Triers Piraten hoffen auf Fraktionsstärke

DarjaHenselerKleinneuBasisdemokratie kann dauern. Zumindest dann, wenn man ihre Grundprinzipien so ernst nimmt, wie die Trierer Piraten. Diese wählten am Donnerstagabend ihre Kandidatenliste für die im Mai kommenden Jahres anstehende Stadtratswahl – in einer knapp fünfeinhalbstündigen Sitzung, in deren Verlauf neun geheime Wahlgänge und mehreren Stichwahlen zu absolvieren waren. Erst mitten in der Nacht, um kurz nach 1 Uhr, schloss der Vorsitzende Thomas Heinen die Veranstaltung. Die Spitzenposition besetzen die Piraten wie zuletzt bei der Landratswahl mit einer Frau: Darja Henseler soll die Partei erstmals in den Stadtrat führen. Und geht es nach Kreischef Heinen, dann wird seine Partei schon bald den OB-Kandidaten von CDU und SPD auf den Zahn fühlen. Erst danach werde man entscheiden, ob die Piraten einen eigenen Bewerber ins Rennen um den Chefsessel im Rathaus schicken. 

TRIER. Während der Piratenpartei auf Bundesebene durch das magere Wahlergebnis vom September gerne eine Krise zugeschrieben wird, gibt sich die Trierer Gruppe davon völlig unbeeindruckt. Es war eine bunt gemischte Gruppe, die sich am Donnerstagabend in der „Scheinbar“ zur Listenaufstellung des Kreisverbandes traf. Es wurde viel gelacht, zahlreiche Keksdosen und „Club Mate“-Flaschen machten erst einmal die Runde. Der Kreisvorsitzende Thomas Heinen begann denn auch sichtbar gut gelaunt, seine Zuhörer in dem bis auf den letzten Platz gefüllten Raum mit den Formalitäten des Abends vertraut zu machen. Denn es stand einiges auf der Tagesordnung: Die Vorstellung der Kandidaten, ein Qualifizierungswahlgang, die Wahl des Spitzenkandidaten, Wahlen der Listenplätze 2 bis 5 sowie die der restlichen 15 Listenplätze – manche Piraten schätzten schon vorab, dass das aufwendige Prozedere bis 1 Uhr nachts dauern könnte. Und sie sollten damit recht behalten.

Vor allem die individuelle Vorstellung von jedem einzelnen der 20 Kandidaten nahm einige Zeit in Anspruch. Dabei stand diese Wahl unter besonderen Vorzeichen, zumindest in der Trierer Parteienlandschaft: Die Piraten warben im Vorfeld mit einer offenen Liste – was bedeutet, dass sich auch Nicht-Parteimitglieder wählen lassen konnten, sofern diese die akkreditierten Mitglieder auf der Wahlversammlung von sich zu überzeugen vermochten. Und so stellten sich neben den Parteimitgliedern tatsächlich einige parteilose Kandidaten zur Wahl – hauptsächlich stammten diese jedoch aus dem näheren Umfeld der Partei. Diese wurden von einzelnen Parteimitgliedern wie dem Vorsitzenden Thomas Heinen auf eine Kandidatur angesprochen oder waren mit den Piraten bereits von gemeinsamen Demonstrationen vertraut.

Auch wenn damit außer einem Mitglied der Grünen niemand vollständig parteifern war, gesteht Heinen ein, dass offene Listen prinzipiell auch Gefahren bergen. Zwar müssen sich alle Kandidaten dem Plenum vorstellen und teilweise harte Fragen über sich ergehen lassen. Jedoch könne ein solches Verfahren nicht prinzipiell ausschließen, dass es es in Einzelfällen zu Missbrauch durch andere politischen Gruppen komme: „Dieses Risiko müssen wir eingehen“, so Heinen. So lautete denn auch mit die häufigste Frage – auch an die antretenden Parteimitglieder – wie es denn um andere politische Organisationen und Parteizugehörigkeiten stehe. Zudem kamen aus dem Plenum häufig kritische Fragen zur persönlichen Motivation und, gerade bei den studentischen Kandidaten, auch zu ihrem weiteren Verbleib in Trier. Denn ein Stadtratsmandat hat man grundsätzlich fünf Jahre inne. Die Piraten scheinen sich absichern zu wollen, dass alle – wenn auch nur theoretisch – ihren Aufgaben gerecht werden können. Dieser Punkt und die kritischen Nachfragen dürften mit dazu beigetragen haben, dass die ersten fünf Listenplätze dann doch allesamt mit Parteimitgliedern besetzt wurden. Der um die Kandidaten-Akquise und den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung sichtbar bemühte Heinen trat selbst nicht zur Listenwahl an.

