Vom Sterben der Lieder

Seit über 2000 Jahren überliefern sie mit ihrer Musik das Wissen und die Traditionen ihres Volkes. Die Manganiars, die traditionelle Kaste der Musiker und Geschichtenerzähler im indischen Bundesstaat Rajasthan, sehen sich heute zunehmend mit dem Verlust ihrer Kultur konfrontiert. Drei Kommunikationsdesign-Studenten der Fachhochschule Trier schufen mit ihrer Dokumentation „Manganiars – a traditional musician caste in times of change“ eine Momentaufnahme einer alten Tradition in Zeiten des Wandels. Am morgigen Donnerstag um 20 Uhr wird der Film im Broadway uraufgeführt.

TRIER. Alles begann mit Florian Luxenburgers Indienreise. In der verschlafenen Wüstenstadt Jaisalmer, nahe der pakistanischen Grenze, knüpfte er Kontakt mit dem österreichischen Soziologen Helmut Pachler, der sich seit 16 Jahren mit der Tradition der Manganiars beschäftigt und mit seinem Projekt „Artist Hotel“ für den Erhalt dieser vom Aussterben bedrohten Kultur kämpft. Der Faszination für das Thema konnte sich der Student seither nicht mehr entziehen. Wie auch? Es geht um Musiker, die seit jeher durch die kargen Wüstenregionen Nordwestindiens ziehen und das Wissen, die Mythen und Geschichten einer ganzen Gesellschaft mit sich tragen. Ob auf Hochzeiten oder Volksfesten, die Manganiars dürfen bei keiner Festivität fehlen. Sie besingen die Lebensgeschichten der Maharadschas, die Gottheiten der Hindus, tragische Liebesgeschichten im indischen Kastensystem und sogar die Hochzeit von Alexander dem Großen in Indien. Das ist Stoff, der verzaubert. Stoff, der verfilmt werden muss, solange es noch geht, dachte sich Luxenburger und steckte nach seiner Heimkehr kurzerhand seine Kommilitonen Daniel Kreuter und Holger Reissig mit seiner Begeisterung an.

„Das Projekt war vor allem ein Sprung ins kalte Wasser“, verrät Daniel Kreuter. „Nicht nur, weil es unser erster Dokumentarfilm war, sondern weil keine Maßnahme und keine Vorbereitung einen vor dem Kulturschock schützt, der einen in Indien erwartet.“ Bevor die Drei für die Dreharbeiten nach Indien reisten, wurden daheim noch die notwendigen Vorkehrungen getroffen. Man recherchierte das Thema ausgiebig, das Equipment wurde zusammengestellt und auch mit den Zollbestimmungen und der indischen Gesetzeslage setzte man sich auseinander.

Zu unvorhersehbaren Problemen kam es in den fünf Wochen Aufenthalt dann trotzdem immer wieder. Der Zug von Delhi nach Jaisalmer fiel wegen dichtem Nebel aus, die Kommunikation mit der ländlichen Bevölkerung gestaltete sich weitaus schwieriger als gedacht und die häufigen Stromausfälle erschwerten die Innenaufnahmen beträchtlich. Doch die drei Studenten wussten sich zu helfen. „Wir waren häufig gezwungen zu improvisieren“, erklärt Kreuter, „ob man spontan die Fragen der Interviews ändert oder man schnell aus zwei Glühbirnen, einem langen Stromkabel, dem Dimmer der Nachttischlampe, einem Mülleimer und einem Stück Betttuch eine Leuchte baut.“

Vor allem die Gastfreundschaft, Offenheit und Herzlichkeit der Einheimischen zeichnet das Projekt aus und ermöglichte erst den Blick hinter die Kulissen, der für einen authentischen Dokumentarfilm unabdingbar ist. Ihr aufrichtiges Interesse an dem Kulturschatz der Inder öffnete den Filmern Türen, die dem Durschnittsbackpacker verschlossen bleiben. „Wir wurden zu dutzenden Abendessen und Feiern eingeladen“, schwärmt Kreuter. „Irgendwann hatten wir dort mehr gesellschaftliche Verpflichtungen als hierzulande.“ Der wohl aufregendste Moment für den 31-Jährigen war der Dreh einer traditionellen muslimischen Hochzeit. Vier Stunden fuhren die Studenten dafür mit einem Jeep durch die Wüste Thar ins indisch-pakistanische Grenzgebiet. Eine Region, vor der das Auswärtige Amt Touristen abrät. „Wir wurden in diesem kleinen Wüstennest mitten im Nirgendwo abgesetzt und fanden uns in der Zeit zurückversetzt und in einer fremden Gesellschaft wieder. Das war schon ein mulmiges Gefühl“, gesteht er.

Nach knapp einem Jahr Arbeit und aufwändiger Nachbearbeitung ist die Dokumentation nun fertig. Vier Protagonisten geben einen Einblick in den Alltag der Manganiars und skizzieren die verschiedenen Fassetten des Musiker-Daseins zwischen Tradition und Moderne. Ihre Folklore, eine berauschende Kombination aus Rhythmik und hypnotischen Melodien, bietet dazu den Soundtrack. So hilft ein junges Medium, ein altes zu konservieren. Denn die Lieder und Geschichten der Manganiars sind kein Bollywood-Material. Gesellschaftlicher Wandel und technischer Fortschritt verdrängen das alte Kulturgut zunehmend aus dem öffentlichen Leben und machen es immer schwerer für die Manganiars von ihrer Musik zu leben. So soll auch ein Teil des Erlöses des Films den Musikern für die Reparatur und den Neukauf von Instrumenten zukommen.

Wahrscheinlich ist es dann auch nicht das letzte Mal, dass wir von den drei Studenten hören. Den Weltenbummler Florian Luxenburg hat es nämlich nicht lange in Trier gehalten. Er ist wieder auf Weltreise. Einen kleinen Zwischenstopp hat er auch in Jaisalmer eingelegt, um den Film dort einem erlesenen Kreis von Einheimischen vorzuführen. „Wer weiß, vielleicht bringt er ja Ideen für ein neues Projekt mit“, spekuliert Florian Kreuter. „Ich wär‘ mit Sicherheit dabei!“

Premiere von „Manganiars“ morgen um 20 Uhr im Broadway; weitere Vorstellung am Sonntag um 16.45 Uhr; Preis € 4,50, Infos und Trailer unter www.manganiars-movie.blogspot.com.

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.