Weihnachtsmarktbesuch Plus

Letzten Samstag saß ich gerade in meinem Büro in Tarforst, als ich eine SMS vom Meier Kurt bekam. Das ist schon ungewöhnlich genug – der simst mir sonst nie – und dann auch noch Folgendes: „bin aufm weihnachtmarkt stehe am glühweinstand komm doch auch“. Kurt war noch nie auf dem Trierer Weihnachtsmarkt gewesen, dennoch ging ich davon aus, dass er sich genau dort befand – aber an welchem Glühweinstand? Und wo war et Hildgard? Um Antworten auf diese Fragen zu bekommen, simste ich zurück – „Okay, komme, bleib wo du bist!“ – und fuhr rasch runter in die Stadt, obwohl ich eigentlich keine Weihnachtsmärkte mag und auch gar nicht in Weihnachtsstimmung war. Nach einer guten halben Stunde hatte ich mich an sämtlichen Glühweinständen des Trierer Weihnachtsmarktes vorbeigeschoben, aber: kein Meier Kurt.

TRIER. „Verdammt, wo bist du denn? Rufst du überhaupt aus der richtigen Stadt an?“ Statt sinnlos weiterzusuchen, hatte ich per Handy Kontakt aufgenommen. „Klar, in Trier, aufm Weihnachtsmarkt. Du, die sagen hier ‚Klühwein‘ statt ‚Glühwein‘, das klingt doch gleich viel trinkbarer…“ Ich unterbrach ihn und ließ ihn beschreiben, welche Gebäude er von „seinem“ Klühweinstand aus sehen konnte. Und so fand ich heraus, wo er gelandet war.

„Das ist nicht der Weihnachstmarkt!“ „Ach, nicht? Aber schön isses hier trotzdem!“, meinte Kurt, der eigentlich weder Glüh- noch Klühwein mochte und ihn deshalb nur „verdünnt“ runterkriegte. Als „Verdünner“ hatte er bislang Jamaika Rum, Williams Christ und Amaretto ausprobiert, und er rief einigen älteren Herrschaften aufmunternde Worte zu, die hinter ihm auf der Eisfläche dauernd das Gleichgewicht verloren.

Es stellte sich heraus, dass et Hildegard ihn alleine nach Trier gelassen hatte, weil er dort angeblich ein Weihnachtsgeschenk für sie besorgen wollte. Da er grundsätzlich nicht mit dem Auto in die Großstadt kam, wenn nicht sicher war, dass ihn irgendwer zurückfuhr, hatte er im Saarland den R200 genommen, und war, wie immer, an der Bushaltestelle Konstantin-Basilika ausgestiegen und gleich in Richtung Fußgängerzone abgebogen. Dort, an der Kreuzung Konstantinstraße/Brotstraße, stand er dann ja praktisch gleich vor der Schlittschuhlaufbahn aufm Kornmarkt und hielt die paar Buden drum herum für den Weihnachtsmarkt.

Er besorgte „Klühwein“ für uns beide, diesmal mit Kirschwasser „verdünnt“, und ich konnte ihn nur mit Mühe davon abhalten, eine dieser lustigen, orangen Plastikrobben zu mieten, auf der er sich von mir über die Eisfläche schieben lassen wollte.

Ich zog ihn ein bisschen damit auf, dass er wohl für den Rest des Tages klühweintrinkend auf dem Kornmarkt hängen geblieben wäre, wenn ich ihn nicht gerettet hätte, aber er konterte das mit der Aufforderung: „Na, dann zeig mir doch mal die Highlights des Trierer Klühmarkttreibens.“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich lud den Kurt ins Auto und kutschierte ihn erst mal nach Kürenz, ins Avelsbacher Tal, zum Weihnachtsmarkt der Staatlichen Weinbaudomäne. Dort wars urgemütlich und wir aßen da was Ordentliches, vor allem aber probierten wir da: weißen Glühwein! Der schmeckte wunderbar, auch ohne „Verdünner“, und war eine echte Entdeckung.

Aus Vergleichsgründen tranken wir in der Flaschenetikettierhalle auch gut gekühlten Wein. Danach konnte ich den Kurt nur mit Mühe davon abhalten, für 80 Euro ein Kunstobjekt zu kaufen, das „der begehbare Weinstock“ oder so ähnlich hieß. Dabei handelte es sich um einen ästhetisch durchaus gelungen drapierten alten Rebstock, aber zum einen fürchtete ich, Kurt könnte auf die Idee kommen, ihn als Geschenk fürs Hildegard zu nehmen, und zum anderen erzählte er mir auch noch, er habe gehört, alte Rebstöcke eigneten sich hervorragend als Grillholz.

