„Wenn das Angebot stimmt, brummt es“

„Nahverkehr im Wandel – strategische Neuausrichtung statt Jammern, Klagen und Schwarzsehen!“, lautete das Motto des 9. Deutschen Nahverkehrstags, der heute endet. Mehr als 400 Experten diskutierten in Trier über die Herausforderungen, mit denen der motorisierte Teil des Umweltverbunds zu kämpfen hat. Der Mainzer Infrastrukturminister Roger Lewentz (SPD) warnte davor, dass sich der Bund „schleichend“ aus der Mitfinanzierung des Nahverkehrs verabschieden könnte. Während Jürgen Fenske, Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen, überzeugt ist, dass sich das Angebot von Bussen und Bahnen sehen lassen kann, forderte der Bundesvorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), Michael Ziesak, mehr Herzblut für die Sache. Hierbei könne die Branche noch einiges von Autoherstellern und Fluggesellschaften lernen.

TRIER. Eine „Grundsatzrede“ hatte der Minister angekündigt, grundsätzlich wurde Roger Lewentz dann auch. Etwa als er feststellte, dass eine „angemessene und kontinuierliche Ausstattung“ des Nahverkehrs mit öffentlichen Mitteln für die Branche „überlebenswichtig“ sei. Lewentz appellierte an den Bund, sich nicht „schleichend“ aus der Finanzierung des Nahverkehrs zu verabschieden, weshalb die geplante Revision der Regionalisierungsmittel nicht zu einem Rückgang der staatlichen Zuschüsse für den ÖPNV führen dürfe. Der Nahverkehr ist Ländersache, und weil der Sozialdemokrat, in dem manche schon den künftigen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten sehen, auch die Schuldenbremse im Blick hat, weiß er, dass die Herausforderung nicht einfacher wird. Wie die Finanzierung des Nahverkehrs überhaupt mehr Fragen aufwirft, als bislang Antworten gegeben wurden.

Denn während die Aussichten für Busse und Bahnen in städtischen Ballungsgebieten viel versprechend sind, droht in der Fläche der Zusammenbruch des Nahverkehrs. Der demographische Wandel und der Rückgang der Schülerzahlen führt dazu, dass die Nachfrage immer weiter sinkt. „Ländliche Räume entvölkern sich teilweise mehr und mehr, gerade junge Menschen sind in den Dörfern immer weniger zu finden“, beschrieb Lewentz am Donnerstag das Dilemma. Diese Entwicklung führe letztlich zu weniger Erlösen im Schüler- und Ausbildungsverkehr, mit dem bislang auf dem Land immerhin noch eine Grundversorgung mit Nahverkehrsleistungen sichergestellt werden konnte. Ist der Zug für den ländlichen Raum also schon abgefahren? Mainz wird in den kommenden Jahren massiv sparen müssen, will es die gesetzlich verankerte Schuldenbremse einhalten. Allein im Etat des Infrastrukturministers stehen in diesem Jahr 36 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Wie vor diesem Hintergrund die Ko-Finanzierung des Nahverkehrs mit öffentlichen Mitteln sichergestellt werden kann, ließ Lewentz offen, und auch in der anschließenden Diskussionsrunde wurde das Thema nur kurz gestreift.

Stattdessen lenkte der Minister den Fokus auf Faktoren, die optimistischer stimmen: „Ich bin davon überzeugt, dass es trotz der demographischen Entwicklung und dem damit verbundenen Rückgang der Schülerzahlen gute Chancen gibt, neue und vor allem auch zahlungsbereite Fahrgäste für den ÖPNV zu gewinnen“, erklärte der Sozialdemokrat. Dafür müsse allerdings das Angebot stimmen. Im Klartext: „Qualitätsverbesserungen im Sinne von Angebotsausweitungen und Bahn-Bus-Verknüpfungen, aber auch eine neue Dimension bei Sicherheit, Komfort und Fahrgastinformation“, seien nötig. Zudem verliere das Auto gerade in Städten und vor allem bei jüngeren Menschen seinen einst so hohen Stellenwert. Studien zeigen tatsächlich, dass in größeren Städten mit einem attraktiven Nahverkehr immer mehr Menschen auf ein eigenes Auto verzichten. Stattdessen legen sie ihre Wege mit dem Umweltverbund zurück; mit dem Fahrrad oder zu Fuß, mit Bussen und Bahnen. Und wenn an einer Autofahrt kein Weg mehr vorbei führt, greifen viele inzwischen auf Carsharing zurück. Vernetzte Mobilität heißt die wegweisende Lösung, auf die immer mehr Städter bauen. Auch, weil die Kraftstoffpreise stetig steigen und ein eigenes Fahrzeug für nicht wenige Menschen längst unerschwinglich wird; zumal ein Auto, das kaum bewegt wird, ohnehin eine Fehlinvestition ist.

