„Wir rocken das“

Mit dem Thema Europa ist seit Monaten wenn nicht Jahren kein Blumentopf mehr zu gewinnen. So scheint es jedenfalls, doch trat Katarina Barley am Samstag den Gegenbeweis an: Als leidenschaftliche Europäerin präsentierte sich die Schweicherin ihren Genossen in Kordel. Mit nachdenklichen Worten und auch etwas Pathos gewann sie die Unterstützung ihrer Partei, die sie mit einem fulminanten Ergebnis ins Rennen um das Direktmandat im Wahlkreis Trier schickte. „Jetzt beginnt der Wahlkampf“, erklärte Barley, „die Zeichen stehen auf Angriff“. Für die Abteilung Attacke standen aber mehr noch die designierte Ministerpräsidentin Malu Dreyer und ihr Noch-Amtskollege Nicolas Schmit. Derart engagiert war die Rede des luxemburgischen Arbeitsministers, dass man fast schon denken konnte, Schmit stünde selbst zur Wahl.

KORDEL. Für einen Moment wird es noch ein wenig stiller, verstummt auch das letzte Gespräch im Saal. Fast schon andächtig lauschen die Genossen jetzt der Rede Katarina Barleys. Manche wüssten ja, dass sie die Tochter eines Briten sei, sagt sie und berichtet nun davon, dass ihr Vater auf einer Farm in Ostengland aufgewachsen sei. Von dort habe er als Kind während des Weltkriegs beobachtet, wie Bomber der Royal Air Force aufstiegen und gen Deutschland flogen. Zur selben Zeit hielt sich ihre Mutter in der Nähe von Dresden auf, um nur einen Tag habe diese die Zerstörung der Elbmetropole verpasst. Man müsse sich das einmal vorstellen, fährt die Rednerin fort, die Bomber, denen ihr Vater so begeistert beim Start nachschaute, hätten beinahe ihre Mutter getötet. Die  Erlebnisse ihrer Eltern haben Barley geprägt, das Private ist bei ihr politisch geworden. „Europa ist viel mehr als der Euro“, sagt sie, „Europa ist eine Friedensunion“.

Barley muss die überzeugte Europäerin nicht mimen. Sie studierte Jura in Marburg und Paris, der Vater ihrer Kinder ist Spanier, dessen Mutter stammt aus den Niederlanden. Ihre beiden Söhne haben somit Großeltern aus vier europäischen Nationen. Am Institut für öffentliches Recht und Politik in Münster promovierte sie über das Kommunalwahlrecht für Bürger der Europäischen Union – bei Professor Bodo Pieroth, einem der renommiertesten deutschen Staatsrechtler. Barley arbeitete am Bundesverfassungsgericht und für eine Kanzlei in Hamburg. Ihr Schwerpunkt: Medizinrecht. Heute ist sie im Mainzer Justizministerium im Einsatz. An Ehrgeiz mangelt es ihr nicht, doch Allüren scheinen ihr fremd. Das hebt auch ihr Stellvertreter im  Vorsitz der SPD Trier-Saarburg hervor: „Ihre unprätentiöse Art macht sie so sympathisch“, sagt Christian Kruchten, Barley stehe wie Malu Dreyer für einen „neuen Politikstil“.

Völliges Neuland betritt die Schweicherin, die sich 2005 um das Amt der Landrätin für den Kreis Trier-Saarburg bewarb und gegen Günter Schartz  (CDU) unterlag, nicht, doch merkt man ihr die Anspannung vor und während ihrer Rede an. Und Barley muss lange warten, bis sie an der Reihe ist. Denn der Auftakt gehört ihrer Amtskollegin im Parteivorsitz, der Trierer SPD-Chefin Malu Dreyer.  Die Sozialministerin wirbt zunächst um Unterstützung in eigener Sache, eine Woche, bevor sie ein Landesparteitag in Mainz als Kandidatin für das Amt der Regierungschefin nominieren soll: „Ich brauche auch eure Kraft“, appelliert sie an die Genossen, sie zähle darauf, „dass ihr mit mir gemeinsam diesen neuen Weg geht“. Dreyer dankt dem Bundestagsabgeordneten Manfred Nink, der aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend ist, um dann auf Konfrontationskurs zu Berlin zu gehen: Die Schere zwischen Arm und Reich sei noch weiter auseinander gegangen, beklagt sie und fordert: „Wir brauchen eine andere Verteilungsgerechtigkeit“. Die Vermögen müssten so verteilt werden, „dass auch der Staat wieder handlungsfähig wird“. Dreyer sprach sich für die Einführung einer Bürgerversicherung aus und warf der Regierung Merkel vor, bei der Energiewende „nichts zustande bekommen“,  zu haben. „Völlig planlos“ sei die Koalition, diese nutze den Anstieg der Strompreise, um „mit Lug und Trug“ die Akzeptanz der Erneuerbaren Energien zu schwächen. Der Trierer DGB-Chef Christian Schmitz, der später für einen Platz auf der Landesliste der SPD nominiert wird, erklärt, er sei „unheimlich stolz“, dass die SPD bei der Beck-Nachfolge auf eine Sozialpolitikerin setze.

