„Wir kommen nur lokal voran“

Global denken, lokal handeln – getreu dieser Devise initiierte der Verein Lokale Agenda 21 in den vergangenen 13 Jahren schon ungezählte Projekte, um den Auftrag der Rio-Konferenz auch in Trier voranzubringen. Mit Dieter Sadowski hat sich der Verein nun einen Hochkaräter an die Spitze gewählt. Im Gespräch mit 16vor erklärt der Ehrenprofessor von Lumubashi und langjährige Direktor des Trierer Instituts für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen in der Europäischen Gemeinschaft (IAAEG), welche Schwerpunkte er setzen möchte, was er an OB Klaus Jensen schätzt und inwiefern die Stadt hinzugelernt hat. Bei aller Sympathie für Bürgerbeteiligung – Sadowski ist auch ein Freund der repräsentativen Demokratie, und er kann dem bisweilen inflationär gebrauchten Begriff „Nachhaltigkeit“ noch einiges abgewinnen.

TRIER. „Haben Sie schon unseren Ausblick genossen?“, begrüßt Dieter Sadowski den Besucher, „von hier aus sehen Sie die Mosel“. Die Aussicht könnte für den 66-Jährigen in der Tat nicht besser sein, hier oben im sechsten Stock des früheren französischen Hospitals. Eigentlich dürfte es das monumentale Gebäude nicht mehr geben, zumindest favorisierten manche nach dem Abzug der Franzosen die Sprengung des riesigen Komplexes. Alles andere sei zu aufwändig und nicht finanzierbar, erinnert sich Sadowski an die damaligen Diskussionen. Da war er noch Verwaltungsrat des Studierendenwerks. Das Hospital mit seinen Hunderten Räumen steht – rundum saniert – noch immer und bildet heute den Campus II; und bietet dem im vergangenen Jahr emeritierten Professor etwas Platz für sein weiteres Schaffen.

„Mich haben die Götter ungemein gestraft mit meinen Gaben“, steht auf einem Plakat geschrieben, das auf einer Ablage in Sadowskis Büro liegt. Das Bonmot stammt von Horst Janssen, dem kunstsinnigen Wirtschaftswissenschaftler gefällt es. Vielleicht ist Sadowski so etwas wie die Idealbesetzung für die Aufgabe, die er nun übernommen hat – die des Vorsitzenden des Lokale Agenda Trier e.V. In europäischen und globalen Dimensionen zu denken war wesentlicher Teil seiner wissenschaftlichen Laufbahn und ist es bis heute. Als Gastprofessor kam der gebürtige Coburger in Berlin und Paris, Florenz und Aix-en-Provence zum Einsatz. Sadowski lehrte an der University of New England (Australien) und in Florida, arbeitete in Stanford und Quingdao (China), obendrein ist er Ehrenprofessor der Universität Lubumbashi (Kongo). Doch obwohl oder gerade weil er viel herum kam in der Welt, ist Sadowski überzeugt: „Wir kommen nur lokal voran!“

„Allein auf den Konsumenten zu hoffen, ist illusorisch“

Voranbringen will er deshalb nun den Trierer Agenda-Prozess. Kürzlich trat er die Nachfolge seines Kollegen Bernd Hamm an, der Trier in Richtung Berlin verlassen hat. Nun also Sadowski, der Anfang der 80er an die Mosel kam und als Professor für Betriebswirtschaftslehre, vor allem aber als langjähriger Gründungsdirektor des renommierten Instituts für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen in der Europäischen Gemeinschaft weit über Trier hinaus Reputation genießt. Den bisweilen ins Missionarische reichenden Impetus seines Vorgängers Hamm bringt er nicht mit, und als besonders umweltbewegter Zeitgenosse trat er bislang auch nicht in Erscheinung – auch wenn er sich mittlerweile ein Pedelec zugelegt hat, um zumindest einige Autofahrten von seinem Zuhause auf der Tarforster Höhe ins Trierer Tal zu vermeiden. „Bei der Agenda muss man schon mit dem Rad kommen“, scherzt er.

Fragt man Sadowski, wie er zur LA 21 kam, verweist er auf den Dreiklang des Agenda-Anspruchs und erinnert daran, dass es um ökologische, aber auch um ökonomische und soziale Nachhaltigkeit geht. Über „Betriebswirtschaftslehre und Bildungsökonomie“ hat er 1979 in Bonn promoviert, in Bildung sieht er einen der wichtigsten Schlüssel zu sozialem Aufstieg und somit zur Bekämpfung sozialer Ungleichheiten. Ein Großteil der Arbeit der Lokalen Agenda macht die Bildungsarbeit aus, Angebote wie das „Zukunftsdiplom“, um nur ein besonders erfolgreiches zu nennen. Sadowski schätzt solche Angebote und setzt darauf, dass diese helfen, bei Kindern das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie sie später beispielsweise mit endlichen Ressourcen umgehen sollten. Doch der neue Agenda-Chef sagt auch: „Allein auf den Konsumenten zu hoffen, ist illusorisch! Der größere Druck wird durch die Presse und auch den Staat ausgeübt, der sich seiner Verantwortung bewusst sein muss“. Dennoch appelliere er natürlich an die Verbraucher, „im Rahmen ihrer Möglichkeiten aktiv zu werden“.

