„Wie soll man das erklären?“

Allenthalben ist von Fachkräftemangel die Rede, ebenso regelmäßig fordern Bildungspolitiker mehr akademischen Nachwuchs. Aus dem Blick geraten derweil Menschen mit geringer Qualifikation. Von der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt konnten sie bislang kaum profitieren. Es mangele an Beschäftigungsmöglichkeiten, erklärt die Bundesagentur für Arbeit in Trier, mehr als 1.700 niedrigqualifzierten Arbeitslosen stünden gerade mal 140 offene Stellen gegenüber. Der Trierer DGB kritisiert: Die Situation der Betroffenen habe sich deutlich verschlechtert. So würden Niedrigqualifizierte heute wesentlich schlechter bezahlt als noch vor 20 Jahren. In der Region wird inzwischen jede zweite Stelle für Niedrigqualifizierte von Leiharbeitsfirmen angeboten.

TRIER. Julia Franzen ist guter Dinge. In einigen Monaten wird sie ihre Ausbildung beginnen, im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes sammelt sie derzeit erste praktische Erfahrungen. Franzen, die ihren richtigen Namen für sich behalten möchte, arbeitet im Seniorenzentrum der Barmherzigen Brüder in Trier. Sie möchte Altenpflegehelferin werden. Anderen Menschen helfen, erklärt sie, das habe ihr schon immer Spaß gemacht: „Wenn es anderen gut geht, freue ich mich“. Das Gefühl, gebraucht zu werden, tut ihr gut. Zumal Julia Franzens Ausgangssituation nicht die Beste war: Erst besuchte sie eine Förderschule, anschließend absolvierte sie ihren Hauptschulabschluss.

Wenn Kammern, Verbände und Politiker über Fachkräftemangel klagen, denken sie zunächst nicht an Menschen wie Julia Franzen. Dass viele Branchen händeringend nach qualifizierten Bewerbern suchen, führt dazu, dass die Gruppe der Niedrigqualifizierten mitunter kaum noch wahrgenommen wird; Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung oder solche, die seit mehreren Jahren nicht mehr in ihrem erlernten Job tätig waren. Diese Arbeitslosen haben es ungleich schwerer. Auch in der Region Trier sind ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt „deutlich schlechter“, bestätigt die Bundesagentur für Arbeit auf Anfrage gegenüber 16vor und liefert auch konkrete Zahlen: Von den aktuell rund 3.200 Arbeitslosen in der Stadt seien etwa 1.740 gering qualifiziert. Dem stünden aber nur ca. 140 Stellen auf Helferniveau gegenüber – Jobs, für die man keine Ausbildung vorweisen muss. Von der insgesamt positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hätten Geringqualifzierte bislang kaum profitiert. Es mangele an Beschäftigungsmöglichkeiten, so die Bundesagentur.

Daniel Knopp, Leiter des Seniorenzentrums der Barmherzigen Brüder, mangelt es nicht an Arbeit. Der Begriff „Pflegenotstand“ ist schließlich ebenso allgegenwärtig wie das Schlagwort „Fachkräftemangel“. Knopp und sein Team sind bei ihrer täglichen Arbeit auf Altenpflegehelferinnen angewiesen. Kolleginnen wie Julia Franzen, die im Spätsommer nächsten Jahres ihre einjährige Ausbildung abgeschlossen haben wird – wenn denn alles nach Plan läuft. Damit eventuelle Schwierigkeiten gemeistert werden können, erhält die 19-Jährige begleitend zu ihrer Ausbildung vom Trierer Palais e.V. Unterstützung. Denn aufgrund ihrer schulischen Vorbildung bringt Julia Franzen gewisse theoretische Defizite mit. Auch „weiche“ Kompetenzen wie Kritikfähigkeit oder die Bereitschaft, sich in ein Team einzufügen, müssten viele junge Menschen noch erlernen, berichtet Jens Kaiser vom Palais e.V.

Unterstützung vom Azubi-Coach

Hier hilft der Azubi-Coach, der als Ansprechpartner bereit steht und oft schon bei der Berufsorientierung hilft. Kommt es während der Ausbildung zu Problemen im Arbeitsalltag, zu Motivationskrisen oder Situationen, in denen der Auszubildende fachliche oder mentale Unterstützung benötigt, sind Leute wie Jens Kaiser zur Stelle. „Ich bin froh, dass ich diese Hilfe habe“, sagt Julia Franzen, und Daniel Knopp ist überzeugt: „Ohne ein solches Angebot würden viele Auszubildende auf der Strecke bleiben“. Denn was im Rahmen dieses Programms an Unterstützung geboten werde, das könne eine Einrichtung wie das Seniorenzentrum überhaupt nicht leisten. Und auch an der Berufsschule lasse sich nicht in gleichem Maße derart gezielt und individuell auf die Problemlagen der Auszubildenden eingehen. Das bestätigt auch Kaiser, der zugleich betont, dass die Teilnahme an einem solchen Programm von den Unternehmen einige Offenheit verlange.

