Mitschieben oder sich treiben lassen

„Keine Waffen, keine Getränke!“ hieß der Satz – der nicht konditional gemeint war -, den Sicherheitspersonal an unseren friedfertigen und bisher nicht durch alkoholbedingte Krawalle auffällig gewordenen Stadtschreiber richtete, als dieser am Wochenende Zugang zu seiner Stadtschreiberwohnung begehrte, die in der Bannmeile des Altstadtfestes liegt. Obwohl die Weinflasche, die nicht für den aushäusigen Verzehr vorgesehen war, in den außerhalb parkenden Wagen zurückgebracht werden musste, bekam Frank Meyer doch noch etwas trinken. Rosi aus dem „Aom Ecken“ nahm sich seiner an.

TRIER. Am Samstagabend wollte ich eigentlich aufs Altstadtfest. Aber das war schon voll. Also bin ich erstmal nach Trier-Nord.

Dort wurde im Bürgerhaus die Broschüre „Trier-Nord entdecken“ vorgestellt (siehe 16vor-Artikel vom 12. März). 50 Studierende der Uni Trier haben in diesem Heft vier Routen zusammengestellt, auf denen man zu Fuß die kulturhistorischen Schätze dieses oft unterschätzten Stadtteils entdecken kann. Die Paulinkirche war mir ja schon vorher ein Begriff, aber was wusste ich schon von preußischen und französischen Militärsiedlungen, der St. Martin- und St. Ambrosius-Kirche, oder der Faszination des Hauptfriedhofs. Ich bete jetzt nicht die komplette Broschüre runter – die gibt’s umsonst bei der Tourist Information und im Internet, also besorgt euch selbst ein Exemplar (es lohnt sich)!

Nur so viel: Ein wichtiges Bauwerk fehlt noch in der Broschüre, nämlich das Moselstadion. Dafür wird die Kneipe, deren Namen ich nicht aussprechen kann, ausdrücklich erwähnt: „Aom Ecken“. Dass diese beiden Attraktionen nahe beieinanderliegen, habe ich erst gemerkt, als ich in besagter Kneipe wegen Überfüllung zunächst keinen Platz fand und deshalb noch ’ne Runde spazieren ging – und mich so verlief, dass ich nicht mehr wusste, wo ich war. Bis ich plötzlich vorm Haupteingang des Moselstadions stand und irgendwie in wenigen Minuten wieder zurück zu „Aom Ecken“ fand. Ja, lacht nicht! Ich bin ein Bub vom Land, da kann man zwischen Maarstraße und Moselstadion schon mal die Orientierung verlieren.

„Aom Ecken“ war ich dann allerdings goldrichtig! Gefühlt haben mir „milljuuunen“ Leute empfohlen, da müsse ich unbedingt mal hin. Die Wirtin heißt Rosi, was aus zweierlei Gründen praktisch ist: 1. Man muss als Zugereister nicht heillos versuchen, den Kneipennamen richtig auszusprechen, sondern man geht einfach „zu Rosi“ und 2. heißt die Wirtin meiner Stammkneipe, deren Name ebenfalls jeder Auswärtige falsch ausspricht, ebenfalls Rosi (falls Sie also eine Kneipe entdecken, deren Name Sie nicht verstehen, sprechen Sie die Wirtin am besten grundsätzlich mit Rosi an).

Wenn eine Kneipenwirtin Rosi heißt, ist die Welt für mich in Ordnung. Für den höchst unwahrscheinlichen Fall, dass Mainz mir mal eine Stadtschreiberstelle anbietet, werde ich zuallererst rückfragen: Habt ihr da auch eine Kneipe, deren Wirtin Rosi heißt? Na? Jedenfalls begrüßte mich besagte Rosi freundlich lächelnd und fragte mich, als ob sie mich seit Jahrzehnten kennt: „Dau wills doch siescher och wat essen!“ So muss es sein. Man tritt ein und Rosi sieht gleich auf den ersten Blick: Der Bub hat nicht nur Durst, der hat auch Hunger!

Also setzt sie mich an einen Tisch, an dem noch ein Stuhl frei ist, und nachdem ich die Leute schüchtern begrüße, meinen die: „Dau bast wohl nit vun heij!“ (Sehen die das oder hören die das nur?) Es ist wohl eher als Trost und nicht als Drohung gemeint, nach dem Motto: Macht nix, das kann schon mal passieren, dass man nicht aus Trier ist, da kannste ja nix dafür. Setz dich trotzdem hin und iss und trink mit uns.

Also hier kann ich den Meier Kurt beim nächsten Mal in Ruhe mit hinschleppen. Bei Rosi aufm Klo gibt’s auch keine sonderbaren Automaten, die mir Angst machen… aber zurück zum Altstadtfest. Nach der Broschürenvorstellung hab ich’s nochmal auf‘m Altstadtfest versucht. Und siehe da: Ich hab noch EINEN Stehplatz vor der Kornmarktbühne bekommen.

