Wasser und Wein

Also manchmal verstehe ich die Trierer nicht: Da wachsen direkt vor ihrer Haustür weltberühmte Weine, aber welches Getränk haben mir schon mindestens zwei Dutzend Trierer voller Inbrunst empfohlen? Nicht Wein, nicht Bier, auch nicht Viez, sondern: Wasser! Das gute Trierer „Kranenwasser“! Ich hab schon so viele Trierer voller Stolz verkünden hören: „Bei uns hat das Wasser aus dem Wasserhahn eine hervorragende Qualität – das kannste einfach so trinken“, dass ich mich ehrlich darüber wundere, wieso die Stadtwerke noch keine Kranenwasserkönigin küren! (so, jetzt ist die Idee raus! Viel Spaß bei der Umsetzung, liebe SWT-Marketing-Abteilung). Damit wären wir wieder bei den Königinnen: „Wein-, Erdbeer- oder Viezkönigin – kennste eine, kennste alle!“, behauptet der Backes Herrmann, der ja angeblich was von Frauen versteht. Ich kannte bisher nur eine Erdbeerkönigin, nämlich Anna I. von Zewen. Einer Weinkönigin wurde ich bisher noch nicht vorgestellt. Auch nicht letzte Woche in Olewig.

OLEWIG. Anders als gewisse Leute ihre Freundinnen – und ich nenne jetzt den Namen Backes Herrmann bewusst nicht – wechsle ich nicht alle Nase lang meine Monarchin. Ich bin und bleibe Erdbeerköniginfan – das Schicksal hat es so gewollt, denn Trauben brauchen nun mal länger zum Reifwerden als die Erdbeeren, und so trat die Erdbeerkönigin zuerst in mein Leben und die Weinkönigin hat jetzt keine Chance mehr.

Okay, okay, ich geb’s zu: Ich hab die Krönung der Olewiger Weinkönigin einfach verpennt. Aber was ist das denn auch für eine sonderbare Sitte: Das Weinfest dauert von Freitag bis Montag – und die Inthronisierung findet am Mittwoch statt? Gut, ich hab mir sagen lassen, die Winzervereinigung habe da einen Sprecher, der so ausschweifende Reden hält, dass man ihn besser schon mittwochs mit seiner Laudatio loslegen lässt, „um sicherzustellen, dass er bis zum Festbeginn am Freitag damit durch ist“ (wieder so eine Stichelei vom Backes Herrmann!).

So kann man ab freitags unbelastet von Festtagsreden drauflosfeiern. Und genau das tat ich dann auch, und zwar mit ein paar „Jungs“ aus meinem Heimatdorf. Auch der Meier Kurt war dabei. Dem aufmerksamen Kolumnenleser wird nicht entgangen sein, dass der Kurt sonst nur gemeinsam mit ‚seinem‘ Hildegard in Erscheinung tritt. Aber für einen Männerabend hat sie ihm mal freigegeben. „Isch hann Freigang“, sagt der Meier Kurt in so einem Fall selbst.

Wir also ab nach Olewig. Gut, dass ich den Jungs vorher klarmachte, dass sie sich gefälligst benehmen und sich bloß nicht schnöde mit Bier betrinken sollten. Auf dem Olewiger Fest waren für uns nur zwei Getränke erlaubt: Wein und Wasser! Natürlich nölte vor allem der Meier Kurt anfangs rum, auf Weinfesten gäb’s immer zu kleine Gläser und so. Aber spätestens, nachdem gleich hinterm ersten Weinstand eine aufmerksame Dame auf Kurts Nörgelei damit reagierte, ihm das Glas so vollzuschütten, dass nur noch die Oberflächenspannung ein Überlaufen verhinderte und Kurt sich mit dem Kinn auf der Theke abstützen musste, um beim Abschlürfen nichts zu verkleckern, war der Bann gebrochen.

Ein bisschen überfordert waren wir anfangs schon damit, dass man sich Weine ja bewusst aussuchen muss. Da ist nix mit: „Mach mir mol en Bier“ und fertig, sondern hier muss man entscheiden, welchen Wein genau man will. „Welcher hat dann de meischte Alkohol?“, fragte einer der Jungs doch tatsächlich, worauf die Dame hinterm Tresen konterte: „Dau trenkst am besten unseren gouden Trester.“

Als ich selber, am zweiten oder dritten Stand, aufrichtiges Interesse am Weinsortiment bekundete, nahmen sich zwei junge Männer, Philipp aus Mehring und sein Kumpel Dennis, meiner an und freuten sich darüber, dass ich einer spontanen kleinen Weinprobe zustimmte. Philipp und Dennis brachten mir in einem selbstlosen Crash-Kurs bei, trocken von feinherb zu unterscheiden. Nachdem wir auf Rosé umgestiegen waren, versicherte mir der junge Mann aus Mehring, Saarländer seien gar nicht so schlimm, wenn man sie erst mal näher kennen lerne. Später rekonstruierte ich, dass etwa zur gleichen Zeit die aufmerksame Dame vom ersten Weinstand, wo der Meier Kurt hängen geblieben war, um Oberflächensspannungswein zu schlürfen, ähnlich geartete Sympathiebekundungen geäußert hatte. Hoffen wir also, dass „et“ Hildegard diese Kolumne nicht liest.