Für Jürgen Fenske kann sich der Nahverkehr in Deutschland mehr als nur sehen lassen. Der Vorstand der Kölner Verkehrs-Betriebe AG und Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) warb am Donnerstag dafür, die Diskussion nicht auf die Defizite zu konzentrieren. Beispiele in vielen Städten wie die Stadtbahn in und um Karlsruhe oder die Zweistrombahn zwischen Hamburg und Stade zeugten doch davon, dass der Nahverkehr in Deutschland betrieblich und technisch auf einem sehr hohen Niveau unterwegs sei. Der ÖPNV sei eine Wachstumsbranche, so Fenske, der von einer „beachtlichen Leistungsbilanz“ sprach. Wenn ihm dann jemand vom Pariser Nahverkehr vorschwärme, dann müsse er auf einen wesentlichen Unterschied hinweisen: „In Frankreich liegt der Aufwanddeckungsgrad bei 30 Prozent“, der Rest wird aus Steuermitteln bestritten. Hierzulande liege man bei weit über 70 Prozent, was bedeute, dass der Steuerzahler nicht in dem Maße in Anspruch genommen werde, wie in Frankreich.

Bernhard Wewers wollte in diesen Lobgesang nicht einstimmen, auch wenn der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft Schienenpersonennahverkehr ebenfalls davor warnte, alles schwarz zu sehen. „Ich frage mich, ob wir uns nicht besoffen reden an unseren Erfolgen“. Entscheidend sei doch, ob der Nahverkehr Marktanteile gewinne, also Menschen vom Auto in Busse und Bahnen locke. Was Thomas Schaffer sodann zu der Frage veranlasste, mit welchem Anspruch man denn dem Autoverkehr Marktanteile abjagen könne. Hierüber müsse erst einmal Klarheit geschaffen werden. Der Leiter Marketing der DB Regio AG mahnte mehrfach zu Realismus: Wenn die Verantwortlichen keine „kreativen Ideen“ entwickelten und zugleich das Geld für den Nahverkehr knapper werde, dann müsse man auch über Alternativen nachdenken. Zudem tauchten manche Kritikpunkte zwar immer wieder auf, seien aber nicht die eigentlichen Baustellen, so Schaffer, der das Beispiel Tarifstrukturen anführte. Wenn ein Hamburger das Münchner System nicht verstehe, dann müsse das noch nicht dazu führen, die Tarifstrukturen in der Isarmetropole zu verändern. Dem stimmte Fenske zu als er darauf verwies, dass sich 90 Prozent der Fahrgäste ohnehin nur in „ihrem“ Verbund fortbewegten.

Vor zu viel Selbstzufriedenheit warnte Michael Ziesak. „Wir müssen uns mehr anstrengen“, forderte der Bundesvorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), „wenn das Angebot stimmt, brummt es“. Das zeige auch das Beispiel des Rheinland-Pfalz-Takts, mit dem es gelungen sei, die Nachfrage zu verdoppeln. „Rheinland-Pfalz hat ordentlich investiert, aber andere Länder tun das nicht“, so Ziesak, der seinen Kollegen auf dem Podium und im Publikum mit auf den Weg gab, dass es den Verantwortlichen für den Nahverkehr an Selbstbewusstsein und Leidenschaft mangele: „Wir brauchen mehr Herzblut, da können wir uns einiges bei der Autoindustrie und bei Fluggesellschaften abschauen“. Am Mittwochabend indes hielt sich die Begeisterung des VCD-Chefs für den Nahverkehr in Grenzen: Da war Ziesak mit dem letzten Zug aus Koblenz in Trier angekommen. Doch statt am Hausbahnsteig, habe der Zug auf einem entfernteren Gleis gehalten, und nicht etwa in Höhe von Unterführung und Aufzug, sondern etliche Meter weiter. Eigentlich kein Drama, auch für Ziesak nicht. Doch wenn man Menschen für die Bahn gewinnen wolle, müsse man auch an solche vermeintlichen Kleinigkeiten denken, gab er zu bedenken.

Keine Kleinigkeit wird die geplante Reaktivierung der Trierer Westtrasse werden. Auf Nachfrage versicherte Roger Lewentz gegenüber 16vor, dass das Land den Bau von Haltepunkten finanziell unterstützen werde. Was einen Fahrplan für die Realisierung der Maßnahme anbelangt, wollte sich der Minister nicht festlegen. Allerdings müsse das Projekt „bis Mitte des Jahrzehnts“ auf den Weg gebracht sein. Die Stärkung der Regionalbahn habe für ihn eine „ganz große Bedeutung“, um die Verkehrssituation im Trierer Tal zu entlasten.

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