Triers großstädtischste Straße

Nachdem sich erst vor wenigen Tagen eine Kollegin darüber empörte, dass der Kulturjahresrückblick im vergangenen Jahr zu negativ gewesen und der Autor des Beitrages mit keiner Zeile beispielsweise auf das extrem erfolgreiche Jahr im Stadtmuseum eingegangen sei, soll dieser Kritik beim folgenden Artikel nun Rechnung getragen und ausschließlich über erfreuliche, kulturelle Begebenheiten der vergangenen zwölf Monate berichtet werden. Genauer gesagt, geht es um die Entwicklung in einer einzigen Straße.

TRIER. Spätestens als Anfang September der an die Hamburger Wurstbraterei „Schmitt Foxy Food“ gemahnende Imbiss „Bratwurstbratgerät“ öffnete, dürfte jedem, der schon ein bisschen raus- und rumgekommen ist, aufgefallen sein, was in den vergangenen Monaten mit der Karl-Marx-Straße passiert ist: Die Straße hat sich in so etwas wie Triers Schanzenviertel verwandelt!

Eine Tendenz dorthin gab es mit dem Piranha, der Galerie Junge Kunst und dem inzwischen nicht mehr existenten Laden für Designer-Särge schon immer. Und obwohl der köstliche Thailänder im ehemaligen „Spinosi“ leider nach wenigen Monaten wieder die Woks einpacken musste, findet man in der Karl-Marx-Straße immer noch etwas Brauchbares zu essen (Klein Florenz, New K3).

Doch was sich in diesem Jahr kulturell zwischen Kolz Orthopädie-Schuhtechnik und dem Porno-Kino „Pleasure“ beziehungsweise zwischen Wild Orthopädie-Schuhtechnik und der Rockbar getan hat, gab es noch nie. Gegenüber dem Piranha eröffnete der Grafik-Designer Calin Kruse die „Rote Trude„. In den kleinen Räumen gibt es ein Mini-Café, ein Grafik-Büro, regelmäßige Kulturveranstaltungen und eine Verkaufsfläche für Kleidung, Drucke und Independent-Magazine, Artzines und Künstlerbücher in kleinen Auflagen.

Kurz vor dem Ende der Karl-Marx-Straße bietet ein ehemaliger Kommilitone von Kruse seine Kunst an. Ruben A. Fischer, kurz „RAF“, hat 2010 an der Trierer Fachhochschule sein Diplom in Kommunikationsdesign gemacht und lebt und arbeitet seitdem als freier Illustrator, Comic-Künstler und Grafiker in Triers Schanze. Schwerpunkt seiner Arbeit sind, wie man bereits bei einem Blick in sein Schaufenster sehen kann, soziale Themen wir Armut, Unterdrückung und Krieg.

Zwischen den beiden Grafikern haben die drei angehenden Kunsthistoriker Johannes Stolpe und Benjamin und David Vamosi im Sommer die Galerie „Neosyne“ eröffnet. Bereits mit ihrer ersten Ausstellung „Graphische Naturgewalten – Simon Prades trifft Horst Janssen“ zeigte das Trio, welches Ziel es verfolgt: Nachwuchskünstlern eine Chance zu bieten, deren Kunst der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Noch bis zum 8. Januar ist in „Neosyne“ die Ausstellung „Geschmolzene Strukturen“ von Michael Ritzmann zu sehen. Ab 29. Januar stellt 16vor-Kolumnist Laas Koehler dort aus.

Die jungen Künstler und Kunstförderer haben mit ihrem Gang in die Selbständigkeit die mit Sexshops, Seniorenreisebüros, zahllosen Kneipen und gleich zwei Aquaristikgeschäften ohnehin schon abwechslungsreiche Karl-Marx-Straße noch facettenreicher gemacht. Wieder einmal haben es die Trierer in der Hand, diese Vielfalt zu bewahren, und talentierte Uni- oder FH-Abgänger davon zu überzeugen, dass es für Kreative nicht immer nach Berlin oder Hamburg gehen muss. Und ein Schanzenviertel haben wir schließlich jetzt auch hier.

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