Im Garten der Lüste

Pünktlich zum kalendarischen Sommeranfang präsentiert das Trierer Theater William Shakespeares Komödienklassiker „Ein Sommernachtstraum (A Midsummer Night´s Dream)“. Die Übersetzung hat der Sänger und Poet Heinz Rudolf Kunze besorgt. Regisseur Werner Tritzschler, der nach „Gut gegen Nordwind“ zum zweiten Mal am Trierer Theater inszeniert, holt raus, was rauszuholen ist und macht die Inszenierung zu einem Schaulaufen der Qualitäten im Schauspiel-Ensemble – nicht wegen, sondern trotz der textlichen Vorlage.

TRIER. Die langen Tentakel des Volkssports reichen an diesem Abend bis in den Tempel der Hochkultur (der trotz des letzten EM-Vorrundenspiels mit deutscher Beteiligung ansehnlich gefüllt ist). Intendant Gerhard Weber tritt vor das Publikum, um zu verkünden, dass die Vorstellung einige Minuten später beginnen werde: Wer wegen der Public-Viewing-geschuldeten Parkplatzsituation später komme, solle trotzdem eine Gelegenheit haben, den „spektakulären Beginn“ der Inszenierung zu sehen.

Was dann folgte, zeigt schön, wie weit die Auffassungen von „spektakulär“ auseinanderliegen können. Anschwellende Elektrobeats (die man entsetzt als die 90er-Jahre-Dance-Klamotte „Sunchyme“ von Dario G. Identifiziert), dazu Girlies, die in Loveparade-Manier einen roten Baldachin umtanzen, die obligatorische Diskokugel, selbst das Strobo-Licht wird aus der Effekte-Kiste geholt. Viel gezwungener kann man einen Auftakt nicht in die „glückssüchtige“ Gegenwart versetzen. Und mit den ersten gesprochenen Worten wird es nicht besser: Vor dieser merkwürdigen Szenerie erhebt sich Fürst Theseus (Jan Brunhoeber) als fragwürdiger Disco-Proll, der seine Vorfreude auf die Hochzeit mit der unterjochten Amazonenkönigin Hippolyta (Sabine Brandauer) kund tut: „Das Partyvolk Athens soll sich versammeln.“

Spätestens hier ist jenen Zuschauern, die wegen Shakespeares Dichtkunst gekommen waren, jegliche Farbe aus den Gesichtern gewichen. Die Adaption von Heinz Rudolf Kunze hält, was sie befürchten ließ; was man immer befürchten muss, wenn die Attribute „ganz unkonventionell“ und „witzig-frech“ bemüht werden. Der Musiker und Poet, der seinen größten Hit mit „Dein ist mein ganzes Herz“ landete, hat versucht, die Liebeskomödie aus dem 16. Jahrhundert zu entstauben und in eine zeitgenössische Form zu gießen. Als Blaupause diente ihm die Musical-Version, die er vor Jahren ebenfalls im Auftrag von Gerhard Weber (damals noch Theaterintendant in Hannover) ausgearbeitet hatte. Aus dieser Fassung hat er nun das aufgeführte Sprechtheater destilliert.

Was sich abenteuerlich anhört, funktioniert auf der Bühne entsprechend schleppend. Im ersten Aufzug sieht man den Schauspielern an, wie schwer es fällt, dieser Un-Sprache habhaft zu werden. Einen Shakespeare kann man rezitieren, Umgangssprache kann man sprechen, aber wie verhält es sich mit Kunzes halbgarer Zwischenwelt, die beständig zwischen Schulhofdichtung und Manierismus pendelt? Man bleibt davon peinlich berührt zurück, mit einer ähnlichen Ratlosigkeit, der man dem „Szene-Wörterbuch Jugendsprache“ gegenübersteht: „Na, Helena, alles optimal? Hermia brennt jetzt durch mit Lysander.“ Wie soll ein Schauspieler diese Sätze sprechen, wenn nicht spröde und hölzern?

Wahre Sternstunde des Theaters

Dass die Geschichte über die Wirrungen der Liebe in den Wäldern vor der Stadtgrenze Athens sich kurz nach diesem anfänglichen Rumpeln zu einer wahren Sternstunde des Theaters steigert, ist daher nicht Kunzes Textvorlage zu danken, sondern Regisseur Werner Tritzschler und dem Ensemble. Nicht der Text, sondern die spielfreudigen Schauspieler, die fantastisch-flirrenden Kostüme und die raffiniert-reduzierte Bühne (Ausstattung: Johanna Maria Fischer) sind der Resonanzkörper, der das Liebesdramolett zum Erklingen bringt – und den Text dankenswerterweise meist in den Hintergrund treten lassen.

