Triers Linke will bei Wahl ordentlich zulegen

LinkeDie Trierer Linke formiert sich für die anstehende Stadtratswahl. Die Mitglieder der aktuellen Ratsfraktion, Katrin Werner und Linde Andersen, ziehen sich aus der aktiven Kommunalpolitik zurück. Kreischefin Werner vollzieht diesen Schritt nach eigener Darstellung aufgrund ihres Bundestagsmandats, das sie schon seit Herbst 2009 innehat; Andersen verzichtet aus gesundheitlichen Gründen. Das bot der Mitgliederversammlung am vergangenen Freitag die Möglichkeit, die Liste mit neuem Personal zu besetzen – auch wenn der neue Spitzenkandidat Marc-Bernhard Gleißner mitnichten ein Unbekannter ist, sondern bereits 2009 in den Rat gewählt wurde. Von den Turbulenzen nach der letzten Kommunalwahl will bei der Linken heute niemand mehr etwas wissen, vielmehr wittert man Morgenluft.

TRIER. Marc-Bernhard Gleißner ist in bester Laune an diesem Freitagabend. Grund dazu hat der 29-jährige Doktorand allemal, denn die Mitgliederversammlung der Linken, die ihn später einstimmig als Spitzenkandidaten bestätigen wird, platzt schon zu Beginn aus allen Nähten. Scheinbar unterschätzte der Vorstand im Vorfeld das Interesse an der Listenaufstellung – anders ist wohl kaum zu erklären, warum ausgerechnet das Wahlkreisbüro von Katrin Werner für die Veranstaltung gewählt wurde. So tummeln sich auf geschätzten 20 Quadratmetern an die 30 Menschen, schlechte Luft und Körperkontakt inklusive. Nicht jeder bekommt einen Sitzplatz, häufig muss man auf seine Füße aufpassen. Denn es gibt viel Bewegung an diesem Abend: Die Anwesenden wählen nicht nur ihre Stadtratsliste und Vertreter für den Parteirat – sie verabschieden auch das Kommunalwahlprogramm und beschließen zwei Änderungsanträge. Im engen Büro müssen Wahlzettel verteilt, wieder eingesammelt und ausgezählt werden, während zwischendurch schon einmal der erste Sekt aufgemacht wird.

Für Außenstehende mag das wie ein ziemliches Tohuwabohu erscheinen, aber das ficht Gleißner nicht an. Zu Witzen aufgelegt leitet er die Veranstaltung mit einer bemerkenswerten Präsenz. Es scheint fast, als wäre Gleißner mit seiner Regie- und Schauspielerfahrung der einzige, der mit fester Stimme und klaren Anweisungen ein Abgleiten ins Chaos verhindert. Nur wenn er oder Katrin Werner das Wort ergreifen, redet wirklich niemand dazwischen – ganz im Gegensatz zu den Vorstellungen anderer Listenkandidaten an diesem Abend, die sich teilweise gegen eine undiszipliniert wirkende Geräuschkulisse aus dem Flur und benachbarten Räumen wehren müssen. Widerspruch erntet Gleißner kaum – bis auf eine einzelne Kampfabstimmung um einen Parteiratsposten verläuft die Versammlung wie nach Drehbuch. So wird auch seine kommunalpolitisch geprägte Rede mit Begeisterung aufgenommen. Harmonisch betonen nahezu alle Redner, wie gut doch die Zusammenarbeit in den letzten Jahr verlaufen sei.

Noch-Fraktionsmitglied Linde Andersen rührt das zu Tränen. Sie hält vor der Wahl eine flammende Laudatio auf Gleißner, bezeichnet ihn als Impulsgeber und „hervorragenden Beweis für das Ankommen der Linken in Trier“. Gleißner habe einen hohen Anteil am Aufbau der Partei. Überhaupt fallen Wortkombinationen wie „Aufbau“ und „gute Zusammenarbeit“ an diesem Abend häufig. Noch-Fraktionschefin Werner ist nicht nur „riesig stolz“, sondern betont auch, dass man sich mehr vorstellen kann: „Wir sind noch mittendrin und wollen das Ergebnis vom letzten Mal verbessern.“ Gleißner selbst wird da schon konkreter – vier Ratsmandate gibt er seiner Partei als Ziel vor. Denn nach dem guten Abschneiden der Linken bei der letzten Bundestagswahl sei das durchaus realistisch, erklärt er später im Interview.

Auf keinen Fall möchte die Linke noch einmal den Eindruck von Zerstrittenheit aufkommen lassen. Dabei lief die interne Zusammenarbeit noch bis vor einigen Jahren alles andere als harmonisch. Die Querelen innerhalb der Linken, in deren Verlauf der Spitzenkandidat von 2009 aus der Partei geworfen wurde und Gleißner sein Stadtratsmandat noch vor der konstituierenden Sitzung hin schmiss, sind vielen noch in Erinnerung. Davon will aber nun niemand mehr etwas wissen, lediglich die damalige Nachrückerin Andersen kann sich eine kleine Anspielung auf die Vorgeschichte nicht verkneifen: Sie bedankt sich bei der Partei dafür, dass man in den letzten drei Jahren „richtig gut gearbeitet“ habe, aber „vorher war es etwas schwierig.“