Der Azubi-Coach ist nur eines von mehreren Programmen, die vor allem ein Ziel haben: Jungen Menschen, deren intellektuelle Voraussetzungen für eine höhere Schulbildung nicht ausreichen oder die aus unterschiedlichen Gründen vom rechten Schulweg abgekommen sind, eine berufliche Perspektive zu eröffnen. Zu den Programmen zählt auch BIMA, ein Projekt, das eine flankierende Qualifizierung innerhalb einer Arbeitsgelegenheit bietet. Laut Sandra Grau, Leiterin des Bereichs Berufshilfe beim Palais e.V., wurden zwischen 2006 und 2011 insgesamt rund 230 Menschen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren im Rahmen von BIMA begleitet. „Mehr als die Hälfte der Teilnehmer konnte innerhalb der Maßnahme eine berufliche Perspektive für sich erarbeiten“, beziffert sie. Doch seit Jahren werden die Pauschalen gekürzt, und durch eine Instrumentenreform der Bundesagentur für Arbeit, die zum 1. April in Kraft trat, könne BIMA in der bisherigen Form 2013 nicht mehr angeboten werden. Denn künftig seien weder Qualifizierungen noch soziale Betreuung im Rahmen von Arbeitsgelegenheiten möglich, erläutert Grau.

Ob das Projekt Azubi-Coach im kommenden Jahr fortgeführt werden kann, sei „noch nicht geklärt“, so Grau. Zwar wird dieses Programm nicht von der Instrumentenreform tangiert, weil die Zuschüsse über die sogenannte freie Förderung laufen, die von der Bundesagentur gestärkt werden soll. Allerdings seien die Mittel auch in diesem Bereich stark gekürzt worden und die Finanzierung des Programms deshalb zumindest fraglich. Für Daniel Knopp vom Seniorenzentrum ist die Sache klar: „Es wäre fatal, wenn es den Azubi-Coach nicht mehr gäbe“. Sandra Grau sagt: „Förderung kostet extrem viel Geld“, schließlich müssten junge Menschen in schwierigen Lebensphasen und mit einer Vielzahl unterschiedler Probleme fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden. Für die Fachfrau ist aber auch klar: Wird an dieser Stelle gespart, würde es die Gesellschaft am Ende teurer zu stehen kommen.

Denn es handelt sich nicht um einige wenige Einzelfälle. Im Gegenteil: Allein in der Region Trier brechen laut Arbeitsagentur jedes Jahr rund 1000 junge Menschen ihre Ausbildung ab. Nur die Hälfte von ihnen nimmt eine neue Ausbildung auf. Und es sind mitnichten nur Jugendliche aus sogenannten bildungsfernen Schichten, die Förderung benötigen – auch in bürgerlichen Kreisen geraten junge Menschen schon mal in Krisen, brechen die Schule ab oder sind völlig orientierungslos wenn es darum geht, wohin die berufliche Reise gehen soll. Auch Drogenprobleme oder eine soziale Verwahrlosung durch das Elternhaus sind Phänomene, die es in allen Schichten gibt und die junge Menschen aus der Bahn werfen können.

Am Ende käme es die Gesellschaft teurer

Versäumnisse in jungen Jahren können das gesamte Leben beeinflussen. So sind die Aussichten von älteren Arbeitnehmern mit niedriger Qualifikation noch bescheidener. Arbeitsvermittler wissen davon ein Lied zu singen. Nicht nur, dass es zu wenige Jobs gibt – häufig sind die Arbeitssuchenden nicht mobil, haben keinen Führerschein oder kein Auto. Viele Stellen für Niedrigqualifzierte finden sich aber in Produktionsbetrieben, die Schichtarbeit haben, aber keine Anbindung an den Nahverkehr. Nicht weniger schwer haben es Alleinerziehende mit geringer Qualifikation, weil sich die Arbeitszeiten oft nicht mit der Betreuung des Kindes vereinbaren lassen. So kommt ein Problem zum nächsten, und was die Situation für viele Betroffene nicht einfacher macht, ist der Umstand, dass in der Region rund die Hälfte aller Stellen für Geringqualifizierte von Leiharbeitsfirmen angeboten werden. Die Folge: Die Arbeitnehmer müssen ultraflexibel sein, erhalten aber für dieselbe Arbeit häufig deutlich weniger Lohn als Menschen, die regulär und fest in dem betreffenden Betrieb eingestellt sind. Nicht wenige Leiharbeitnehmer müssen als so genannte Aufstocker zusätzlich Arbeitslosengeld II beantragen, um halbwegs über die Runden zu kommen.

„Die Situation hat sich für diese Menschen verschlechtert, und zwar in zweierlei Hinsicht“, sagt denn auch Christian Schmitz, Geschäftsführer des DGB in der Region Trier. So würden niedrig qualifizierte Tätigkeiten in der Regel deutlich schlechter entlohnt, als noch vor 20 Jahren – „vor allem, weil es andere, atypische oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse gibt, die massiv ausgeweitet wurden“, beklagt der Gewerkschafter. Auf diese Weise würden tarifliche oder betriebliche Möglichkeiten unterlaufen. So sei in der Region inzwischen fast jeder Dritte im Niedriglohnsektor beschäftigt, beziffert Schmitz. Menschen mit niedriger Qualifikation würden aber weiterhin gebraucht und ihre Arbeitskraft auch nachgefragt, so  Schmitz. Doch weil Minijobs und niedrige Entlohnung vom Steuerzahler subventioniert würden, stelle sich für ihn auch die Frage: „Wie soll man diesen Menschen erklären, dass sie und ihre Arbeitskraft gebraucht werden?“

Dabei ist es das, was gerade junge Menschen in einer Ausbildung benötigen – das Gefühl, gebraucht und respektiert zu werden. „Es wird seit Jahren immer weniger auf den Menschen und fast nur noch auf Leistung geschaut“, sagt Sandra Grau und fragt: „Was wird zurückgegeben?“ Neben einem gerechten Lohn, der auch Niedrigqualifizierten ein angemessenes Auskommen sichert, sollten Arbeitgeber einen Blick für die scheinbar kleinen Gesten haben: „Das kann auch einfach nur ein Lob sein, oder eine Betriebsfeier“, so Grau.

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