„Wenn ich ‚Menschen‘ sage, meine ich Männer“

„Männer, Frauen, Kriegsspiele und Kultur“ – vielleicht war das Thema zu weit gefasst, vielleicht hat die Koryphäe der Kriegshistorie sich auf undankbares Forschungsterrain begeben, vielleicht strebt Martin van Creveld aber auch eine Zweitkarriere als Komiker an. Am Montagabend entpuppte sich der Auftaktvortrag seines Visiting Fellowships des Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrums (HKFZ) als wissenschaftlich unterirdische Versammlung weitgehend zusammenhangloser Thesen, bei dem die Zuhörer – hin- und hergerissen zwischen Amüsement und Abscheu – miterlebten, wie längst vergessen geglaubte Geschlechterrollen wieder auferstanden.

TRIER. Um es vorwegzuschicken: Martin van Creveld mag auf seinem angestammten Forschungsgebiet der Kriegshistorie ein brillanter Kopf sein. Nicht von ungefähr sind seine Werke Standardliteratur im Feld der Kriegsforschung, und sicherlich wird es gute Gründe geben, warum er als außen- und sicherheitspolitischer Berater westlicher Regierungen gefragt ist. Van Creveld hat an der renommierten London School of Economics studiert und bis zu seiner Emeritierung an der Hebräischen Universität von Jerusalem gelehrt.

Es gibt da aber auch noch eine andere Seite, die seinem Koryphäen-Status etwas von seinem Glanz nimmt. Diese Seite tritt dann zu Tage, wenn er sich zu seinem zweiten Lieblingsthema, Frauen und ihre Rolle in Krieg und Gesellschaft, äußert. Wenn er über Vergewaltigung sagt: „Wie bei der feministischen Literatur zu diesen Themen hängt alles davon ab, wie sehr manche Damen Sex hassen“; wenn er über die „nicht zu überschätzende“ Rolle der Frau im Krieg sagt: „Sie sind es, die dann auf die Wiederkehr der Männer warteten, für ihr Überleben beteten, sie mit offenen Schenkeln willkommen hießen, wenn sie heimkehrten“; oder wenn er die Junge Freiheit, das publizistische Sprachrohr der „Neuen Rechten“, als „hervorragende Zeitung“ bezeichnet und dementsprechend oft Artikel und Interviews in derselben veröffentlicht.

Diese zweite, hässliche Seite trat in ihrer ganzen Pracht bei seinem Vortrag unter dem Titel „Frauen, Männer, Kriegsspiele und Kultur“ zu Tage, die er am Montagabend anlässlich seines Visiting Fellowship an der Universität Trier vor rund fünfzig Zuhörern hielt. Für drei Monate hat van Creveld auf Einladung des HFZK seinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt nach Trier verlegt, um sich vor Ort mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen. Mit „neuen, mitunter auch kontroversen Positionen“ wolle das Forschungszentrum den akademischen Alltag bereichern, erklärte Professor Ulrich Port, Dekan der Fachbereichs II, bei der Begrüßung, um sich bei der Gelegenheit auch gleich von dem folgenden Vortrag zu distanzieren: „Als Wehrdienstverweigerer und Kulturwissenschaftler bin ich skeptisch. Aber vielleicht bin ich – um in Ihrem binären Mann-Frau-Schema zu bleiben – dafür auch einfach zu weiblich.“

Parforceritt durch die Menschheitsgeschichte

Dass das Etikett „kontroverse Positionen“ im Falle dieses Vortrags noch untertrieben sein sollte, zeichnete sich im Verlauf der folgenden rund 30 Minuten ab, als Martin van Creveld zu einem Rundumschlag ausholte, der jegliche wissenschaftliche Erwartungshaltung mit Hohn strafte – zumindest, wenn diese sich am Stand des 21. Jahrhunderts orientiert. Das inhaltlich dürre Gerüst, auf dem van Creveld seine kruden Thesen baut, hat „das Kriegsspiel“ zum Zentrum – ein Begriff, der mal mit Kriegssimulationen primitiver Stammeskulturen, mal mit Computerspielen der Gegenwart, dann wieder mit Schach besetzt wird. Eine Methodik, eine genaue Definition, eine Zuordnung zu einer wissenschaftlichen Disziplin, bleibt der Redner dem Publikum auch auf Nachfrage schuldig. Soziologisch, historisch, literaturwissenschaftlich oder psychologisch anmutende Herangehensweisen wechselten sich munter ab. Ein Parforceritt, nicht nur durch einen wild zusammengewürfelten methodischen Reigen, sondern auch durch die Epochen der Menschheitsgeschichte.

Schneller, als seine ebenfalls anwesende Frau ihm die fehlenden deutschen Begriffe soufflieren kann, springt van Creveld von der männlichen Dominanz in Gladiatorenkämpfen über zum Zweikampf David gegen Goliath, nimmt einen kurzen Exkurs über die Lüsternheit leichtbekleideter Schlammcatcherinnen, um schließlich bei der, mit einem Herrenwitz-Lachen garnierten Feststellung zu gelangen, dass Lara Croft mit ihrer Oberweite in natura nicht aufrecht gehen könne. Dieses Sammelsurium pseudo-kulturwissenschaftlicher Versatzstücke soll als Beleg für seine These dienen, dass Frauen sich nicht an Kriegsspielen beteiligten – und wenn, dann nicht um des Kampfes willen, sondern aus sexueller Motivation (siehe Schlammcatcherinnen).