Gleißner selbst geht dann bei seiner Vorstellung vor dem Plenum rhetorisch in die Vollen, widmet seine Rede ausschließlich kommunalen Themen. Vor allem mit seinem „Magenthema“, der Kulturpolitik, beschäftigt er sich ausgiebig und umreißt die Position der Linken: „Es gibt mit uns keine Streichungen.“ Dabei gehe es ihm um mehr nur deren kategorische Ablehnung, in puncto Theater „fordern wir nicht nur dessen Erhalt, sondern machen uns Gedanken über die Finanzierung.“ So rege man beispielsweise die Gründung einer Genossenschaft an. Zudem fordert Gleißner, dass „die Betroffenen der Sozial- und Bildungspolitik eingebunden werden“, es dürfe „nicht über die Köpfe der Trierer hinweg entschieden werden.“ Gerade in der Schulpolitik sei die Maxime „Kurze Beine, kurze Wege“, die Schließung von Schulen lehne man ab. Auch positioniert Gleißner seine Partei vehement gegen den kommunalen Entschuldungsfonds – „da müssen wir an Sachen sparen, die freiwillige Leistungen sind – also alles, was eine Stadt liebenswürdig macht.“ Die Linke stehe zudem nicht für „eine Finanzpolitik, die den Rasenmäher ansetzt und Trier ausverkauft.“ Gleißner äußert sich auch zu einer möglichen Zusammenarbeit mit anderen Fraktionen im Rat: „Wir machen keine klare Koalitionsaussage, sondern eine inhaltliche Aussage. Auf kommunaler Ebene gibt es keine Koalitionen – aber Zusammenarbeit. Und das werden wir machen.“ Wie die Linke in Zukunft intern zusammenarbeitet scheint geklärt: So werde Gleißner „wahrscheinlich“ auch der Fraktionsvorsitzende, wie er später auf Nachfrage erklärt.

Außer ihrem Spitzenkandidaten ist die Linke mit ihrer neuen Liste betont jung aufgestellt, auf Platz 2 und 3 befinden sich zwei Studenten, die zudem beide noch eher am Anfang ihres Studiums stehen und ihr Mandat, sofern sie in den Rat einziehen, auch für die volle Legislaturperiode wahrnehmen wollen. Die zweitplatzierte VWL-Studentin Susanne Kohrs wurde nach einem Praktikum bei der Fraktion Katrin Werners Sekretärin und begleitete diese und Linde Andersen seitdem stetig bei ihrer Arbeit. In ihrer Vorstellungsrede warf sie unter anderem die Frage auf, ob ein „Zuwachs an Einzelhandelsflächen überhaupt wünschenswert“ sei. Denn die Stadt dürfe „auf die Stagnation im Einzelhandel nicht mit einer Akkumulation von Kaufzentren antworten“, dadurch werde nur die Kaufkraft aus anderen Bereichen abgezogen, warnte Kohrs. „Konzerne versprechen hier wirtschaftlichen Zuwachs, aber es käme dadurch nicht zu einem Zuwachs, sondern nur zu einer Umverteilung. Der Markt ist in vielen Bereichen einfach gesättigt, zum Beispiel beim Thema Kleidung.“

Bei der Besetzung der weiteren Listenplätze fällt auf, dass häufig mehr oder weniger Betroffene der Sozialpolitik mit im Boot sind. So gibt die auf Platz 4 gewählte Jennifer Brinkmann als Motivation an, dass sie „wütend“ sei und wegen ihrer eigenen Erfahrungen mit einem „besonderen Kind“ einen Schwerpunkt auf Jugendhilfe und -politik legen wolle. Der auf Platz 6 gewählte Wolfgang Schmitt kämpfte als Vater eines behinderten Kindes selber mit dem Sozialamt und will sich gegen Kürzungen wehren. Volker Fusenig (Platz 12) ist gehörlos und will sich ebenso für Menschen einsetzen, die „konkret von der staatlichen Sozialpolitik betroffen sind.“ Der gebürtige Magdeburger Marcel Gerike (Platz 28) forderte als Schwerbehinderter „mehr Unterstützung vom Staat“ und „mehr Zuschüsse.“ Er schreckte in seiner Rede nicht vor einem Vergleich zurück, der manchen Genossen wohl deutlich zu weit gehen dürfte: „Es tut mir Leid das jetzt so zu sagen: Wenn ein Ausländer bei einem Formular sagt ‚ich nix verstehen‘, dann bekommt er das ausgefüllt – wenn ich aber als Deutscher zugebe, nicht lesen und schreiben zu können, dann soll ich zu jemand anderem gehen. Das ist eine Unverschämtheit.“ Eine auffallende Personalie dürfte zudem Cosimo-Damiano Quinto sein. Vielen ist er durch die Medien auch als Betriebsrat von H&M bekannt, der von seinem Unternehmen vor die Tür gesetzt werden sollte und daraufhin gerichtlich dagegen vorging. Er kandidiert auf Platz 10 der Liste und setzt sich für ein Forum der Betriebsräte ein.

Neben den Piraten dürften die Linken auch die einzigen sein, die eine offene Liste zur Wahl stellen. Wobei sich der Begriff „offen“ bei der Linken dann doch von den Piraten unterscheidet: Bei Letzteren kämpften Partei- und Nichtparteimitglieder in Kampfabstimmungen um die Platzierungen auf der Liste, bei den Linken schlug Gleißner die schon im Vorfeld vorbereitete Liste vor. Zwar finden sich auf dieser 12 parteilose Kandidaten, unter den ersten 10 Platzierungen ist jedoch lediglich die 27-jährige Soziologiestudentin Laura Kimmlinger parteilos (Platz 7).

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