„Was für einen Nahverkehr wollen wir?“

„Ein Ticket – ein Tarif“ – unkompliziert und verständlich kommt der Slogan des VRT daher und kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es innerhalb des Verkehrsverbunds gärt. Für das nächste Jahr droht nicht nur eine weitere kräftige Fahrpreiserhöhung, auch ein Auseinanderbrechen des gesamten Verbundes wird in manchen Kreisen inzwischen nicht mehr ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund luden Bündnis90/Die Grünen unter dem Titel „ÖPNV – In Zukunft mobil“ zu einer verkehrspolitischen Diskussion ein, in deren Verlauf deutlich wurde: Hinter den Titel der Veranstaltung hätte man besser ein Fragezeichen gesetzt. Brauchbare Antworten, wie sich der Nahverkehr in der Fläche attraktiv gestalten ließe, lassen weiterhin auf sich warten.

TRIER. Christine Schmitt ist ein Bus- und Bahn-Fan wie aus dem Bilderbuch. Sie bezeichnet sich selbst als „ökologisch verantwortungsvollen“ Menschen, trennt mit Freude ihren Müll und würde am liebsten klimaneutral leben. Trotzdem begibt sie sich Morgen für Morgen mit ihrem Golf in den Berufsverkehr. „Es tut mir im Herzen weh, dass ich jeden Tag 50 Kilometer mit dem Auto fahren muss, aber über den bestehenden Busfahrplan kann ich als Berufstätige nur lachen“. Nicht einmal stündlich halte ein Bus in ihrem Wohnort Ralingen, und „in den Schulferien kann man es völlig vergessen.“

Es ist eine Krux mit den öffentlichen Verkehrsmitteln: Je weniger Menschen sie nutzen, desto unrentabler wird ihr Betrieb; je mehr unrentable Linien aber gestrichen werden, desto unattraktiver wird das Angebot und verschreckt damit potentielle Fahrgäste – ein Teufelskreis. Die Region Trier ist als ländlich geprägter Raum in besonderem Maße geschlagen: dünn besiedelte Gebiete, lange Überlandstrecken – der große Reibach im Nahverkehr ist hier nicht zu machen.

Um trotzdem ein einheitliches und vor allem attraktives Nahverkehrsangebot für die Menschen in der Region zu gewährleisten, haben sich vor zehn Jahren fünf Kommunen – die Stadt Trier, die Landkreise Bernkastel-Wittlich, Trier-Saarburg, Vulkaneifel und der Eifelkreis Bitburg-Prüm – sowie regionale Verkehrsunternehmen zum Verkehrsverbund Region Trier (VRT) zusammengeschlossen. Unter dem Slogan „Ein Ticket – ein Tarif“ soll für einen unkomplizierten öffentlichen Nahverkehr geworben werden. Doch ist es dem Verbund nicht nur nicht gelungen, die Zahl der Fahrgäste zu erhöhen, jetzt sorgt auch noch eine weitere geplante Tariferhöhung für Unmut unter den Beteiligten.

Vor allem in den ländlichen Kreisen sieht man sich aufgrund der demographischen Entwicklung gezwungen, die Preise zu erhöhen, denn die Finanzierung des regionalen Nahverkehrs ruht vor allem auf dem Fundament der Schülerbeförderung. Im ländlichen Raum machen die jungen Fahrgäste bis zu 90 Prozent aus (Stadtgebiet Trier: 40 Prozent). Die Zuschüsse, die das Land Rheinland-Pfalz pro befördertem Schüler und Kilometer zahlt, sind die einzige öffentliche Förderung – und sie reichen nicht aus, die Kosten des Oberzentrums Trier in diesem Bereich zu decken. Der grassierende Schülerschwund macht das aktuelle Finanzierungsmodell obsolet. Deshalb fordern die Verkehrsunternehmen der ländlichen Region eine Fahrpreiserhöhung um 18 Prozent für den gesamten Verbund, denn die Tarifsteigerung ist bislang die einzige Stellschraube, an der sie drehen können. „Die Möglichkeiten durch Ausdünnung von Fahrplänen und Streichungen von Linien sind ausgeschöpft“, erklärte Dr. Joachim Streit, Verbandsvorsitzender des Zweckverbands VRT und Landrat im Kreis Bitburg-Prüm, bei der Diskussionsrunde der Grünen.

Kritiker wie Thomas Geyer sind, gelinde gesagt, skeptisch ob der Zukunftsfähigkeit solcher Maßnahmen. „Wenn ein Ticket von Wittlich nach Trier morgen 18 Prozent mehr kosten würde, hätten wir sogar weniger Geld in der Kasse, weil uns schlicht die Fahrgäste wegbleiben würden: Eine solche Erhöhung ist nicht vermittelbar“. Der Direktor des Zweckverbands Schienenpersonennahverkehr (SPNV) Nord hat mit der Vorstellung, dass sich der regionale ÖPNV rentabel betreiben lässt, ohnehin abgeschlossen: „Eigenwirtschaftlichkeit wird es perspektivisch in dieser Region nicht mehr geben. Wenn wir das als Fakt akzeptieren, können wir weiterdenken“. Geyer fordert eine transparente Kommunikation mit den beteiligten Unternehmen und eine Reform der Einnahmenverteilung innerhalb des VRT, die bislang noch immer anhand der Alt-Einnahmen zu Vor-Verbundszeiten berechnet werde.