Spy Kowlik spielt. Eine unkonventionelle, originelle Trierer Band, die Musik macht, von der ich nicht weiß, wie man die Richtung nennt (Mischung aus Reggae, Rock und Ska). Aber genau das macht ja einen Teil der Faszination aus, nämlich dass es keine Musik von der Stange ist. Die Leute, die ausgelassen vor der Bühne tanzen, sind sicherlich derselben Meinung. Man kommt sogar einigermaßen schnell zu einem Bier (obwohl irgendeiner vorm Bierstand sagt: In Trier stehste für’n Bier länger an, als für’n Heiligen Rock zu gucken. Na, der hat eben keine Ahnung).

Später an der Porta-Bühne ist es wesentlich voller. Von der Simeonstraße zum Hauptmarkt kommt man bequem, indem man sich von der Menge einquetschen lässt, die Füße hochhebt und mitschwebt – die Leute, zwischen denen man eingeklemmt ist, dürfen dann nur nicht in die Glockenstraße abbiegen. Und schon ist man in einer halben Stunde am Hauptmarkt. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Mitschieben oder sich treiben lassen. Apropos schieben: Ich kann mir gut vorstellen, dass wenn man am Porta-Nigra-Vorplatz seinen Vordermann einmal kräftig anschiebt, etwa eine Dreiviertelstunde später – nach dem Gesetz der Trägheit der Masse – ein Festbesucher am anderen Ende der Fußgängerzone aus dem Altstadtfest auf die Stresemannstraße rausfällt.

Komischerweise wollen beim Altstadtfest alle immer irgendwo anders hin als da, wo sie gerade sind. Wenn man dieses sonderbare, offensichtlich städtische Prinzip des Bewegungsevents mal verstanden hat, wird’s dann doch gemütlich. Ich entscheide mich einfach für eine Bühne, einen Platz, einen Bierstand, halte mich dort fest und lasse den Rest des Festes einfach an mir vorüberziehen. Man glaubt gar nicht, wieviele Leute man dabei trifft – ohne sich selber bewegen zu müssen.

Ach so, kurz aufregen wollte ich mich ja auch noch: Wegen Altstadtfestes komme ich jetzt abends nicht mehr in meine Wohnung, ohne mir von der Security den Rucksack durchwühlen zu lassen. „Keine Waffen, keine Getränke!“ heißt die Vorgabe. Das Schweizer Armeemesser interessiert die Security trotzdem nicht, die Weinflasche darf ich aber nicht mit in meinen Kühlschrank nehmen. Die drei Mädels vor mir haben zwei Sektflaschen dabei, die sie hastig leerzusaufen beginnen. Sowas kann ich nicht, also bringe ich die Flasche zurück in das etwas entfernt geparkte Auto (weil ich das Auto am Sonntagmorgen brauche, darf ich nicht innerhalb der Stadtlaufstrecke parken).

Als ich knapp zehn Minuten später zurückkomme, sind die drei Mädels mit den zwei Sektpullen fertig und werden durch die Absperrung gelassen. Die Sicherheitsleute räumen die leeren Sektpullen weg (aber wer räumt nachher die drei Mädels weg, die schon jetzt einen angeschlagenen Eindruck machen?) und erklären mir, dass man eben keine Flaschen mitbringen darf, weil die sonst überall hingeworfen werden und dann alles voller Glasscherben ist. Das sehe ich natürlich ein, und bin überhaupt nicht böse, dass ich meine Weinflasche nicht mitnehmen darf – bis ich durch die Schranke bin und mir auf dem Domvorplatz schon nach wenigen Metern haufenweise Leute mit Weinflaschen in den Händen entgegenkommen. Die Weinflaschen kann man da natürlich überall kaufen. Herrgott, bin ich manchmal naiv. Das nächste Mal, wenn ich an überfüllten Theken Bier trinken will, gehe ich lieber zu Rosi.

Zusatz: Was richtig Spaß auf dem Altstadtfest gemacht hat: 

1.) Beim Bürgerschießen zugucken (nein, bitte keine falschen Hoffnungen, man darf da nicht auf Bürger schießen, sondern selbige schießen auf Scheiben) und dann einfach nur kurz und verächtlich mit dem Kopf schütteln, wenn ein Möchtegern-Rambo dauernd den Scheibenrand trifft und so perforiert, dass der wie ne Briefmarke aussieht.

2.) Der Auftritt der Cover-Band „Double Uplift“ am Sonntag auf der Hauptmarktbühne bei Dauerregen und zeitweiligem Stromausfall. Das Unplugged-Konzert wurde durchgezogen: großes Lob an die Band und die Zuschauer unter den Regenschirmen.

3.) Der Stadtlauf: Als ich morgens um 7.50 Uhr Brötchen holen gehe, laufen sich die ersten bereits warm (ich verstehe das Prinzip des Warmlaufens nicht so recht – ich schwitze schon nach 100 Metern leichtem Trab dermaßen, dass ich bei dem, was die Profis „Warmlaufen“ nennen, schon fix und fertig wäre). Und eine Frau heftet ihrem Mann liebevoll eine Startnummer aufs Lauftrikot, und der Sohn knipst dabei stolz den Papi (bei mir ergäben das witzige Vor-Nachher-Bilder). Ja, ich bekenne, ich habe keine Probleme damit, anderen Leuten beim Laufen zuzugucken. Mein Prinzip beim Altstadtfest lautet, wie gesagt: sich irgendwo festhalten und den Rest des Festes einfach an sich vorbeiziehen lassen!

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