„Wir haben auch Ikea-Messer in der Küche“
In der ältesten Stadt Deutschlands kommen in der Karl-Marx-Straße zwei der ältesten Berufe zusammen. Da sind Frauen, die ihren Körper für Geld anbieten, und dort arbeitet ein Mann, der Frauen glücklich macht. Simon Christoffel ist Goldschmied. In seiner Werkstatt fertigt er aber auch andere Schmuckstücke, die überwiegend Männerherzen höherschlagen lassen. Christoffel besitzt noch die Gabe, ein aus der Zeit gefallenes Handwerk auszuüben: Er stellt Messer her.
TRIER. In beleuchteten Vitrinen liegen goldene Ohrringe, Armreife und Broschen mit Edelsteinen verziert. Geht man durch den Raum und den weißen Vorhang am Ende hindurch, kommt man an den Ort, an dem die Schmuckstücke entstehen. „Es sieht ein bisschen unordentlich aus“, entschuldigt sich Simon Christoffel, der mit seinen Händen das erschafft, was Frauen beglückt. Während der Verkaufsraum penibel sauber wirkt und es überall glänzt, wirkt die Werkstatt wie eine chaotische Rumpelkammer, vollgestopft mit Werkzeugen und Schleifsteinen. Doch schnell wird klar: Der Meister findet sich in seiner eigenen Unordnung hervorragend zurecht.
Der gebürtige Trierer wuchs in einer Goldschmiede-Werkstatt auf, spielte mit Zangen und dem Goldstaub, der sich auf dem Arbeitstisch zu kleinen Häufchen ansammelte. Von seinem Vater erlernte er die Kunst des Goldschmiedens, bevor er eine Fachschule für Edelstein und Schmuck besuchte. „Ich kann mich nicht erinnern, was ich als Kind machen wollte“, überlegt Christoffel. Er ist in den Beruf hineingerutscht.
Sein Blick ist stark auf sein Gegenüber gerichtet, wenn er vom Schleifen und Schmelzen von Gold und Silber spricht. Erst, wenn er beginnt, von „seiner Liebhaberei“ zu reden, blüht er auf. Schon als Kind habe er für Messer geschwärmt. Da er sich allerdings keins leisten konnte, fragte er sich: „Kann man sich das nicht irgendwie selber machen?“ Als erstes Exemplar diente ein abgebrochenes Sägeblatt, das er zurechtschnitt und feilte, erzählt er lachend, als würde er es selbst absurd finden, wie man auf diese Weise ein Messer herstellen könne. Was daraus entstand, war ein Hobby, das er bis heute nicht aufgeben möchte. Und das ihm deutlich spürbar am Herzen liegt.
Die Geschichte des Messers geht bis an die Anfänge der Menschheitsgeschichte zurück. Schon in der Steinzeit begannen die Menschen, Steine, Holz und Knochen spitz zu schlagen, um sich Werkzeuge zu Nutzen zu machen. Ab dem 18. Jahrhundert zählte das Messer dann offiziell zum Essbesteck. Das Handwerk der Messerschmiede war vor allem im Mittelalter weit verbreitet.
Eine alte Messerschmiede aus dem 20. Jahrhundert lässt sich im „Freilichtmuseum Roscheider Hof“ in Konz besichtigen – wobei sich für Messerliebhaber der Blick durch zwei Fenster auf Schleifsteine nicht lohnen dürfte. Das gesamte Museum hingegen ist einen Besuch wert.
Die heutige Hochburg für Messermacher ist Solingen, wo jährlich eine große „Messer Macher Messe“ stattfindet, die auch Christoffel gerne besucht. Der Goldschmied, der immer ein Messer bei sich trägt, macht „Gebrauchsmesser für jeden Tag“. Zum Kochen, Zerkleinern, Briefe öffnen… Und um seine 6-jährige Tochter glücklich zu machen, wenn er ihr Rindenboote im Wald schnitzt. Dass er später eher mit seinem Schmuck ihre Augen zum Funkeln bringt, ist in diesem Moment egal.
„Es fängt an beim Entwurf, den ich aufzeichne“, erklärt Christoffel die Schritte zur Messerherstellung. Anschließend überträgt er mithilfe von Schablonen den Entwurf auf Stahl. Die Klinge wird mit einer Stahlsäge ausgeschnitten und an einer Bandschleifmaschine in seine Form gebracht. Zum Härten schickt Christoffel seine Messer an Stahlhärte-Unternehmen – sein Backofen würde da nicht ausreichen. Hat er seine Klinge wieder, wird sie erneut geschliffen und ein Griff angefertigt. Und hier kommt der Künstler aus ihm heraus, denn hier hat er alle Freiheiten, einen „Griff fürs Auge“, wie er es nennt, zu erstellen. Einen Griff also, der nicht nur gut in der Hand liegt, sondern auch besonders schön aussieht. Dazu ersteht er im Internet die kuriosesten Gegenstände: australische Baumzapfen, eine fossile Rippe einer ausgestorbenen Seekuh, Springbockhörner und Geweihe.
Man sieht Christoffel – der, wie er grinsend erzählt, in einem Kilt geheiratet hat – sein Faible für ausgefallene Sachen an. Seine langen, dunklen Haare, der Bart, das Handwerk – es zeigt den Menschen, der „keine großen Menschenansammlungen“ mag und sich zurückgezogen in einer Werkstatt, mit seinen Gedanken, seinem Gold, wohlfühlt. Trotzdem empfindet er sein Hobby nicht als einsam. Es sei nur ein bisschen aus der Zeit gefallen.
„Wir haben auch Ikea-Messer in unserer Küche“, gibt er zu und macht damit deutlich, dass es schwer ist, sich gegen die industrielle Messerherstellung durchzusetzten. „Ich würde gerne mehr Messer machen.“ Bisher komme er auf drei, vier im Jahr, von denen er nur wenige an den Mann bringe. Und so wird Christoffels Messer-Hobby vorerst nur ein Hobby bleiben. Wenn auch ein ausgefallenes.