Zusammen arbeitet man weniger allein

In den vergangenen Jahren schossen in ganz Deutschland Coworking Spaces wie Pilze aus dem Boden. Ab dem kommenden Montag kann nun auch in Trier der flexible Arbeitsplatz auf Zeit gemietet werden. Für die Betreiber von „Coworking Trier bei hongandfriends“, Kay Spiegel und Johannes Truong nicht nur ein angemessener Arbeitsplatz für Wissens- und Kreativarbeiter, sondern auch ein Marktplatz für Kontakte und Netzwerke. Ob das Konzept auch in der Moselstadt angenommen wird, muss sich zeigen. Spiegel und Truong sind optimistisch, und die ersten Coworker haben sich bereits angesagt.

TRIER. Bei Trends aus Berlin kann man sich normalerweise darauf verlassen, dass sie erst mit jahrelanger Verspätung in Trier aufschlagen. Wenn am Montag der erste Coworking Space eröffnet, wird die übliche Karenzzeit unterschritten sein. Erst 2009 fing das Konzept in der Hauptstadt an zu knospen, seitdem hat es sich epidemisch über das ganze Land verbreitet: Menschen mit vornehmlich projektbasierten, kreativwirtschaftlichen Berufen waren es damals Leid, keinen festen Arbeitsplatz zu haben und nahmen dankbar das neue Angebot vom flexiblen Schreibtisch an.

Einer dieser Menschen war der Internet-Unternehmer Kay Spiegel. Immer mal wieder verschlugen ihn berufliche Projekte in die Hauptstadt, nie war er lange genug da, als dass sich die Anmietung eines regulären Büros gelohnt hätte. „Es nervte mich, keinen richtigen Platz zum Arbeiten zu haben“, erinnert er sich. „Ich hatte die Wahl, ob ich im Hotelzimmer arbeite und mir die Decke auf den Kopf fällt, oder ich mich mit meinem Laptop in ein Café setze und die Bedienung verärgere, weil ich mich drei Stunden an einem Milchkaffee festhalte.“ Wirklich reizvoll schien ihm keine der beiden Optionen. Die Lösung für sein Problem fand er im Angebot des betahaus, einem der ersten Coworking Spaces in Berlin. Mittlerweile hat nicht nur das betahaus massiv expandiert, in ganz Deutschland sind über 100 Einrichtungen mit ähnlicher Konzeption entstanden.

Das Coworking-Konzept erlaubt es, einen Arbeitsplatz flexibel zu beziehen. Mitbringen muss der Kunde nur seinen Laptop; die Infrastruktur, die einen Raum zum Büro werden lässt, stellt der Anbieter – vom Schreibtisch über das W-Lan bis zur Kaffeemaschine. Der Arbeitswillige bestimmt die Dauer, für die er sich einmietet, je nachdem, was die individuelle Auftragslage gerade erfordert und das Budget erlaubt, ob einzelne Tage, Wochen oder Monate. Durchschnittlich kostet ein Coworking-Platz 15 Euro pro Tag. Traditionell gern genutzt wird das Angebot von Selbstständigen in Kreativberufen; den klassischen Bildschirmarbeitern, deren Arbeitsplatz immer gerade da ist, wo ihr Computer steht: Grafiker, Programmierer, Webdesigner.

Für Spiegel, der seit zwölf Jahren in Trier lebt und arbeitet, lag es nahe, die Idee an der Mosel weiterzuentwickeln. Schnell stieß er bei seiner Raumsuche jedoch an Grenzen, von denen junge Kreative in Trier ein Lied in Moll singen können: „Unflexible Mietverträge, horrende Preisvorstellungen oder inakzeptable Räume“, resümiert der 34-Jährige. Es war ein Zufall, dass er im letzten Jahr auf Johannes Truong stieß, der genau die Räumlichkeiten besaß, die er verzweifelt gesucht hatte. Die lichtdurchflutete Bürofläche mit Fensterfront zur Saarstraße, in der vormals eine Videothek residiert hatte, fristete ihr Dasein als Werkatelier für die T-Shirt-Manufaktur hongandfriends, betrieben von Truongs Bruder Hong. In der Vergangenheit waren die Räumlichkeiten bereits einmal als konventionelles Gemeinschaftsbüro genutzt worden, nach und nach hatten die Mitstreiter sich jedoch aus der Saarstraße verabschiedet. In der Zwischenzeit wurden die Räumlichkeiten als Veranstaltungsort abseits der ausgetretenen Pfade entdeckt: Konzerte, Lesungen und der Pop-Up-Shop Butterkeks belebten die ehemalige Bürofläche.

