Unser Frieden hier ist Krieg

Bereits im Programm sticht die Produktion mit ihrem Titel aus dem gewohnten Erscheinungsbild des Trierer Theaters heraus: „Der kalte Kuss von warmem Bier – ein Stück Scheißestaub von Dirk Laucke“ feierte am Samstagabend Premiere im Studio. Langer Beifall für eine gewagte wie gelungene Produktion, mit der Regisseurin Ingrind Müller-Farny die Aufgaben und Möglichkeiten der Studiobühne in Erinnerung ruft.

TRIER. Der junge Richard (Daniel Kröhnert) hatte sich das so einfach vorgestellt: Sechs schnelle Monate „da unten“ ableisten, das Geld für die Zukunft mit Mila verdienen, heiraten und Afghanistan vergessen. Als er zurückkommt, ist die Verlobte weg, die Bilder aus dem Krieg aber bleiben. Jetzt prangen vier Buchstaben auf seiner Akte: PTBS, posttraumatische Belastungsstörung.

Anderer Fall, gleiches Problem: Maik (Manfred-Paul Hänig), ehemaliger Grenzsoldat an der deutsch-deutschen Grenze, der den Schießbefehl höher achtete als die Freundschaft. Zwei Männer, die nicht nur quälende Erinnerungen, sondern auch ihren Hang zur Flasche teilen. Sie flüchten sich aus ihrer Gesprächstherapie in die Kneipe der Rockerbraut Yvonne (Barbara Ullmann). Als deren Freund beim Bierholen handgreiflich wird, lassen die Ex-Soldaten ihrem Gerechtigkeitsempfinden freien Lauf und setzen ihn außer Gefecht. Statt Dankbarkeit schlägt ihnen von der hemdsärmeligen Thekenfrau nur Unverständnis entgegen. Ein Wort ergibt das andere, und als die Bezeichnung „Psychos“ herausrutscht, sehen die Männer rot.

Um die Begegnung dieser drei Charaktere hat Autor Dirk Laucke eine Geschichte über die Themen gestrickt, die von der deutschen Öffentlichkeit gerne und mit Sorgfalt unter den Teppich gekehrt werden: Die Kriege der BRD, die jungen Menschen die dorthin entsendet werden; Gewaltexzesse, nicht nur im Kriegseinsatz. „Niemand hat den deutschen Soldaten gesagt, was Krieg ist“, singt Fanny van Dannen in das Stück hinein. Während die Bundesrepublik noch um Begrifflichkeiten ringt, erkennt Lauckes Afghanistan-Soldat, dass es dort weniger um Brunnenbau als um „richtigen“ Krieg geht: Um Töten und Getötet-Werden, Leichenteile vor dem Camp, „nach Gammel, nach Exkrementen, nach Scheißestaub“, sagt Rückkehrer Richard im Stück. „Scheißestaub“, den Autor Dirk Laucke seinem Stück als Untertitel mitgegeben hat, um Sand ins Getriebe einer Gesellschaft zu streuen, die dem Krieg ihre Aufmerksamkeit verweigert. Für den Grenzsoldaten Maik sind die Folgen seines Einsatzes am Zaun ganz konkreter Natur, ihn verfolgen Visionen einer Figur. In blutigen Verbandsfetzen (Kostüme: Yvonne Wallitzer) entsteigt der Stacheldrahtmann (Christian Miedreich) mit der Eindringlichkeit eines Freddy Krueger den dunklen Bühnenwinkeln. Seine Präsenz ist es, die über das ganze Stück die Aura des unbenennbaren Grauens eines David-Lynch-Films legt.

Kriegsversehrte sind nicht nur die beiden Soldaten, sondern auf ihre Art auch die Rockerkneipenfrau Yvonne, die frei nach Trotzki proklamiert: Beziehungen und Ehe, das sei eine „permanente Revolution“. Alle drei sind sie Kriegsversehrte: Zwei, weil sie von ihren Staaten öffentlich zum Töten geschickt wurden, und eine, weil sie Kriegerin in eigener, privater Sache ist. „Was ist Krieg?“, schreit Richard angesichts des prügelnden Ehemanns, und verliert zusehends die Trennschärfe. „Unser Frieden hier ist Krieg“, brüllt die Geprügelte zurück.

Regisseurin Ingrid Müller-Farny statuiert mit ihrem Ensemble ein Exempel, wie man ein tabuisiertes Thema auf die Bühne bringt, ohne sich in Redundanzen und Plattitüden zu verheddern. Die stumpfe Gewalt, die sich hinter der Maske militärischer Ehre verbirgt, hat längst ihre Bilder in das Kollektivbewusstsein eingebrannt: Nackte Gefangene an Hundeleinen, Leichenschändung, Demütigungen, Zivilistenmorde. Die Inszenierung umgeht diese Bilder und zeigt die Abgestumpftheit mit anderen Mitteln: Sexualität, Alkohol – alles hat das gemäßigte Mittel verlassen und muss grelle Reize senden, um überhaupt noch etwas spürbar zu machen: den schnellen anonymen Orgasmus spendet das Glory Hole in der öffentlichen Toilette, und wo das Bier nicht mehr ausreicht, wird der alkoholgetränkte Tampon in den Po gesteckt. Manfred-Paul Hänig und Daniel Kröhnert spielen diese Barbarei der letzten Menschen mit einer Unerbittlichkeit, die Rohheit greifbar macht. Schamlosigkeit im besten Sinne, die nie zur „Sperma, Blut und Brüste“-Effekthascherei verkommt. Stark sind sie dabei nicht nur einzeln, sondern vor allem in ihrem Zusammenspiel. Als musikalischen Beitrag zum Gelingen hat der britische Punk-Musiker T.V. Smith den Soundtrack beigesteuert: vier der Titel hat er eigens für die Trierer Produktion komponiert.

Die Inszenierung dekliniert durch, was Aufgaben und Möglicheiten einer Studiobühne sind: Inhaltliche und gestalterische Experimente, das Spiel mit dem Raum, Nähe zum Publikum, unbequeme Fragen und verstörende Antworten. All das ohne aufwendiges Drumherum, sondern in Vertrauen auf Schauspieler und Regie-Idee – mit diesen Zutaten hat Ingrid Müller-Farny eine sehr sehenswerte Produktion auf die Studiobühne gezaubert. Einziger Wermutstropfen im stimmigen Ganzen: Die Unsitte der Ansprache vor Vorstellungsbeginn gehört auch auf einer Studiobühne verboten. Die Ankündigung, gleich Zeuge eines „aufwühlenden Theaterabends“ zu werden, birgt immer auch Gefahr, selbigen zu verunmöglichen.

Weitere Aufführungen im Mai: Samstag, 12. Mai, 20 Uhr; Samstag, 19. Mai, 20 Uhr; Freitag, 25. Mai, 20 Uhr; Sonntag, 27. Mai, 20 Uhr.

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