„Wir wollen keinen Behinderten-Klüngel“

Als der Trierer Stadtrat beschloss, einen Behindertenbeirat einzurichten und diesen jährlich mit rund 5.300 Euro zu unterstützen, sprach SPD-Fraktionsmitglied Maria Ohlig von einer „Auseinandersetzung mit der Frage, was grenzt aus und wie kann Ausgrenzung dauerhaft beseitigt und verhindert werden?“ Zu Jahresbeginn nahm das Gremium, dem zehn Vertreter behinderter Menschen, sieben Ratsmitglieder sowie sieben Berater mit beruflicher Expertise angehören, seine Arbeit auf. Im Gespräch mit 16vor spricht die Vorsitzende des Beirats, die Richterin Nancy Poser, über das verzerrte Bild von behinderten Menschen in der Öffentlichkeit, einem abstrusen Beispiel deutscher Sozialpolitik und was den Sinn von inklusiven Schulen ausmacht. Außerdem erklärt Poser, weshalb der Beirat sich beinahe auf dem Rathaus-Flur wiedergefunden hätte.

16vor: Frau Poser. Im letzten Jahr rückten Menschen mit Behinderungen durch den Film „Ziemlich beste Freunde“ in den Fokus der Öffentlichkeit. Wie hat Ihnen der Film persönlich gefallen?

Nancy Poser: Ich war mit vier Assistenten zusammen im Kino und wir fanden den Film sehr witzig – manchmal geht es bei uns ähnlich zu. Ich finde es wichtig, dass wir heutzutage auch über Behinderungen lachen können und somit zu einer Normalisierung gelangen, die für die betroffenen Menschen viel bedeutet. Dafür kann man, und das zeigt der Film, auch schon mal von der „political correctness“ abweichen.

16vor: Welche Klischees über behinderte Menschen sind denn Ihrer Meinung nach falsch?

Poser: Das größte Missverständnis besteht meiner Ansicht nach darin, dass wir in unserer heutigen Gesellschaft behinderte Menschen noch viel zu sehr nur als Hilfsbedürftige wahrnehmen, zumindest entspricht das dem weit verbreiteten Bild von dieser Bevölkerungsgruppe. Die andere Seite der Medaille, also die Potentiale und Ressourcen, die solche Menschen in die Gesellschaft einbringen, wird dabei nicht konsequent in den Blick genommen. Gerade dadurch geht der Gesellschaft ein gehöriger Beitrag verloren. Deshalb kann ich nur daran appellieren, zu erkennen, dass Menschen mit jeder Art von Handicap genauso zur Gesellschaft gehören wie andere Bürger auch, und dass sie für die Gesellschaft ebenso wertvoll sind.

16vor: Wir leben in einer Gesellschaft, die von zwei gegensätzlichen Trends beeinflusst ist. Es gibt auf der einen Seite Beispiele größerer Offenheit: Väter bleiben zu Hause und Mütter gehen arbeiten, die Homo-Ehe ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die entgegengesetzte Entwicklung ist die der Non-Stop-Hochleistungsgesellschaft: auf das Turbo-Abi folgt das Turbo-Studium, die wirtschaftliche Globalisierung gibt die Folie für größeren Arbeitsdruck ab, Burnout wird zur Volkskrankheit. Wie kann das für Sie in Zukunft in Bezug auf den Status von behinderten Menschen zusammenpassen?

Poser: Klar ist, dass wir in einer leistungsorientierten und egoistischen Gesellschaft weniger auf ein Umdenken hoffen können. Dieses Umdenken brauchen wir allerdings, um auch behinderte Menschen als vollwertige Mitglieder der Gemeinschaft zu sehen. Bei dieser Frage handelt es sich um einen gesamtgesellschaftlichen Prozess, der weniger auf Hochleistung und dafür mehr auf ein humanes Miteinander abzielt.

16vor: Wie hat sich denn das Ansehen von Menschen mit Beeinträchtigungen in den letzten Jahren, gerade nach 2009 mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland, Ihrer Ansicht nach verändert?

Poser: Wir haben heute eine andere Art von Akzeptanz als früher, die tendenziell in der Bevölkerung schon zunimmt. Auf der anderen Seite sind die Inhalte der nun geltenden UN-Konvention in den Medien präsenter als in den Köpfen der politischen Entscheidungsträger. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Einem in Vollzeit tätigen Behinderten mit großen körperlichen Einschränkungen wird zwar eine Assistenz zur Verfügung gestellt, so dass er arbeiten und selbstständig leben kann. Gleichzeitig unterliegt er aber den Vorgaben des Sozialgesetzbuches und wird ähnlich behandelt wie ein Hartz-IV-Empfänger, weshalb er zum Beispiel insgesamt niemals über 2.600 Euro sparen darf. Diese Regelung steht im Widerspruch zur Zielsetzung der Konvention, eine gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft zu gewährleisten. Eine behinderte Person mit hohem Assistenzbedarf kann also arbeiten, soviel sie will, nach geltender Rechtspraxis bleibt sie immer ein Leistungsempfänger.

