„Wir müssen jetzt zu Potte kommen“

An Diskussions- und Konfliktstoff mangelte es nicht, doch dominierten am Montagabend sachliche Töne in der Aula des AVG. Auf Einladung der SPD diskutierten Eltern, Lehrer und Kommunalpolitiker über die umstrittenen Vorschläge Wolf Kraemer-Mandeaus. Der Gutachter verteidigte seinen Entwurf für einen Schulentwicklungsplan und attestierte den Kritikern, einem „Soziotop-Denken“ anzuhängen. OB Klaus Jensen appellierte, „das Gesamtgefüge der Stadt“ im Blick zu behalten; es gebe im Land keinen vergleichbaren Ort mit einer größeren Schuldichte. Trotz der konstruktiven Atmosphäre – im Detail besteht die Kritik an zahlreichen Ideen des Gutachters fort. Stadtspitze und Ratsmitglieder stehen nun vor der Herausforderung, Entscheidungen treffen und sich hierbei auch über stichhaltige Argumente hinwegsetzen zu müssen.

TRIER. „2010 sollten wir geschlossen werden, weil wir zu wenig Kinder hatten. Heute sollen wir aus dem Gebäude raus, weil es zu klein ist“. Wenn es noch eines Beispiels bedurft hätte, dass die Trierer Schulpolitik seit etlichen Jahren auf Sicht fährt – Christina Steinmetz lieferte ihn. Denn was die Leiterin der Matthias-Grundschule für ihre Einrichtung zu berichten wusste, davon können auch Kolleginnen zahlreicher anderen Grundschulen im Stadtgebiet ein Lied singen. Standorte wurden in einem Jahr garantiert, um dann im folgenden wieder infrage gestellt zu werden. So war es auch im Fall Pfalzel: 2010 vermerkte die Verwaltung auf der Online-Plattform des Bürgerhaushalts, dass der Standort der Grundschule in den „nächsten zehn Jahren“ nicht mehr gefährdet sei. Dann kam Wolf Kraemer-Mandeau und plötzlich stand die Existenz der Schule nun doch wieder zur Debatte.

„Pfalzel ist sich einig: Die Schule bleibt im Dorf“, prangt auf mehr als einem Dutzend weißen T-Shirts, die sich über die Oberkörper ebenso vieler Lehrer und Eltern spannen. Sie sind mit von der Partie, als am Montagabend in der Aula des Auguste-Viktoria-Gymnasiums über das geplante Schulentwicklungskonzept diskutiert wird. Die Veranstaltung verspricht spannend zu werden, wird doch gleich zum Auftakt der Oberbürgermeister sprechen. Aus der öffentlichen Diskussion hatte sich Klaus Jensen (SPD) bislang auffallend zurückgehalten. Auch wenn er nun betont, dass die Bildungspolitik eine „Querschnittaufgabe“ sei und für den Stadtvorstand „höchste Priorität“ habe, so traten mit dem kommunalpolitischen Thema Nummer eins bislang vor allem zwei Menschen in Erscheinung: Gutachter Kraemer-Mandeau und Bildungsdezernentin Angelika Birk (B90/Die Grünen). Auch jetzt bleibt sich Jensen treu, vermeidet klare Kante: „In nicht allzu ferner Zeit“ werde man „natürlich auch als Stadtvorstand Position beziehen“, kündigt er an und appelliert an seine Zuhörer, das große Ganze im Blick zu behalten. Jensen fordert „eine gewisse Grundsolidarität“ ein, auch die Kritiker müssten das „Gesamtgefüge der Stadt“ bedenken. Und überhaupt: „Es gibt keine vergleichbare Stadt mit einer so hohen Schuldichte“.

Dass sich „nicht alle Zielkonflikte lösen lassen“, sagt der Stadtchef auch, deshalb werde es auf jeden Fall Enttäuschungen geben. Auf den Grundkonflikt zwischen „Wünschbarem und Machbaren“ wird gleich darauf auch Kraemer-Mandeau eingehen. Der Gutachter macht deutlich, dass er im Grundsatz von seinen Positionen nicht abweichen wird: Grundschulen müssten mindestens zweizügig sein, Sekundarschulen mindestens dreizügig. Er verteidigt seinen Vorschlag, Barbara- und Egbert-Grundschule am Standort der früheren Robert-Schuman-Realschule zu fusionieren ebenso, wie die Idee, mit der Kurfürst-Balduin-Realschule plus nach Ehrang umzuziehen. Er habe „große Angst“, dass im Schulzentrum Mäusheckerweg umsonst saniert und ausgebaut wurde, begründet Kraemer-Mandeau seine Position. So geht der Gutachter eine Schule nach der anderen durch, und auch wenn er am Ende nicht alle abgehandelt haben wird – das Credo seiner Überlegungen ist einmal mehr klar: Für einen Erhalt aller Standorte fehle der Stadt das Geld, würden alle bestehenden Schulen auf Vordermann gebracht, werde bis 2050 dauern – mindestens. Es gehe deshalb darum, die begrenzten Mittel gezielt und planmäßig einzusetzen. „Vielleicht war ich jetzt die Spaßbremse“, beendet der Experte seinen Kurzvortrag – und erntet Applaus.