Anstatt die Genese dieser Annahme inhaltlich zu unterfüttern, wird dann behauptet, dass aufgrund der „Freiwilligkeit des Spielens“ die wahre Natur des Menschen im Spiel besser beobachtbar sei als in jedem anderen Zusammenhang. Wieder bleibt unklar, in welcher Spieldefinition und in welchem Beobachtungsrahmen Herr van Creveld sich eigentlich bewegt: Mal werden historische Quellen ausgelegt, mal entsteht der Eindruck einer teilnehmenden Beobachtung – immer bleibt aber das flaue Gefühl, dass hier wahllos Aspekte aufgezählt werden, die gerade in die Argumentationslinie passen, ohne sie in einer im Vorfeld festgelegten Versuchsanordnung zu verorten. Man hat das Gefühl, dass hier gegen die elementarsten Grundsätze verstoßen wird, die jeder Erstsemester bei der Einführung in die Methodik wissenschaftlichen Arbeitens lernt.

Mit der grauen Theorie wird sich überhaupt wenig aufgehalten, viel leidenschaftlicher schwimmt der Redner im schillernden Meer der Anekdoten, Zufallszahlen und schmerzhaft aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate. Da werden Kriege und Kriegsspiele schon mal in einen Topf geworfen, da es sich sowohl bei der Kriegsführung als auch beim Programmieren von Kriegsspielen (hier wird der Spielbegriff dann spontan auf PC-Spiele umgemünzt) nicht um die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln, sondern schlicht um ein Buhlen um die Gunst der weiblichen Zuschauerinnen handele.

Herrenwitz im Hörsaal

An dieser Stelle kommt nun van Crevelds Frauenbild ins Spiel, das sich selbst für abgebrühte Ohren zwischen origineller Renaissance mittelalterlicher Werte und dem Lamento eines komplexbehafteten Frauenhassers bewegt. Wer bei dem Ausspruch „Diskussion über Feminismus ist keine wissenschaftliche Diskussion, sondern ein politisches Thema mit Fußnoten “ denkt, den Höhepunkt erreicht zu haben, irrt. Seine Auslassungen schaukeln sich immer weiter zu neuen Gipfeln der Unfassbarkeit empor. Ohne Frauen, so van Crevelds Lieblingsthese, gäbe es weder Kriege noch Kriegsspiele, denn „alle Frauen, oder zumindest sehr viele, genießen es, Männern dabei zuzusehen, wie sie sich gegenseitig abschlachten“. Mit dieser – gelinde gesagt: erst noch zu beweisenden Unterstellung proklamiert er die von ihm diagnostizierte, nicht zu überschätzende Rolle der Frau im Krieg: Sie schreibe sich selbst als Preis für den Gewinner aus, indem sie ihren Körper als Belohnung zur Verfügung stelle. „Ohne Frauen, die sich verführen lassen, hätte es weder Kriege noch Kriegsspiele gegeben“, schließt er seinen Gedankengang ab, „so war es, so ist es, und so wird es sein“.

Eine aktivere Rolle billigte er den unterrepräsentierten Frauen zumindest beim Kriegsspiel Schach zu: Als die Menschen („und damit meine ich: Männer“) im Computerzeitalter das Interesse am Schachspielen zu verlieren drohten, „tauchten plötzlich schöne, junge, aufreizend gekleidete Frauen und Mädchen auf den Turnieren auf, die so taten, als würden sie Schach spielen“ (sic!). Dieser Präsenz sexuell stimulierender Frauen an den Schachbrettern sei es zu verdanken, dass Schach auch heute noch eine populäre Aktivität sei. „Dafür vielen Dank an die Frauen und Mädchen!“

Was unter anderen Gesichtspunkten (als Cover der Titanic, als Büttenrede, als Wissenschaftssatire mit Anspruch) durchaus gelungen wäre, ist in einem akademischen Rahmen nur eins: ein Schlag ins Gesicht all jener Wissenschaftler, die sich ernsthaft bemühen, dem hochkomplexen Forschungsstand eines Themas wie „Konstruktion von Geschlechterrollen“ auch nur im Ansätzen gerecht zu werden. Die gern genutzte Verteidigung von „Politische Korrektheit hat in der Forschung nichts zu suchen“ wurde natürlich auch in der anschließenden Diskussion bemüht, tut aber nichts zur Sache. Wenn sich ein von der Universität Trier getragenes und vom Land Rheinland-Pfalz finanziertes Forschungszentrum jedoch entschließt, einem Referenten eine Plattform im akademischen Rahmen zu bieten, ist es eine Frage der Legitimität, dass ein Mindestniveau an wissenschaftlicher Nachvollziehbarkeit nicht unterschritten wird. Wenn ein beträchtlicher Teil der Zuhörer während des Vortrags nur kopfschüttelnd zuhören kann, wenn Studierende sich nach Ende des Vortrags untereinander fragen müssen, ob das jetzt Satire war, ist etwas ganz gravierend falsch gelaufen.

Die Verfehlung ist damit nicht nur dem Wissenschaftler van Creveld zuzuschreiben, der sich mit seinem Vortrag grandios ins eigene Fleisch geschnitten hat, sondern auch dem HKFZ, das sich die Frage gefallen lassen muss, welchen wissenschaftlichen Standards man sich eigentlich verpflichtet fühlt.

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