot“ verwandelt. Papst Benedikt, die heilige Katharina oder der Heiland persönlich; allesamt von Baltes „einverleibt“. Was wohl ein Theologe zu dieser Analogie sagen würde? „Die Idee, meine Kunst auf Toast zu drucken, kam mir 2004″, so Baltes. Damals sorgte ein Käsetoast weltweit für Aufsehen. Es wurde im Internet versteigert, weil darauf das Abbild der Jungfrau Maria zu sehen war.“ Der 54-Jährige, nach eigenen Angaben katholisch sozialisiert, interessiert sich vor allem für die „schrägen Erzählungen und Merkwürdigkeiten der Kirchengeschichte“. Über die Legende der heiligen Vorhaut Jesu (ebenfalls auf Toast gedruckt) weiß er ganz genau Bescheid und gibt sie sogleich schmunzelnd zum Besten. „Das sind solche Absurditäten. Das kann man nur faszinierend finden.“

Umrahmt von einem breitgefächerten Begleitprogramm aus wissenschaftlichen Vorträgen, Lesungen, Performances und einem Rock-Konzert läuft die Ausstellung noch bis zum 17. Juni. Dabei drohte allen Beteiligten noch vor wenigen Wochen das frühe Aus. Die Kulturstiftungen der Stadt Trier und die Kulturstiftung der Sparkasse Trier, für gewöhnlich treue Unterstützer der Tufa-Projekte, drehten den Geldhahn zu und plötzlich fehlten 12.000 Euro fest eingeplante öffentliche Mittel. Obwohl von offizieller Seite dementiert, hatten sich die Kulturstiftungen wohl an der Kooperation der Tufa mit der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung gestört. Nur weil Land und Stadt ihre Zuschüsse kurzerhand aufstockten und zahlreiche Privatpersonen der Tufa mit Spenden unter die Arme griffen, konnte „Reliquie – Fetisch in Kirche, Kunst und Konsum“ dennoch auf die Beine gestellt werden.

Öffnungszeiten der Ausstellung: dienstags und mittwochs, 14 bis 17 Uhr, donnerstags und freitags, 14 bis 20 Uhr, samstags, sonntags und an Feiertagen, 11 bis 18 Uhr. Eintrittspreis: vier Euro, ermäßigt zwei Euro. Das Begleitprogramm ist im Internet unter www.tufa-trier.de einsehbar.

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