Dass es organisatorische Reformen braucht, scheint Konsens. „Der VRT ist vor zehn Jahren gegründet worden, die Rahmenbedingungen von damals sind heute andere“, erklärt Streit und plädiert für eine ergebnisoffene Debatte: „Wir müssen uns ehrlich fragen: Was für einen ÖPNV wollen wir? Wenn sich dann herausstellt, dass wir ganz verschiedene Interessen haben, dann ist es möglich, dass wir an diesen Fliehkräften zerbrechen.“ Eine konkrete Antwort, wie es mit dem Verkehrsverbund weitergehen soll, hat das Podium nicht parat. „Offene, transparente Diskussionen über die Zukunft des Verbundes“ werden unisono gefordert – wenn auch eingeräumt wird, dass die beteiligten Kommunen und Unternehmen mitunter völlig entgegengesetzte Interessen haben: Was für eine Region mit touristischen Akzenten nützlich und notwendig ist, kann für das Eifeler Land völlig uninteressant sein.

Dieter Grünewald, erfahrener Verkehrsexperte aus dem Saarland, warnt vor einem Auseinanderbrechen in viele einzelne Organisationsebenen: „Verbünde sind notwendig, weil die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen nicht an der Landkreisgrenze aufhören“. Als Umweltverbund müsse man attraktiv genug sein, um die Konkurrenz mit dem Auto aufzunehmen. Und er erinnert daran, dass 20 Prozent aller Haushalte über kein Auto verfügten: „Mobilität für alle zu gewährleisten, bleibt eine gesellschaftspolitische Aufgabe.“

Als Antwort und Erkenntnis bietet das Podium drei einfache, wenn auch verhältnismäßig unbequeme Wahrheiten. Erstens: Der regionale ÖPNV muss sich von der Idee der Eigenwirtschaftlichkeit verabschieden. Zweitens: Wie auch beim Schienenverkehr braucht es auch bei den Busverbindungen mehr öffentliches Engagement, um flächendeckende Mobilität zu gewährleisten; ÖPNV muss zur kommunalen Pflichtaufgabe werden. Und drittens wird der VRT nicht um eine Diskussion seiner Struktur herumkommen. Kritiker verweisen darauf, dass ein wirklicher Verkehrsverbund, der den Namen verdiene, ohnehin erst geschaffen werden müsse, denn bis auf den Tarif gebe es bislang wenig gemeinsames. Fahrpläne seien nicht aufeinander abgestimmt, Parallelverkehr keine Seltenheit und passende Umsteige-Anschlüsse reiner Zufall.

Als Dialog auf dem Podium und „mit dem Publikum“, als der die Veranstaltung unter Moderation von Reiner Marz angekündigt war, melden sich auch zahlreiche Bürger und Fahrgäste zu Wort. Dass der Nahverkehr in der Region Trier „extrem teuer“ sei, wird dort beklagt, ebenso wie die schlechte Anbindung für Berufspendler nach Luxemburg. Praktische Vorschläge zur Verbesserung sind auf dem Podium rar gesät. Grünewald verweist auf die Erfolge, die man mit bezahlbaren flächendeckenden Zeitkarten im Saarland erzielt habe: „So eine gemeinsame Fahrkarte steigert nicht nur die Attraktivität für viele Fahrgastgruppen, sondern ist auch ein gutes Marketinginstrument, um etwas so abstraktes wie einen Verkehrsverbund zu vermarkten“. Thomas Geyer sieht die Zukunft hingegen auf der Schiene im Allgemeinen und dem Rheinland-Pfalz-Takt 2015 im Speziellen: „Im Dezember 2014 wird Trier eine völlig andere Funktion im ÖPNV haben als heute, und als Knotenpunkt des regionalen Nah- und Fernverkehrs fungieren“, prophezeit er, und sieht – wie seine Mitdiskutanten auch – die öffentliche Hand stärker als heute in der Pflicht.

Eine Bemerkung aus dem Publikum vermag diese Visionen ganz schnell auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen: „Vor dem Hintergrund von Schuldenbremse und kommunalem Entschuldungsfonds wird der Sparzwang nicht ab-, sondern zunehmen“, gibt Christian Schmitz vom DGB in der Region Trier zu bedenken. „Mich würde interessieren, wie in diesem Zusammenhang politische Handlungsfähigkeit gewährleistet werden soll?“

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.