Vorbild Andernach?

Stadtplanung gehört zu den elementarsten Aufgaben von Kommunen, auch in Trier. Während in der Moselstadt Großprojekte wie beispielsweise die „Stadt am Fluss“ oder die Umgestaltung des Porta-Nigra-Umfelds nicht vorankommen oder ihre Realisierung noch völlig ungewiss ist, ist in Andernach mit der „essbaren Stadt“ eine Vision bereits Wirklichkeit geworden: städtische Gemüsebeete, an denen sich jeder frei bedienen kann. Oberbürgermeister Klaus Jensen (SPD) und eine Delegation durften kürzlich bei einem Besuch vor Ort erfahren, dass Trier neben den finanziellen Mitteln auch der ein oder andere Marketing-Profi fehlt, der die Aktivitäten der Kommune überregional zu vertreten weiß.
ANDERNACH. Wie sehr sich Andernach mit seiner neuen Gartenkultur identifiziert, zeigt sich bereits am Eingang zum Sitzungssaal des Rathauses. Dort befindet sich in einer Glasvitrine eine veritable Bücherschau zur einschlägigen Ratgeber-Literatur. Ob Winter- oder Rosengarten, von Fengshui-Methoden bis zur perfekten Harmonie der Flora – Bürgern wie Besuchern wird unmissverständlich die neue Kernkompetenz der Lokalpolitiker verdeutlicht. Seit 2009 gilt die Kommune nämlich als „essbar“. Was hinter diesem Label steckt, wollte eine 20-köpfige Trierer Delegation in Augenschein nehmen und machte sich deshalb von der Mosel auf ins Rheintal. An der sommerlichen Exkursion nahmen neben OB Klaus Jensen und dem Chef des Grünflächenamtes Franz Kalk sowie Mitgliedern des Stadtrates auch ökologisch orientierte Bürgervereine wie die Lokale Agenda 21, ProPfalzel und Transition Trier teil.

Dass das Thema ökologisches Engagement heutzutage nicht mehr nur von Umweltaktivisten besetzt wird, lässt sich bereits am Erscheinungsbild des Oberbürgermeisters von Andernach, Achim Hütten, erkennen: Lacoste, Hermès und Gucci scheinen die bevorzugten Modemarken des Berufspolitikers zu sein. Dazu passt auch Hüttens erklärtes Interesse für Managementtheorien, die ihn zur Initiierung des Stadtplanungsprojektes bewogen haben. So wiederholt er gegenüber den Zuhörern aus Trier mehrfach seine Grundüberzeugung: „Am Anfang einer Idee treffen Sie bei ihren Gesprächspartnern auf Angst und Ironie. Das gilt es zu überwinden.“ Dieses vermeintliche Naturgesetz umging Hütten indes bei den Planungen zur „essbaren Stadt“, indem er die Verwaltung anfänglich ohne einen Stadtratsbeschluss mit der Neugestaltung der kommunalen Grünflächen beauftragte, wie er unumwunden zugibt.

Was steckt nun hinter dem Pilotprojekt, welches neben einer breiten nationalen Medienresonanz mittlerweile auch Interesse bei Großstädten im In- und Ausland weckt? In erster Linie geht es den Stadtplanern um eine nachhaltige Kultivierung landwirtschaftlicher Produkte und Zierpflanzen im Innenstadtbereich. So werden seit dem Start im Jahr 2009 entlang der historischen Wallmauer verschiedenste Obst- und Gemüsesorten angebaut – beispielsweise diverse Salat- und Zwiebelarten, Granatäpfel und Pfirsiche. Der Clou besteht darin, dass die Bürger nach eigenem Gusto die Ernte jederzeit mit nach Hause nehmen können. Zudem gibt es an einzelnen, vormals problematischen Stellen heute Zierbepflanzungen – beispielsweise mit Rhododendrensträuchern; und seit kurzem auch eine eigene kleine Hühnerzucht im Graben des Stadtgartens. Die Schirmherrschaft liegt dabei im Unterschied zu bürgerschaftlichen Initiativen in anderen Städten – Stichwort „Urban Gardening“ – allein bei der kommunalen Verwaltung. Deshalb sind für die Gartenarbeiten über eine gemeinnützige GmbH derzeit rund 50 Mitarbeiter eingestellt, denen sich dadurch nach dem Vorbild des Trierer Bügerservice eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt bietet.