Kein Zwischenruf, nirgends. Dabei schont der Experte seine Zuhörer nicht. Etwa wenn er sagt: „Es gibt ein Soziotop-Denken bei Ihnen“; für manche sei offenbar schon die Vorstellung, ihr Kind müsse für den Schulbesuch die Mosel überqueren, eine Zumutung. Nicht nur Kraemer-Mandeau wird an diesem Abend immer wieder auf die vergleichsweise komfortable Trierer Lage zu sprechen kommen. Auch Günther Behr, Geschäftsführer der Handwerkskammer, wirft ein: „Was sagen eigentlich die Eltern von Kindern in der Eifel, wenn sie mitbekommen, worüber wir hier in Trier diskutieren?“ Die Stadt habe kein Geld, gibt  Dr. Regina Bux zu bedenken. Man habe in den vergangenen Jahren viele Entscheidungen getroffen,  „viele ohne roten Faden“. Im Einzelfall habe jede dieser Entscheidungen ihre Berechtigung gehabt, aber in einem Gesamtrahmen hätte man sich nach Meinung vielleicht doch manchmal anders entschieden, ist die schulpolitische Sprecherin der SPD-Ratsfraktion überzeugt. Ein planloses „Weiter so“ sei nicht zu verantworten, warnte sie.

Ähnlich äußerte sich Günther Behr in der von TV-Redakteur Dieter Lintz moderierten Runde. Der Hwk-Mann war mit dabei, als sich vor sieben Jahren der „Runde Tisch“ zum Schulentwicklungskonzept formierte. Drei Jahre lang tagte man und lieferte dann auch ein Gesamtkonzept, doch das ging im Vorfeld des Kommunalwahlkampfs 2009 unter. Unpopuläre Entscheidungen sollten vor dem Urnengang keine mehr getroffen werden, „kurze Beine, kurze Wege“ lautete nun die Parole, mit der unter anderem die CDU Front machte gegen Schulschließungen. Ihm werde bei dem Slogan „kurze Beine, kurze Wege“ immer noch „irgendwie komisch“, erklärte Behr, man solle da mal „den Ball flach halten“. Einzig Markus Häusler von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wollte andere Akzente setzen als seine Mitdiskutanten auf dem Podium. „Ich möchte nicht über Geld sprechen, sondern pädagogische Fragen in den Vordergrund stellen“. Die Stadt müsse die Schulen einem Qualitätstest unterziehen. Klar sprach sich Häusler gegen einer Verlagerung der Balduin-Realschule plus nach Ehrang aus – „das funktioniert so einfach nicht“. Klaus-Günter Süssmann machte derweil Druck: „Wir müssen jetzt zu Potte kommen“. Er sei dankbar für das unabhängige Gutachten, erklärte der ADD-Vertreter, doch nachdem nun ausreichend Stellungnahmen von den Betroffenen eingegangen seien, sei es an der Zeit, Entscheidungen zu treffen.

Die Vertreter unterschiedlicher Schulen, ob aus Elternschaft oder Lehrerkollegien, aber auch aus den Ortsbeiräten, meldeten am Montagabend erneut ihre Bedenken und Fragen an und lieferten zahlreiche Argumente, um ihre Positionen zu untermauern. In vier Workshops wurde über die verschiedenen „Regionen“ im Stadtgebiet diskutiert, und auch hierbei zeigte sich eine wohltuende Sachlichkeit. Bedenkenswerte Aspekte wurden ins Feld geführt, etwa für den Erhalt der Egbert-Grundschule oder die Standortsicherung der Balduin-Realschule plus. Mehrere Teilnehmer der Workshops erklärten auch, sie wünschten sich endlich Klarheit und eine „stärkere Positionierung der Stadt“. Aus Pfalzel signalisierte man derweil grundsätzliche Bereitschaft, die Grundschule Biewer aufzunehmen. Aus Tarforst war zu hören, dass – wenn an einem Schülertransport kein Weg mehr vorbeiführe – dieser doch bitte im Klassenverband stattfinden solle.

Und wie positioniert sich nun die SPD in der Schuldebatte? Gleich zu Beginn hatte Fraktionschef Sven Teuber klar gemacht, dass seine Partei den Abend als „Informationsaustausch“ verstehe und man sich „bewusst noch nicht festgelegt“ habe. Man werde die Argumente nun intern abwägen. Den Sozialdemokraten sei es vor allem wichtig gewesen, „dass wir mal Ruhe in das Thema bringen“, so Teuber.

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