Barley zum Betreuungsgeld: gesellschaftspolitischer Irrsinn

Sozial- und Arbeitsmarktpolitik ist auch das Metier von Nicolas Schmit. Der Luxemburger ist Gastredner in Kordel, derart kämpferisch gerät sein Vortrag, dass man für einen Moment denken könnte, er stünde selbst zur Wahl. Der sozialistische Arbeitsminister beschwört das europapolitische Erbe Willy Brandts und Helmut Schmidts und ist überzeugt: „Ein Kanzler Steinbrück wird wieder eine klare Linie bringen“. Die amtierende Bundesregierung habe es während der gesamten Eurokrise an „Standfestigkeit“ missen lassen, zudem habe der Kurs der „absoluten Sparpolitik“ nicht zum Ziel geführt. „Wir müssen gemeinsam aus der Krise heraus wachsen“, verlangte Schmit, „Europa muss ein Stück Solidarität sein.“ Der Luxemburger forderte die Weiterentwicklung der EU zu einer „sozialen Union“.

Mehr als zwei Stunden sind vergangen, als endlich die Hauptrednerin ans Pult tritt. Auch Barley spart nicht mit Kritik an der Regierung Merkel, von einer „Chaos-Koalition“ spricht sie und erinnert an den ursprünglichen Ausstieg aus dem Atomausstieg. In der Energiepolitik sei kein klarer Kurs zu erkennen, vielmehr betreibe Schwarz-Gelb weiterhin „Lobby- und Klientelpolitik“ und habe erkennbar ein Interesse daran, mit Hilfe der Strompreisdebatte die Akzeptanz Erneuerbarer Energien zu untergraben. Das von der Berliner Koalition verabredete, aber noch nicht in Gesetzesform gegossene Betreuungsgeld nennt Barley „gesellschaftspolitischen Irrsinn“: Hier werde „Geld zum Fenster hinaus geworfen, dass wir händeringend an anderen Stellen brauchen, zum Beispiel für den Ausbau von Kitas“. Barley spricht sich für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn aus, kommt aber auch auf Versäumnisse der Regierung Schröder zu sprechen: „Wir können ja nicht verschweigen, dass wir an einigen falschen Weichenstellungen beteiligt waren“, räumt sie ein, doch sei es nun an der Zeit, beispielsweise dem Missbrauch bei der Leiharbeit Einhalt zu gebieten.

Das kommt an bei den eigenen Anhängern, doch vermag sie die Sozialdemokraten im Saal noch nicht zu Begeisterungsstürmen hinzureißen. Als sie sich verhaspelt und neu ansetzt, sagt sie scherzhaft an die Adresse der Medienvertreter: „Ich hoffe, das schreibt die Presse jetzt meiner unprätentiösen Art zu“.  Barley wird ihren eigentlichen Gegner, den CDU-Direktkandidaten Bernhard Kaster an diesem Tag nicht beim Namen nennen – wie auch der Unionsmann am vergangenen Mittwoch die Sozialdemokratin unerwähnt ließ. Doch die 43-Jährige zweifelt Kasters Bilanz an: Man habe ja mitunter den Eindruck, „die Region Trier sitzt bei der Deutschen Bahn andauernd auf dem Schoß“, ironisierte sie, doch bei der Anbindung an den Fernverkehr tue sich nichts; was den zweigleisigen Ausbau der Bahnstrecke bei Igel anbelangt, sei es nicht Peter Ramsauer gewesen (CSU), der dieses Projekt vorangebracht habe, sondern dessen Vorgänger Wolfgang Tiefensee (SPD). Und der Ausbau der Moselschleusen komme nicht voran.

Gegen Ende ihrer Rede kommt Barley dann auf Europa zu sprechen. „Mir tut das weh, wenn jetzt wieder die alten Vorurteile aufleben“, sagt sie und erinnert an die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Ländern wie Spanien. Dort drohe eine „verlorene Generation“, es sei wohl kaum möglich, diese junge Menschen noch für Europa zu begeistern. Es folgen die Erzählungen von ihren Eltern. „Wir müssen Europa nach Berlin tragen“, erklärt sie das Rennen ums Direktmandat für eröffnet: „Die Zeichen stehen auf Angriff“. Für ihre Rede und ihre Kampfansage wird Barley von den Genossen mit Ovationen gefeiert – und mit einem Traumergebnis bedacht: 98,5 Prozent Zustimmung, nur eine Gegenstimme. Nun fällt auch die letzte Anspannung von ihr ab: „Wir rocken das“, ruft sie strahlend in den Saal. Eine, wenn nicht die wichtigste Rolle in ihrer Kampagne wird der Trierer SPD-Vize Markus Nöhl spielen, der per Handzeichen einstimmig als erster weiterer Bewerber für einen Platz auf der Landesliste nominiert wurde. Er freue sich auf die Auseinandersetzung, erklärte Nöhl, „mir macht Wahlkampf Spaß“.

 

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