Die Verantwortlichen in Andernach zielen mit der „essbaren Stadt“ auch auf die Verbesserung der weichen Standortfaktoren ab. So möchte Oberbürgermeister Hütten durch das „Public Gardening“ zu einer größeren Wertschätzung öffentlicher Räume beitragen und die „soziale Kontrolle“ in Sachen Verschmutzung und Vandalismus fördern. Um die weltanschauliche Überzeugungsarbeit kümmert sich dabei in erster Linie die Moderatorin, Publizistin und Gartenbau-Ingenieurin Heike Boomgaarden. Neben griffigen Slogans wie „Der größte Lehrgarten Deutschlands“ für die acht Hektar große Permakultur-Fläche in Andernach-Eich – das andere ökologische Großprojekt der Kommune – versteht sie es, neugierige Besucher auf ihre Ideale einzuschwören. Von ihr fallen während des vormittäglichen Rundgangs Sätze wie „Hühnern zuzuschauen ist Meditation“ oder „Alles hier ist Kreislauf“. Dieses Sendungsbewusstsein macht Boomgaarden nicht nur zur charismatischen Botschafterin innerhalb der Stadt, sondern auch zum idealtypischen Gesprächspartner für Journalisten.

Dass nun auch Oberbürgermeister Klaus Jensen die Andernacher Gemüsebeete begutachtete, ist auf einen Vorschlag aus dem Trierer Bürgerhaushalt zurückzuführen. Vor etwa einem Jahr stellte der mitgereiste IT-Fachmann Sven Dahmen seine Idee auf der Online-Plattform vor und erhielt dafür genügend digitale Unterstützung, damit der Stadtrat die Verwaltung mit einer möglichen Umsetzung beauftragten konnte. Der Einfall sei ihm während einer Vorstandssitzung des FDP-Kreisverbandes gekommen, dem Dahmen angehört: „Ich bin einfach davon ausgegangen, dass viele Menschen in Trier Grünflächen im öffentlichen Raum betrachten und sich denken ‚Da würde ich gerne mal mit der Hacke drüber‘.“ Nach der Besichtigung des Andernacher Modells wünscht er sich jedenfalls ein ähnliches Stadtplanungsvorhaben auch für Trier: „Einfach weil es hier nicht mehr als Ordnungswidrigkeit gilt, mal eine Blume zu pflücken.“

Trotz dieser Begeisterung ist es wohl ausgeschlossen, dass auch Trier das „Public Gardening“ zu seiner Visitenkarte machen kann. Zum einen wird es bei der Nachbesprechung Anfang Juli mehr um den Ausbau bestehender Stadtteilkonzepte in Pfalzel oder dem Avelertal gehen als um die ökologische Umgestaltung des Innenstadtbereichs. Den Grund dafür sieht Jensen auf Nachfrage beim Fehlen geeigneter Grünflächen beziehungsweise schadstoffarmer Bereiche im Zentrum als Voraussetzung für eine großflächige Bewirtschaftung. Zum anderen fehlt es der Moselstadt im Vergleich zu den Rheinländern an ausreichenden Gewerbesteuereinnahmen und damit finanziellen Polstern, um die notwendige Anschubfinanzierung für ein Großprojekt zu stemmen. Worin sich die beiden Städte außerdem noch unterscheiden, fasst Charlotte Kleinwächter von der Lokalen Agenda 21 nach dem Besuch zusammen: „In Trier muss man nicht nur Angst und Ironie überwinden, sondern auch noch die ganze Autolobby.“

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