„Ich komme davon nicht mehr los“

BastianKertelsKleinRund 70 Gläubige aus dem Bistum Trier haben sich heute auf den Weg nach Rio de Janeiro begeben. In der brasilianischen Metropole findet Ende des Monats der 17. Weltjugendtag statt, zu dem sich auch Papst Franziskus angekündigt hat. Für Bastian Kertels aus Ruwer wird es bereits das vierte Mal sein, dass er an einem solchen katholischen Großereignis teilnehmen wird: Der 30-Jährige war auch in Köln, Sydney und Madrid mit dabei, doch dass dieser WJT eine ganz andere Dimension haben wird, steht für ihn außer Frage. Schließlich wird aktuell damit gerechnet, dass bis zu vier Millionen Menschen die Gottesdienste an der Copacabana besuchen werden. Kertels schwärmt von der Atmosphäre der vergangenen Treffen und von der Euphorie, die auf den Massenveranstaltungen spürbar sei. Doch er sagt auch: „Das Motiv, dorthin zu gehen, ist und bleibt der Glaube“.

TRIER. Wenn Bastian Kertels in den vergangenen Wochen von Freunden und Kollegen darauf angesprochen wurde, wo er denn in diesem Jahr seinen Urlaub verbringen werde, antwortete er schon mal schlicht mit „in Rio“. Nicht wenige versetzte er damit in Erstaunen, einige wurden gar ein wenig neidisch. Wer kann schon von sich behaupten, dass er im Sommer ein paar Wochen in Brasilien weilen wird? Copacabana inklusive. Bastian Kertels kann das, aber „den meisten muss ich erst einmal erklären, dass dort jetzt Winter ist“  Und überhaupt: Wenn, dann ließe sich wohl eher von einem „Aktivurlaub“ sprechen, den der junge Mann an diesem Samstag antreten wird.

Gemeinsam mit Gläubigen aus dem gesamten Bistum hat sich der Trierer vom Frankfurter Rhein-Main-Flughafen aus aufgemacht, um nach einem langen Flug das größte Land Südamerikas zu erreichen. Als erste Station stehen die imposanten Wasserfälle von Iguacu auf dem Programm. Anschließend fährt die Gruppe nach Maringa zu den „Tagen der Begegnung“, einer Art Vorspiel des eigentlichen Weltjugendtags. Kertels und seine Mitreisenden werden dann für eine gewisse Zeit in Gastfamilien untergebracht sein, gemeinsam will man sich auf das Glaubensfest einstimmen, auch eine intensive Auseinandersetzung mit Bibeltexten wird es dann geben.

Glaube? Bibel? Tage der Begegnung? Katholische Kirche? Spätestens wenn diese Begriffe fallen, lässt bei einigen von Kertels‘ Bekannten die Begeisterung spürbar nach. Der junge Mann weiß um die Vorbehalte gegenüber der Kirche, und er kann sie zum Teil auch nachvollziehen. Wer etwa als Kind von einem Priester geohrfeigt worden sei oder gar sexuellen Missbrauch erlitten habe, von dem könne man kaum erwarten, dass er der Kirche noch vorbehaltlos oder gar positiv gegenüberstehe. Nur, sagt er jetzt, „ich habe eben einfach sehr großes Glück, weil ich sehr viel Gutes durch die Kirche erfahren habe“. Kertels berichtet jetzt von dem Zusammenhalt in der Gemeinschaft, der engen Freundschaft mit Gleichgesinnten, den Erlebnissen in der Gruppe. Kirche sei für ihn immer mehr als nur Gottesdienst gewesen. Das alles und vor allem sein Glaube gebe ihm Kraft.

Kertels ist kein Eiferer, will nicht missionieren. Aber er steht selbstbewusst zu seinem Glauben. Auch weil der ihm geholfen habe, als es ihm dreckig ergangen sei, wie er berichtet. Seine Behinderung, der frühe Tod des Vaters, dann der plötzliche Tod des neuen Lebensgefährten seiner Mutter – an Prüfungen mangelte es ihm in seinem jungen Leben wahrlich nicht. „Da zerbrechen viele am Glauben, mir war er eher eine Stütze“, sagt Kertels. Dass es auch bei ihm bisweilen Momente des Zweifels gab, verhehlt er indes nicht: „Klar habe ich schon einige Situationen erlebt, in denen ich dachte, jetzt verlässt dich Gott und die Welt“.

