Triers Nicht-Partei

Die Frage „Was geschehen wäre, wenn…?“ ist bekanntlich müßig, belastbare Antworten wird man nicht erhalten. Der Historiker Alexander Demandt hat dem Phänomen der ungeschehenen Geschichte dennoch ein ganzes Buch gewidmet: „Es hätte auch anders kommen können“, heißt das Werk, das „Wendepunkte deutscher Geschichte“ aufgreift und beschreibt, wie sich der Laufe der Dinge möglicherweise entwickelt hätte, wenn… Soweit, die Gründung der heute als Freie Wählergemeinschaft Trier e.V. firmierenden UBM als einen Wendepunkt Trierer Stadtgeschichte zu bezeichnen, muss man nicht gehen. Doch dass die Nicht-Partei die Kommunalpolitik maßgeblich beeinflusste, bestreitet niemand. Am Sonntag feierte der Verein sich und seinen 20. Geburtstag.

TRIER. Im Anfang war das Wort, und das erste Wort hatte Manfred Maximini. Das war nur konsequent, denn ohne den Kürenzer hätte es die Unabhängige Bürgervertretung Maximini nie gegeben – auch nicht unter anderem Namen. Also trat der frühere UBM-Namensgeber und heutige FWG-Ehrenvorsitzende ans Rednerpult und begrüßte die zahlreichen Gäste im Foyer des Trierer Theaters. Fast der komplette Stadtvorstand war gekommen – der ehemalige und der nicht mehr ganz so neue. Die Freie Wählergemeinschaft sei eben das, was schon die UBM gewesen sei – „ein zuverlässiger politischer Partner“, befand Maximini und berichtete von der „Entdeckungsfahrt“, auf die er und seine damaligen Mitstreiter sich 1992 gemacht hätten. „Am Anfang stand eine Idee“, erklärte der Redner, „wir waren angetreten, etwas zu bewegen“. Die FWG sei eine Gemeinschaft „von Menschen mit Ideen und Visionen“, sagte Maximini, und dass für ihn das Schlimmste gewesen sei, auf den Erfolg zu warten, auf „Land in Sicht“.

Das war, um eine Formulierung des früheren SPD-Bundesvorsitzenden Björn Engholm zu bemühen, ein Stück weit „die Wahrheit gebeugt“. Denn am Anfang der UBM stand bekanntlich eine unschöne innerparteiliche Auseinandersetzung, die zur Abspaltung mehrerer Genossen von der SPD führte; Maximini hatte 1991 Kulturdezernent werden wollen, doch das wollten der seinerzeitige Trierer SPD-Chef Christoph Grimm und andere Sozialdemokraten um jeden Preis verhindern. Dafür sollten die Sozialdemokraten schließlich einen hohen Preis zahlen – es kam zum Bruch und zur Gründung der UBM, und das Warten auf Erfolge sollte für Maximini und seine Anhänger schon bald ein Ende haben. Nur zwei Jahre später, bei der Kommunalwahl 1994, fuhr die Gruppierung ein fulminantes Ergebnis ein, auf 9 Sitze kam die UBM im ersten Anlauf. Der Verein war nun auch vom Wählerwillen legitimiert, die Neugründung nicht in einem Schiffbruch geendet. Fast eineinhalb Jahrzehnte sollte die UBM ein maßgeblicher und nicht selten entscheidender Faktor der Kommunalpolitik bleiben. Verlassen konnten sich allen voran die CDU und ihr langjähriger Vormann Helmut Schröer auf die wohlwollende Unterstützung der Bürgervertreter, der ehemalige OB war denn auch am Sonntag unter den Gratulanten.

Die SPD erwähnten Maximini wie auch die anderen Redner mit keinem Wort; mag man sich auch weiterhin als „Nicht-Partei“ (O-Ton Vereinschef Hermann Kleber) verstanden wissen, eine Art Anti-SPD möchten die Freien Wähler längst nicht mehr sein. „Rituelle Konfrontation passt nicht mehr in unsere Zeit“, so Maximini, „wir reichen allen demokratischen Kräften die Hand“. Selbstzufrieden resümierte Maximini am Ende seiner Ansprache: „Ich würde alles noch einmal so machen“.