Nachdem wir am dritten oder vierten Weinstand den Magen mit einer Runde Trester soweit aufgeräumt hatten, dass ordentlich Flammkuchen reinpasste, fühlten wir uns alle fit genug, um das Feuerwerk zu bestaunen. „Hoffentlich hat der Kurti eine einigermaßen brauchbare Sicht – so mit dem Kinn auf dem Tresen?“, meinte einer der Jungs, und ich antwortete: „Ach, Feuerwerke – kennste eins, kennste alle“, aber so war es dann gar nicht, denn in Olewig erlebte ich zum ersten Mal, wie majestätisch es aussieht, wenn die Rauchschwaden eines Feuerwerks einen Weinberg einhüllen.

Am vierten oder fünften Stand bestellte ich frech einen „Olewiger Nebelhang“, aber niemand verstand die Anspielung und man gab mir einfach freundlich einen Weißburgunder. Ich merkte, dass es mir allmählich egal wurde, welche Sorte (oder Farbe) ich da im Glas hatte und wertete das instinktiv als Warnsignal, ohne allerdings irgendwelche Gegenmaßnahmen einzuleiten. Am fünften oder sechsten Stand fühlten wir uns völlig verrucht, weil wir beschlossen, als Erinnerung an den schönen Abend unsere Weingläser mitgehen zu lassen – wir hatten völlig vergessen, dass wir dafür ja Pfand bezahlt hatten.

Das einzige, was uns auf dem Olewiger Weinfest ein wenig irritierte, war, dass viele Haus- und Hofeinfahrten rechts und links der Hauptstraße mit hohen Bauzäunen abgesperrt waren. Wir vermuteten, dass die Absperrungen nicht die Festbesucher vor den Olewigern schützen sollten, sondern dass es sich eher anders herum verhielt: So sollte wohl verhindert werden, dass Horden von Weinseligen die Vorgärten oder Hofeinfahrten verwüsteten. Da aber hinter manchen Bauzäunen private Feiern im Gange waren, hatte ich einige Mühe, die Jungs davor zurückzuhalten, sich durch eine der engen Lücken einer Absperrung zu quetschen, um sich in eines dieser Privatfestchen einzuschmeicheln.

Nach Mitternacht gingen wir zurück zum ersten Weinstand, um dem Meier Kurt sein Kinn von der Theke zu befreien und schleppten ihn mit zu einem der gemütlichen Weinlokal-Gärten, zu denen man über eine Brücke rechts des Olewiger Bachs gelangt. Dort kehrte endlich etwas Ruhe bei uns ein, unter anderem, weil wir ab dem sechsten oder siebten Stand den Wein nicht mehr gläschenweise bestellten, sondern gleich ganze Flaschen kauften, die wir auf die „gestohlenen“ Gläser verteilten. Der Meier Kurt wollte zum ersten Weinstand zurück, angeblich, weil er dort sein Glas vergessen hatte, und wir konnten ihn gerade soeben davon abhalten, aus der Flasche zu trinken.

Nach dem siebten oder achten Weinstand beschloss die komplette Truppe, ganz entgegen unserer sonstigen Gewohnheiten, ein Runde zu tanzen – zu einer dieser Partystimmungsbands – und nicht zuletzt weil ich zusammen mit dem Meier Kurt beeindruckend abrockte, hoffe ich, dass mich dabei niemand gesehen hat, der mich kennt.

Um kurz nach zwei war mir so schwindlig (leider nicht vom Tanzen mit dem Meier Kurt), dass ich am Weinstand, wo man mich noch von den vorher gekauften Flaschen kannte, fragte, ob sie vielleicht etwas gegen den schon absehbaren dicken Kopf hätten. Die Frau hinterm Weinstand lächelte mütterlich, zauberte von irgendwo unterm Tresen ein Null-Dreier-Bierglas hervor und füllte es mit… Kranenwasser. „Da, mein Jong, am besten trinkt man zwischendurch mal ein großes Glas gutes Trierer Leitungswasser, dat hilft immer!“

Ist überhaupt wissenschaftlich bewiesen, dass das Trierer Wasser eine so überragende Qualität hat? Na, egal, gefühlt ist es das beste Wasser der Welt. Man muss nur dran glauben.

Ach so, das hätte ich beinahe vergessen: Ich bin dann irgendwann doch noch der Weinkönigin Isabell I. begegnet. Einfach so. Irgendwo auf der Festwiese beim Olewiger Kloster. Keine Bange, ich werde meiner Anna von Zewen nicht untreu. Aber auch Isabell I. hat ganz schwer bei mir gepunktet. Erstens hat sich herausgestellt, dass sie sehr umgänglich und freundlich ist und unbeschwert drauflosplaudern kann, und zweitens konnte sie glaubhaft versichern, dass sie recht trinkfest ist. Jedenfalls was Wein betrifft. So was beeindruckt einen eingefleischten Biertrinker wie mich!

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