Dass er einmal bis ans Ende der Welt reisen würde, um einen Weltjugendtag zu erleben, das allerdings wollte er lange nicht glauben. Kertels‘ WTJ-Debüt liegt nun acht Jahre zurück. Damals, als der gerade gewählte Papst Benedikt nach Köln kam, war der Ruwerer so etwas wie ein Last-Minute-Pilger. In seiner Pfarrei waren Jugendliche aus dem französischen Bistum Troyes zu Gast, die auf der Durchreise an den Rhein waren. Kertels begleitete die Gruppe in den Trierer Dom, wo ein Aussendungsgottesdienst stattfand. Anfangs habe er gedacht, er sei bei einem Rockkonzert, dann wähnte er sich im Fußballstadion. In Deutschlands ältester Bischofskirche habe an diesem Tag eine Euphorie geherrscht, wie er sie in einem katholischen Gotteshaus zuvor so noch nicht erlebt habe. Zu diesem Zeitpunkt hatte Kertels noch gar nicht vor, nach Köln zu fahren, doch dann sei ihm recht plötzlich klar geworden: „Da ist der Weltjugendtag direkt vor deiner Haustür, und du willst dir das entgehen lassen?!“ Im letzten Moment organisierte er sich einen übrig gebliebenen Platz in einem der Busse, heute sagt er: „Ich komme davon nicht mehr los“.

Dabei sah es zunächst danach aus, als könne der Weltjugendtag in Köln in doppelter Hinsicht ein einmaliges Erlebnis für ihn werden. Denn als bekannt wurde, dass der nächste WJT in Australien stattfinden würde, wollte sich Kertels kaum vorstellen, auch an diesem Ereignis teilzunehmen. „Das schaffst du nie!“, sei sein erster Gedanke gewesen, „in meiner damaligen Lebenssituation war das eher unwahrscheinlich, dass ich dorthin fahren würde“. Doch auch für Sydney erstand er quasi im letzten Moment ein Ticket, von dem Erlebnis zehrt er nach eigener Aussage bis heute. Das ergehe allerdings vielen so, mit denen er damals Freundschaft geschlossen habe und bis heute Kontakt halte. Allein schon den Pilgermarsch über die „Harbour Bridge“ werde er nie vergessen.

Nach Sydney waren rund 350.000 Gläubige gekommen, in Madrid, wo Kertels auch hin pilgerte, zählten die WTJ-Verantwortlichen schon gut zwei Millionen Teilnehmer. In der spanischen Hauptstadt gab es damals auch massive Proteste gegen das katholische Großereignis. Das dürfte in Rio noch eine Spur größer ausfallen, doch Bange ist Kertels nicht. Als Gruppenverantwortlicher wird er Ansprechpartner für rund 15 Leute sein. Dass nach den heftigen Demonstrationen gegen die Fußball-WM im kommenden Jahr auch der Ablauf des WJT beeinträchtigt werden könnte, erwartet er nicht. Ein anderes Thema sei da schon die erhebliche Kriminalität in der Millionenmetropole, aber auch das werde der Begeisterung keinen Abbruch tun, glaubt er. Dann schon eher der geplante Besuch einer Favela, wie die Elendsquartiere Brasiliens heißen. Dieser Programmpunkt sei ihm besonders wichtig, so Kertels. „Wir gehören zu einer ganz kleinen privilegierten Minderheit auf der Welt“, erklärt er jetzt und ergänzt: „Für mich gehört es zum Christsein dazu, dass man sich bewusst macht, wie viel Armut es gibt und dass man sich diesem Thema und den Menschen stellt“. Viel mehr als Aufmerksamkeit und Zuwendung werde man in die Favelas nicht mitbringen, „aber damit wäre ja auch schon was getan“.

Kertels geht davon aus, dass auch der Besuch des argentinischen Papstes dem Weltjugendtag eine besondere Dimension verschaffen wird. Für Franziskus wird es die erste große Auslandsreise seit seiner Wahl vom Pontifex sein, an der Copacabana wird er unter anderem den Kreuzweg beten.  Dass viele Menschen allein wegen des „Events“ nach Rio reisen werden, glaubt der Ruwerer nicht. „Das Motiv, dorthin zu gehen, ist und bleibt der Glaube“, ist Kertels überzeugt.

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