Der Erfolg scheint ihm und seinen Vereinsfreunden Recht zu geben, auch wenn unverkennbar ist, dass die etablierte Gruppierung ähnliche Probleme plagen wie die etablierten Parteien. So hat die Freie Wählergemeinschaft ein eklatantes Nachwuchsproblem, dass jenes von CDU, SPD, FDP und Grünen in Trier übersteigt. Auch ist die FWG von der einstigen kommunalpolitischen Stärke der UBM weit entfernt: Mehr als fünf Jahre liegt es zurück, seit man letztmals entscheidenden Einfluss ausübte – und der Union zu einer Mehrheit für die heutige Baudezernentin Simone Kaes-Torchiani verhalf. Doch angesichts wechselnder Mehrheiten kann auch ein Klaus Jensen die sechsköpfige Mannschaft mit Fraktionschefin Christiane Probst an der Spitze nicht ignorieren. Der OB strich denn auch die Gemeinsamkeiten heraus: „Uns verbindet die Liebe zu unserer Stadt“, erklärte der Sozialdemokrat, die FWG leiste mit ihrem Selbstverständnis als „Nicht-Partei“ einen wichtigen Beitrag, „dass unterschiedliche Menschen an die Demokratie gebunden werden“. Doch der OB trat auch einem gewissen, seit Gründung fortdauernd propagierten Alleinvertretungsanspruch der Bürgervertreter entgegen: Das Bürgerinteresse gebe es schlicht nicht, so Jensen, sondern zu jedem Thema unterschiedliche Auffassungen und Ansichten. Die Kunst liege darin, „die Balance zu halten zwischen Partikularinteressen und dem Wohl des großen Ganzen“. Wer wollte, konnte aus diesen Worten Kritik herauslesen.

Kritisch und klar positionierte sich Hermann Kleber. Der Vereinschef hielt den Festvortrag, um „Anspruch und Auftrag“ der Freien Wähler ging es dem Professor, der die bundesweite Entwicklung in den Blick nahm. Man verstehe sich als „Verfechter eines Bürgerstaates“, als „Korrektiv zur Parteiendemokratie“. In den 70er Jahren hätten die Grünen derartiges auch verfolgt, seien dann aber rasch zu einer herkömmlichen Partei wie alle anderen geworden, so Kleber. Mit rund 280.000 Mitgliedern bundesweit seien die Freien Wähler inzwischen stärker als Grüne, Linke und FDP zusammen, bezifferte der FWG-Vorsitzende. Nur, dass man bis heute über keine bundeseinheitliche Struktur verfügt, sondern lokal und regional organisiert ist. In Rheinland-Pfalz soll sich das bald ändern, steht doch im kommenden Monat die Gründung einer Landesvereinigung der Freien Wähler an; und auf Bundesebene spricht einiges dafür, dass die „Nicht-Partei“ bei der nächsten Bundestagswahl antreten wird. Kleber sieht diese Entwicklung kritisch, einige wesentliche Grundsätze, ja sogar das Selbstverständnis der Freien Wähler gerieten in Gefahr. Schließlich praktiziere man Bürgernähe und lehne Berufspolitikerexistenzen ab. Kandidaturen für Mandate, mit denen sich mehr als nur der Lebensunterhalt bestreiten lässt, seien erfahrungsgemäß mit politischen Rivalitäten verbunden, die nicht nur sachlich ausgetragen würden. „Freie Wähler sind nicht die besseren Menschen“, so Kleber, „auch bei uns gibt es Missgunst, Neid und Querköpfigkeit“. Bei der Aufstellung von Kandidaten sei deshalb ein Wettbewerb programmiert, mit dem man es bislang nicht zu tun habe. Ihn treibe deshalb „eine große Skepsis“ um, ob der Antritt bei Bundestags- und Landtagswahl der richtige Weg für die Freien Wähler sei.

Der nächste Mainzer Landtag wird erst 2016 gewählt, doch auf kommunaler Ebene stellen die Wähler schon 2014 die Weichen neu. Die FWG tritt dann zum fünften Mal bei einer Stadtratswahl an, voraussichtlich mit der in ihrer Fraktion unumstrittenen Frontfrau Christiane Probst an der Spitze. Die Schlappe von 2009, als die FWG vier ihrer zuvor neun Sitze verlor, hat die Frau aus Ruwer jedenfalls längst weggesteckt.

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