16vor: Im Rahmen der Konstituierung des Behindertenbeirats in Trier gab es zwischen den Ratsfraktionen Diskussionen über die Zusammensetzung des Gremiums. Wie beurteilen Sie nach den ersten 10 Monaten die Zusammenarbeit?

Poser: Die Konzeption des Beirats war aus meiner Sicht schon gut überlegt, es braucht allerdings noch mehr Zeit, um dies wirklich bewerten zu können. Bisher bin ich vor allem mit der Unterstützung vonseiten der Ratsmitglieder sehr zufrieden, die uns bei Fragen zur Seite stehen und uns helfen, unsere Ideen in ein geeignetes politisches Konzept zu übertragen. Gerade auch die Bildung spezieller Arbeitsgruppen, die wir vorgenommen haben, sorgt für weitere Anregungen durch andere Berufsgruppen, zum Beispiel von Architektenseite. Wir wollen ja schließlich keinen Behinderten-Klüngel etablieren. Deshalb sind auch nicht-behinderte kreative Köpfe eingeladen, sich in den Arbeitsgruppen einzubringen. Desweiteren ist uns durch die auf Beratung begrenzte Funktion der sozialen Institutionen eine Selbstbestimmung bei unseren Beschlüssen garantiert, die uns vor jedweder Bevormundung schützt.

16vor: Bei Ihren bisherigen öffentlichen Statements war von einzelnen praktischen Verbesserungen die Rede, zum Beispiel was die Barrierefreiheit in öffentlichen Einrichtungen betrifft. Bei welchen Missständen sind Sie denn richtig sauer geworden?

Poser: Da gab es schon die ein oder andere Situation. Es gibt zum Beispiel in Trier keine seriöse Schätzung über behindertengerechten Wohnraum, was ich wirklich bedauerlich finde. Also haben wir das in Eigenregie versucht und leider feststellen müssen, dass auf unsere Anfragen seitens der Wohnungsgenossenschaften oftmals gar nicht geantwortet wurde. Ein anderes Beispiel war bis vor kurzem die fehlende Beratungsstelle, weil wir für die ersten Sprechstunden kein eigenes Büro hatten. Beim ersten Mal haben wir dann einfach das Rathaus als Veranstaltungsort angegeben und der Verwaltung gesagt: „Wenn wir kein Büro bekommen, dann setzen wir uns einfach auf den Flur.“ Mittlerweile hat sich das aber geregelt und wir sind nicht nur vor Ort erreichbar, sondern haben auch einen eigenen Telefonanschluss.

16vor: Wie beurteilen Sie die Situation für behinderte Menschen in Trier?

Poser: Es gibt natürlich einige Probleme. Gerade die Schulen stecken beim Thema Inklusion noch in den Kinderschuhen, da braucht es mindestens noch eine Generation an Eltern und Lehrern, die bestimmte Hemmnisse abbauen. Viele denken heutzutage noch zu sehr an Konzepte wie die Förderschule, statt daran, das Kind in seinem Stadtviertel und zusammen mit dem sozialen Umfeld, in dem es sich bewegt, zur Schule zu schicken – entsprechende Betreuungs- und Förderangebote vorausgesetzt. Auch beim eben angesprochenen Thema Wohnen gibt es noch erhebliches Verbesserungspotential, da Trier in vielen Gegenden mit seinen Altbauten für behinderte Menschen noch nicht bewohnbar ist. Zumindest gibt es aber keine Bettenburgen wie in anderen Städten, also große Wohnheimkomplexe, in denen Menschen mit Behinderung von der Gesellschaft dauerhaft ausgegrenzt werden.

16vor: Frau Poser, nennen Sie uns zum Abschluss des Gesprächs eine positive Neuerung, die durch Ihre Arbeit erreicht wurde.

Poser: Wir hatten neulich in unserer Sprechstunde jemanden, der sich über einen fehlenden Beckenlift im Stadtbad beklagte, der das Schwimmen für viele Menschen mit Beeinträchtigung unmöglich macht. Ich selbst kann das Bad derzeit aus diesem Grund auch nicht nutzen. Nach Gesprächen mit den zuständigen Stadtwerken haben wir – mit Unterstützung der Fraktionsmitglieder des Beirates – nun erreicht, dass im kommenden Frühjahr ein entsprechender Lift angeschafft wird, der den Zugang zum Schwimmbecken gewährleistet.

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