Es war nicht auszuschließen, dass Kurt das Kunstwerk beim Schwenken recyceln würde, falls… aber selbst dem Kurt musste klar sein, dass er für 80 Euro vom Müller Michel eine ganze Wagenladung… wie auch immer: Wir kamen auf dem Domänenklühmarkt mit netten Leuten ins Gespräch und tranken so viel unverdünnten weißen Klühwein, dass ich uns schließlich ein Taxi bestellte (das Auto stand ja gut im Avelertal) und wir uns bei Einbruch der Dunkelheit endlich auf dem „richtigen“ Weihnachtsmarkt vorm Dom wiederfanden. Dort sang gerade ein Tenor so herzerwärmend Weihnachtslieder, dass wir vom Klühwein abließen und auf „Heiße Schokolade-Plus“ umstiegen. Als „Plus“ ließen wir den Kakao mit einem Schuss Eierlikör verdünnen, was uns ganz melancholisch machte, und stellten danach fest, dass man den Kakao auch mit Whisky ganz ordentlich runterkriegt.

„Wow, schau mal, eine Weihnachtsmühle!“, freute der Kurt sich und deutete zu dem überdimensionalen Drehding, das die Lichterketten auf dem Domfreihof überragt. Mich beruhigte es sehr, dass sich das Ding tatsächlich von selbst drehte und kein optisches Resultat der „Schokolade-Plus“ war.

Jeder einen lustigen roten Becher in Stiefelform vor sich her tragend (den wir in der Sternstraße wieder auffüllen ließen), kamen wir endlich am Hauptmarkt an. Dort erstand ich eine dieser halbrunden Glaskugeln, in denen es schneit, wenn man sie schüttelt – mit Weihnachtsmann und Schlitten drin. Vom Mann hinterm Stand erfuhren wir, dass diese Schneekugeln sich auf dem Weihnachtsmarkt beinah genauso gut verkauften wie Waffeln, Riesenbratwürste oder „KlühweinPlus“. Wir setzten uns zum Ziel, etwas noch Abgefahreneres zu kaufen als Schneekugeln und wurden gleich beim Petrusbrunnen fündig. Dort gab es nämlich Schokolade zu kaufen, in Form von allem, was man so im Werkzeugkasten findet.

Der Meier Kurt freute sich wie ein kleines Kind, und kaufte einen 17er Ring-Maulschlüssel, ein paar Muffen, Minischraubstöcke und Schrauben und Muttern – alles aus Schokolade und wie echt aussehend. „Das wird ein Gag, wenn nächstes Mal der Müller Michel vorbeikommt und ich vor seinen Augen in den Schraubenschlüssel beiße“, meinte Kurt vergnügt, um mit der Tüte voll Zeug zum nächsten Stand zu ziehen, wo es „KaffeePlus“ gab. Wir nahmen Kaffee plus Cognac.

„Das ist doch hoffentlich nicht dein Weihnachtsgeschenk fürs Hildegard“, deutete ich besorgt auf die Tüte. „Überhaupt, wird es nicht allmählich Zeit, mal was für deine Frau zu suchen, die Geschäfte sind nur noch zwei Stunden…“ „Ach was“, unterbrach der Kurt mich und gestand, dass er das Geschenk fürs Hildegard längst besorgt und zuhause gut versteckt habe und et Hildegard tatsächlich glaube, er habe noch nix für sie, und dass das eine prima Ausrede sei, um alleine nach Trier fahren zu dürfen, und so komme es, dass wir nun beide hier seien, mitten auf dem „richtigen Weihnachtsmarkt“, welcher für ihn nun schon der dritte Klühmarkt des Tages sei, und dass der Kaffee, trotz Verdünner, ihn nun doch etwas zurückgeworfen habe, so dass er jetzt endlich einen Germknödel mit klebriger Soße essen müsse.

Unsere Germknödel verputzen wir dann wieder am Kornmarkt. Dort lauschten wir zunächst einer sehr anrührend vorgetragenen Version von „I’m dreaming of a White Christmas“, gesungen von der Abiturjahrgangsstufe des FWG, applaudierten ein paar Mutigen, die sich auf orangen Plastikrobben übers Eis schieben ließen, dann mussten wir uns beim Klühweinstand unterstellen, weil der einsetzende Regen uns sonst den Absacker-Klühwein ganz unerwünscht verdünnt hätte.

Als mir der Kurt später durch die Scheibe des R200, Richtung Türkismühle, zuwinkte, hielt er immer noch einen leergetrunkenen roten Trierer-Weihnachtsmarkt-Klühweinbecher in der Hand. Ich winkte mit meinem leeren Klühweinstiefelchen zurück.

Als ich dem oh so fröhlichen und so selig dreinschauenden Kurt hinterherschaute, war ich dann doch ein bisschen in Weihnachtsstimmung. Na also, geht doch! Man muss sich nur Mühe geben und mit den richtigen Leuten unterwegs sein.

Nachbemerkung: Leider nicht getroffen haben wir die Glühweinkönigin. Sie war wohl auch am letzten Wochenende wieder in Trier, verkehrt aber offensichtlich nicht an Ständen, an denen zu hemmungslos „KlühweinPlus“ getrunken wird.

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