Sadowski ist jetzt rasch bei einem der großen Themen der LA 21 – der regionalen Energiewende. Mehrere Bürgersolarkraftwerke hat der Verein auf den Weg gebracht, außerdem zählt er zu den Gründern und Gesellschaftern der Trierer Energiegenossenschaft TRENEG. „Trier hat in den vergangenen Jahren viel dazugelernt, was man unter anderem bei der Energiepolitik feststellen kann“, lobt er und verweist auch auf die Anstrengungen der Stadtwerke Trier auf diesem Feld. Doch aus seiner Sicht kommt etwas in diesem Prozess zu kurz: „Bevor wir beispielsweise die Energieeffizienz zu erhöhen versuchen oder über neue Formen der Energieproduktion nachdenken, sollten wir schauen, wie wir Energieverbrauch vermeiden können“, verlangt er. Potenzial, die Nachfrage nach Energie zu senken, sieht er unter anderem in stärkeren Anstregungen zur Abfallvermeidung. „Hier planen wir eine Kooperation mit der ART“, kündigt er an.

Sadowski über den OB: Jensen hört zu und macht Mut.

Sadowski will vor Ort beginnen. Angesprochen auf die Ohnmacht, die viele Menschen ob der nicht enden wollenden Schlagzeilen über die Schuldenkrise in Griechenland und in anderen Staaten befallen muss, antwortet er: „Die Finanzkrise der Kleinen ist ja die Finanzkrise der Kommunen. Solange die Spielräume so eng sind, werden Formen der Beteiligung wie etwa der Bürgerhaushalt eine schwierige Angelegenheit, weil Sie keinen Vorschlag umsetzen können“. Apropos Bürgerbeteiligung: Hiermit sammelte der Agenda-Verein schon reichlich Erfahrung, nicht immer führte das Engagement zum gewünschten Ziel. So werden die Ergebnisse eines Workshops zur Aufwertung des Alleenrings absehbar wohl nicht mehr umgesetzt, weil eine Mehrheit des Stadtrats eine erneute Verlängerung des Pachtvertrags für die Tankstelle in der Ostallee beschloss. „Was die ‚Blaue Lagune‘ angeht – das fand ich vom Stadtrat politisch mutlos, das muss ich schon sagen“.

Er sei ein klarer Befürworter der repräsentativen Demokratie, stellt der Agenda-Vorsitzende klar; anhören, argumentieren und dann entscheiden – so stellt er sich den idealen Entscheidungsprozess vor. Sadowski wird nun konkreter: „Ich glaube nicht, dass beispielsweise die Diskussion über den Schulentwicklungsplan ein gutes Beispiel für eine klare und mutige Linie hergibt; vor allem, wenn man nur das Argument ‚Kleine Beine, kurze Wege‘ gebraucht. Das ist schon etwas zu wenig.“ Für den Oberbürgermeister hat er hingegen Lob parat: „Wir haben mit Klaus Jensen und auch mit Toni Loosen-Bach (Jensens Beauftragter für Bürgerbeteiligung; Anm. d. Red.) eine sehr kooperative Zusammenarbeit. Herr Jensen hört zu und interessiert sich wirklich für das, was wir machen – und er macht Mut“. Hohen Respekt zollt Sadowski dem Team der LA-21-Geschäftsstelle: „Das ist schon enorm, was die Geschäftsführung der Lokalen Agenda in den vergangenen Jahren geleistet hat. Da ist viel mehr als der monetäre Anreiz“.

Plädoyer für einen Mindestlohn

Der Idee, die dem Ganzen zugrunde liegt, kann der Ökonom viel abgewinnen. Sadowski verteidigt denn auch den Begriff der „Nachhaltigkeit“, bei dem es mitunter den Anschein hat, als müsse er inzwischen für alles und nichts herhalten. „Es stimmt schon, dass der Begriff bisweilen inflationär gebraucht wird. Aber er hat immer noch etwas für sich, weil er von vornherein klarmacht, dass es nicht um spezifische Interessen von Gruppen geht, also um Partikularinteressen. Er ist auch nicht abonniert durch eine bestimmte Disziplin, etwa durch die Ökonomen“, so Sadowski, der zugleich ergänzt: „Wichtig ist aber: Sag konkret, was du dafür tun wirst! Dann verliert der Begriff das Inflationäre“. Der Ansatz habe im Übrigen auch etwas zutiefst konservatives.

Ist Sadowski ein Konversativer? Er überlegt, zögert kurz mit einer Antwort, bis er grundsätzlich wird: „Ich glaube schon, dass wir uns bewusst sein sollten, dass wir nicht in der Schlechtesten aller Welten leben, aber dass es durchaus Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Ich halte zum Beispiel das Thema Kinderarmut für unterschätzt, obwohl es größer sein wird als das der Altersarmut. Oder schauen Sie in den Süden Europas, auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien und Italien. Was ist das für eine Zukunft?“ Aber man müsse auch nicht so weit gehen, um größere Herausforderungen zu orten: „Ob die Deutschen ihre Beschäftigungserfolge so feiern sollten, wie sie es tun? Angesichts von rund 20 Prozent geringfügiger Beschäftigung? Ich bin da skeptisch!“ Sadowski weiter: „Ich denke, da wo Tarifvereinbarungen unwirksam geworden sind, braucht es einen Mindestlohn.“

In Trier werden Fragen wie diese nicht entschieden, doch allein in lokalen Kategorien zu denken wäre seine Sache nicht. Da wird Sadowskis Blick auch künftig weit über die Höhen von Hunsrück und Eifel reichen, die er vom sechsten Stock des ehemaligen Hospitals erblicken kann.

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