Nach anfänglicher Skepsis konnte Johannes Truong sich schnell für die Idee erwärmen, auf der Fläche das Experiment Coworking zu wagen. „Anfangs hat mich die zusätzliche Arbeit abgeschreckt, die so ein Projekt bedeuten würde“, berichtet er im Gespräch mit 16vor. „Aber das Konzept schien mir schlüssig, ich war leicht zu gewinnen“. Truong ist Designer und Lehrbeauftragter an der Fachhochschule. Dort empfiehlt er seinen Studenten, nicht nur zu Hause zu arbeiten, sondern die Räume an der Hochschule zu nutzen. „Mit anderen in Kontakt kommen, Ideen austauschen, kreativen Input bekommen – all das gibt es daheim nicht, ist aber enorm wichtig“, sagt er und benennt damit auch einen Grund, warum er sich für die flexible Bürogemeinschaft begeistern konnte.

Eine der bewährten Traditionen der ersten Coworking Spaces wird auch in der Saarstraße beibehalten: Es gibt eine räumliche Trennung zwischen konzentrierter Arbeitsatmosphäre und geselliger Café-Ecke. „Wer arbeitet, soll nicht gestört werden“, sagt Spiegel, für den die Kommunikation und das Knüpfen von Netzwerken aber gleichzeitig den entscheidenden Vorteil des gemeinsamen Arbeitens darstellen: „Wer selbstständig ist, weiß, wie wichtig Kontakte in die verschiedenen Disziplinen sind – hier findet man sie.“ Momentan gehen die beiden Betreiber von vier bis fünf Co-Workern aus, die ab Anfang nächster Woche mit ihnen im Gemeinschaftsbüro arbeiten werden. Bereits angekündigt haben sich ein Grafiker, ein Programmierer und ein Landschaftsgartenplaner. Spiegel und Truong werden ihre Arbeitsplätze ebenfalls an einem der zehn Schreibtische haben.

In gewisser Weise ist Coworking das infrastrukturelle Abbild einer neuen Auffassung von Arbeit, die im Wandel ist. Einheitliche Erwerbsbiografien weichen projektbasierter Selbstständigkeit. Die Verhältnisse flexibilisieren sich, und junge Menschen suchen nach Arbeitsformen, die ihrer Lebenswirklichkeit entsprechen. Für manchen ist das Prinzip der Flexibilität Ausdruck eines modernen Kapitalismus, der den prekär arbeitenden „Unternehmern ihrer selbst“ mit dem eigenen Schreibtisch die letzte Sicherheit im Arbeitsleben nimmt. Für andere, und darunter fallen Spiegel und Truong, ist Coworking keine Verordnung, sondern eine Möglichkeit: „Wir sind bestrebt, uns zu ergänzen, Synergien zu bilden, Netzwerke zu gründen – deshalb haben wir einen eigenen, offeneren Umgang mit Arbeitsformen als noch eine Generation vor uns“, sagt Spiegel über seine Altergenossen, die er auch selbst mit dem Attribut „Digital Natives“ versieht.

Dass in der Diskussion um Coworking meist nur kreative Berufe und Freelancing eine Rolle spielen, ist kein Zufall. Mit einem Steuerberater oder Anwalt als Interessenten rechnen Truong und Spiegel nicht. „Es wird sich wohl eher auf die klassischen Kreativwirtschaftsberufe konzentrieren“, schätzt Spiegel. Auch hier lohnt ein Blick nach Berlin, der in diesem Fall wieder einmal ein Blick in die nahe Zukunft ist: Hier residieren ganze Start-Up-Unternehmen in Coworking Spaces, auch wenn ihr Jahresumsatz es längst erlauben würde, „richtige“ Büroräume zu beziehen – sie wollen die Atmosphäre und der Austausch mit anderen Selbstständigen nicht mehr missen. In dieser Hinsicht ist Coworking auch eine Rückbesinnung auf das analoge Begegnen, das Mancher fast vergessen geglaubt hatte: Den weit verbreiteten digitalen Netzwerken soll wieder eine echte, menschliche Vernetzung hinzugefügt werden, erklärt Johannes Truong. Er ist sich sicher, dass mit dieser Idee auch in Trier zu punkten ist. Auch wenn eine der ersten Reaktionen, die den beiden zugetragen wurde, tief blicken lässt in manche Trierer Seele: „Co-was?“, hieß es da, „so einen neumodischen Quatsch braucht doch kein Mensch!“

Eine erste Möglichkeit, die Arbeitsfläche in Augenschein zu nehmen, bietet sich im Rahmen der Eröffnungsfeier am kommenden Montag ab 18.30 Uhr. Weitere Informationen finden Sie auf folgender Seite.

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.