„Wir wissen schon zuviel“

Rund 450 Menschen haben am Samstag in der Trierer Innenstadt gegen die rechtsextremistische NPD demonstriert. An der Spitze des Protestzugs marschierte OB Klaus Jensen, der in einer kämpferischen Rede davor warnte, die Gefahr der braunen Umtriebe zu verharmlosen. Davor warnte auch ein Vertreter des DGB, der sich zugleich gegen die Vereinnahmung von Arbeitnehmeranliegen durch die Rechten verwahrte: Die Faschisten seien die „größten Feinde der Arbeitnehmer“. Hunderte Polizisten verhinderten, dass es zwischen den Teilnehmern einer NPD-Kundgebung und Gegendemonstranten zu Zusammenstößen kommen konnte. Jensen bedauerte, dass nicht noch mehr Menschen Flagge gegen die Faschisten zeigten, und in der Tat hätte die Resonanz angesichts von mehr als 30 Unterstützergruppen größer ausfallen können.

TRIER. Es ist nur eine unscheinbare Tafel, die an die Bedeutung des Orts erinnert. In der Sichelstraße, auf dem heutigen Rindertanzplatz, stand einst das Bischof-Korum-Haus. Felix Michael Korum wurde 1881 vom damaligen Papst zum Trierer Bischof ernannt. Vier Jahrzehnte stand der frühere Straßburger Dompfarrer fortan an der Spitze des Bistums. Nur wenige Monate vor Korums Tod im Dezember 1921 erklomm der damals noch weithin unbekannte Adolf Hitler die Spitze der NSDAP. Anfang der 1940er-Jahre wurde das nach dem langjährigen katholischen Oberhirten benannte Haus in der Rindertanzsstraße zu einem Ort des Schreckens: Hunderte jüdische Frauen und Kinder wurden hier interniert, bevor die Nazis sie in die Konzentrationslager deportierten.

Rund 450 Menschen passierten am Samstagmittag in einem Demonstrationszug diesen Ort, unterwegs zum alten Reichsbahngebäude, das sich heute Mehrgenerationenhaus nennt. Das Gebäude am Balduinsbrunnen war während der NS-Diktatur ebenfalls ein Ort des Terrors: Im Keller des monumentalen Baus wütete die Gestapo, woran Thomas Kupczik von der Arbeitsgemeinschaft Frieden (AGF) erinnerte. An der Nordfassade prangte am Samstag ein Transparent, darauf die Botschaft: „Trier braucht Dich und keine Nazis“. Während sich auf dem nur drei Fußminuten entfernten Bahnhofsvorplatz ein paar Braune sammelten, skandierten die Gegendemonstranten ihre Parolen. Ein Großaufgebot von Polizei hatte den gesamten Bereich um den Balduinsbrunnen sowie Hauptbahnhof, Christophstraße und Theodor-Heuss-Allee abgeriegelt. Wieder einmal befanden sich Teile der Innenstadt in einer Art Belagerungszustand.

Bereits zum achten Mal seit seinem Ausschluss aus dem Stadtrat im vergangenen September hatte der NPD-Kreisvorsitzende eine Kundgebung angemeldet, bezifferte Eileen Becker vom Multikulturellen Zentrum. „Da wir der Meinung sind, dass es keinen Aufmarsch von Faschisten geben darf – und schon gar nicht einen ungestörten, und man den Rechtsradikalen entschieden entgegen treten muss, haben wir uns unter dem Motto ‚Nazis reden nur Blech – Trier braucht dich und keine Nazis!‘ hier versammelt“, erklärte Becker vor der Porta Nigra. Da hatten erst rund 300 Menschen versammelt, von einem starken Signal gegen Rechts konnte nicht die Rede sein. Manche mutmaßten, die Semesterferien seien ein wesentlicher Grund für die schwache Resonanz. Doch waren es auch so vor allem junge Menschen aus dem studentischen Milieu, die gekommen waren; außerdem Trierer, die man bei vergleichbaren Veranstaltungen zuverlässig antrifft und die sich seit vielen Jahren gegen Rechts engagieren.

„Erbärmlich“ sei der Mobilsierungsgrad, kommentierte ein Teilnehmer der Gegendemonstrantion und fragte, wo denn die Trierer Bürgerschaft gewesen sei. Immerhin 33 Parteien, Gewerkschaften und weitere Gruppen hatten den Aufruf unterstützt. OB Klaus Jensen äußerte sich gegenüber 16vor zurückhaltender, zeigte sich aber ebenfalls „enttäuscht“ von der überschaubaren Resonanz. In seiner Rede ließ der Stadtchef dann seine Zurückhaltung rasch fahren, kämpferisch ging Jensen mit den Rechten ins Gericht. „Die Ideologie des Herrenmenschen hat in dieser Stadt keinen Platz“, betonte der OB, der entschieden davor warnte, die Gefahr von Rechts zu unterschätzen und das Phänomen zu bagatellisieren: Die NPD und ihre Anhänger hätten „die gleiche Einstellung und Denke“ wie seinerzeit die Nazis, und „wenn sie die Möglichkeiten hätten, dann würden sie auch die gleichen Dinge praktizieren“.

Jensen erinnerte daran, dass in den vergangenen 20 Jahren mehr als 150 Menschen von Rechtsextremisten ermordet oder getötet wurden. Der OB sprach sich unter großen Beifall für ein neuerliches Verbotsverfahren gegen die NPD aus. Es brauche hierfür auch keine zusätzlichen Informationen mehr, ist der Sozialdemokrat überzeugt: „Wir wissen schon zuviel und deshalb muss heute gehandelt werden“. Doch allein mit einem Verbot sei es nicht getan, auch die Zivilgesellschaft müsse sich stärker formieren: „Jeder Nazis in Trier ist zu viel, und jedem Nazi müssen wir 100, 1000 oder 100000 entgegen stellen“, verlangte der OB.

Dass die NPD die ungewisse Zukunft des Trierer Stahlwerks mit seinen mehr als 300 Beschäftigten als Anlass vorgab, ein weiteres Mal in Trier zu demonstrieren, rief Marcus Heintel vom Deutschen Gewerkschaftsbund auf den Plan. Jedem Versuch „neofaschistischer Rattenfängerei“ müsse entschieden entgegen getreten werden, verlangte der Gewerkschafter, die Nazis seien „die größten Feinde der Arbeitnehmerbewegung“. Der Versuch, sich nun als Anwalt der Stahlarbeiter aufzuspielen, sei perfide und durchschaubar. Heintel weiter: „Der Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für die Demokratie“.

Am Abend zog die Polizei eine Bilanz des Einsatzes: Es sei zu keinerlei Zwischenfällen oder Auseinandersetzungen gekommen, hieß es. Aufgrund der notwendigen Sperrungen sei es im Bereich von Trier-Nord zwar „zeitweilig“ zu Verkehrsbeeinträchtigungen gekommen, doch seien diese durch „verkehrsregelnde Maßnahmen rasch“ vermindert worden. Positiv bewertet die Trierer Polizei in einer Mitteilung insbesondere die Kooperation mit der Versammlungsleitung des Bündnisses gegen Rechts.

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