Der Befreiungsschlag ist der erste Auftritt von Waldgeist Puck: Die feinsinnige Flapsigkeit, mit der Barbara Ullmann hier auftritt, bricht nicht nur das Eis im Publikum, sondern gibt die Richtung der nächsten Stunden vor. Man weiß nicht, welche Anweisungen Regisseur Werner Tritzschler dem Ensemble gegeben hat, aber man wünscht sich mehr davon: Mit einer selten gesehenen, ganz natürlichen Selbstverständlichkeit spielen die Schauspieler sich gegenseitig an die Wand, von Neuzugang Alina Wolff als anfänglich verschmähte Helena bis zu der Riege der alten Herren, bei denen Michael Ophelders mit der Satire der bühnengeilen Rampensau eine Paraderolle gefunden hat und mit sichtlicher Freude ausfüllt.

Die Rahmenhandlung bildet die Geschichte von Hermia (Vanessa Daun) und Lysander (Daniel Kröhnert), dem jungen Paar, das heiraten will, aber nicht darf. Denn Hermias Vater möchte seine Tochter mit Demetrius (Tim Olrik Stöneberg) verkuppelt sehen, mit dem wiederum Hermia nichts anfangen kann, während ihre Freundin Helena (Alina Wolff) ihm völlig verfallen ist. Dieses Liebesquartett wird nicht einfacher, als das junge Glück in den Wald vor Athen flieht,um sich dort heimlich zu trauen, wo der virile Elfenfürst Oberon (Jan Brunhoeber) und seine Gattin Titania (Sabine Brandauer) ihren Streit austragen. Ein Zaubermittel, das unter den glücklichen und unglücklichen Liebenden kursiert, mischt die Karten neu. Bis zum Schluss jeder Liebender seinen passenden Partner in den Armen hält, ist es ein verschlungener Weg durch das Unterholz des Menschlich-Allzumenschlichen, „ein Wunderreich aus Lust und auch Gefahr“.

Es wird begrapscht, begattet und bestiegen

Den Einbruch der Sinnlichkeit, die Abgründe des Unbewussten spielt die Inszenierung im besten Sinne schamlos aus, hier wird begrapscht, begattet und bestiegen, wie sonst nur im Garten der Lüste. Die Grenze, jenseits derer das Trierer Stammpublikum sonst gerne protestiert, wird dabei stets gestreift, doch nie überschritten: Nach der Pause, der immerhin eine recht explizite Begattung der Elfenfürstin Titania durch eine Esel vorausgegangen war, hatten bedeutend weniger Zuschauer den Saal verlassen, als man das hätte erwarten dürfen.

Abgesehen von der stringent ausgespielten Geilheit und dem Spiel mit Wahrheit und Täuschung im sommerlichen Zauberwald wird es allerdings schnell dünn, was die inhaltliche Ambition der Inszenierung betrifft. Dabei ist diese Unverbindlichkeit das einzige, was dieser herzlich unterhaltenden Produktion vorzuwerfen ist: Sie kann nichts als unterhalten – das allerdings mit Bravour. Dabei lädt der Stoff in so viele Richtungen ein, dass man gar nicht weiß, wohin mit den Ideen: Die nicht zu übersehende, über allem stehende Frage nach der Legitimität von Herrschaft, die ungewöhnliche Konstruktion von Geschlechter-Rollen, der Einbruch des Sinnlich-Unbewussten als Vorgriff auf Freuds Pychoanalyse – die Komödie wurde schon in jede denkbare Richtung gedacht und hat dabei in den seltensten Fällen etwas verloren. Es ist schade um all das, was in Trier nicht erzählt wurde. Der Grund, warum dieses Stück die Jahrhunderte überdauert hat, ist nicht ausschließlich in seiner Heiterkeit zu suchen.

Trotz der widrigen Umstände entspinnt Werner Tritzschler aus Kunzes Vorlage einen Abend, der alles zum Glänzen bringt, was das Theater zu bieten hat. Dabei herrschen solche Schlüssigkeit und Konsequenz, dass man am Ende fast versöhnt ist, würde da nicht leitmotivisch immer wieder Dario G. aufflammen. Als aber zum Ende die herzerweichend trottelige Gurkentruppe um Spielleiter Quincy (Klaus-Michael Nix) es doch noch fertigbringt, ihr Spiel im Spiel auf die Bühne zu bringen, ist sogar der Widerstand der Shakespeare-Fans im Publikum gebrochen: Langer, herzlicher Applaus für Schauspieler und Regie.

Weitere Vorstellungen im Juni: Freitag, 22. Juni, 20 Uhr; Dienstag, 26. Juni, 20 Uhr; Samstag, 30. Juni, 19.30 Uhr.

Interview mit Heinz Rudolf Kunze: „Habe noch nie ein Stück von mir umgeschrieben„.

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