Wie wahrscheinlich ein solches Mandat ist, darüber macht sich auch die später zur Spitzenkandidatin gekürte Darja Henseler wenig Illusionen. Ausgehend vom Bundestagswahlergebnis in Trier vermutet die promovierte Biologin, „dass wir schon zwei bis drei Leute rein bekommen. Es wäre schön, wenn wir Fraktionsstatus erreichen könnten.“ Henseler, die für die Piraten auch schon die Landratswahl im vergangenen September bestritt, sieht ihre Schwerpunkte vor allem im Bereich Verkehrspolitik / ÖPNV und Kultur. Sie steht denn auch für die teilweise ambitionierten Ziele des Kommunalprogramms der lokalen Piraten, wie beispielsweise die Forderung nach einem fahrscheinlosen Nahverkehr. Dennoch gibt sie sich eher pragmatisch auf die Frage, was sie als „Einzelkämpferin“ – dieser Begriff fiel oft in Bezug auf die Chancen der Piraten – oder gemeinsam mit einem oder zwei anderen Piraten in der Verkehrspolitik wirklich zu bewegen vermag: „Es wäre ja schon viel erreicht, wenn wir allein die Ampelschaltungen in der Stadt verbessern könnten.“ Daher sei sie grundsätzlich „relativ offen“ für eine Zusammenarbeit mit anderen Fraktionen im Stadtrat.

Henseler gewann die Kandidatur um das Spitzenmandat mit großem Vorsprung, sie erreichte 49 von 70 möglichen Stimmen (14 akkreditierte und damit wahlberechtigte Mitglieder konnten bis zu 5 Stimmen pro Person vergeben). Spontan trat sie gegen Moritz Rehfeldt, Sebastian Kratz und Jan-Thilo Günther an, weil sie mehrere der anwesenden Piraten laut dazu ermunterten. Im Gegensatz zu den eher nüchtern und pragmatisch wirkenden Charakteren wie Henseler bot der Abend auch Potenzial für Kontroversen. So ließ der Sinologie- und Politikstudent Jan-Thilo Günther das Plenum vor der Wahl um die Spitzenkandidatur wissen, dass er durchaus antrete, „um hier politische Karriere zu machen.“ Während der die Sitzung leitende Thomas Heinen darum bemüht war, Günthers spontane Rede mit Hinweisen auf die Zeit zu bremsen, richtete dieser noch mahnende Worte an die anderen drei Kandidaten – diese sollten sich ihrer Verantwortung und ihrer Ideale bewusst werden. Er selbst hingegen sei sich im Klaren darüber, dass er nicht für die vollen fünf Jahre zur Verfügung stehen könne. Durch das Plenum fuhr ein Raunen, später wählten die Piraten den Kandidaten nicht auf die vorderen Listenplätze.

So waren bei den Anwesenden später auch einige kritische Stimmen zu hören. Beispielsweise fand es die parteilose Kandidatin Arlinda Brühl „erschreckend, dass so wenige Frauen hier sind.“ Tatsächlich war das Verhältnis mit 17 Männern zu fünf Frauen nicht eben ausgewogen, hier wurden die Piraten ihrem Ruf als „Männerpartei“ vollauf gerecht. Auch die Länge der Sitzung schien dem einen oder anderen auf die Stimmung zu schlagen. Denn sie war nicht nur von langen Diskussionen geprägt, sondern auch von sich hinziehenden Pausen. Die wurden nicht nur zum Wählen selbst gebraucht, auch zum Drucken und Schneiden der Wahlzettel brauchte es jedes Mal Zeit. Und während einige während dieser Phasen lebhaft miteinander diskutierten, vertieften sich andere in die Lektüre von Romanen. Zudem fiel es durch private Unterhaltungen und das Rappeln einer häufig genutzten Kaffeemaschine oft schwer, dem Sitzungsverlauf zu folgen. Mangelnde Professionalität oder eben gelebte Basisdemokratie – die Grenze dazwischen scheint Definitionssache.

Dennoch waren es gerade die Parteilosen, von denen viel Lob für die konsequente Basisdemokratie der Piraten kam. So erklärte Adrian Bongartz, eigentlich Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, er trete an, weil er glaube, „dass hier der Einzelne mehr zählt als die Fraktion.“ Oliver Leitzgen vom „Chaos Computer Club Trier“ fand während seiner Vorstellung ähnliche Worte: „Mich fasziniert, dass die Piraten so eine Art Metapartei sind.“ So hält auch der auf den aussichtsreicheren Listenplatz 2 gewählte Pirat Moritz Rehfeldt Parteizugehörigkeiten „für total sinnfrei“, ihm gehe es im Falle eines Wahlerfolgs eher um „Themenkoalitionen“ denn um Fraktionsgrenzen. Den pointiertesten Anspruch vertrat der auf Platz 5 gewählte Christian Voßen: „Ich selber bin nur das Sprachrohr der Basis“, es könne „interessant werden, was die Leute dann an mich herantragen.“

Um aber ihren Traum von einem oder mehreren Stadtratsmandaten wahr zu machen, brauchen die Piraten nun 230 Unterstützer-Unterschriften. Zudem kündigte Thomas Heinen an, dass man beide OB-Kandidaten einladen werde, „um ihnen auf den Zahn zu fühlen.“ Erst danach werde man entscheiden, wie man sich positioniert und ob ein eigener Kandidat aufgestellt wird.

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