„Trier war der Nabel des deutschen Weins“

Waren Sie schon einmal im Deutschen Weinmuseum in Trier? Nein? Sie haben auch noch nie etwas davon gehört? Das ist keine allzu große Bildungslücke, denn erstens besteht es seit etwa 1940 nicht mehr und zweitens gab es die Einrichtung auch nur wenige Jahre. Der wohl beste Kenner des Weinmuseums ist Daniel Deckers. Heute um 20 Uhr referiert der Redakteur der Frankfurter Allgemeinen zum Thema „Liebling des Bacchus. Eine sehr kurze Geschichte der allzu kurzen Geschichte des Deutschen Weinmuseums in Trier“ im Stadtmuseum. Wie schon seine vergangenen Vorträge in der Stadtbibliothek ist auch dieser bereits ausverkauft. 16vor sprach mit dem Schriftsteller und Journalisten darüber, wie es zur Gründung des Weinmuseums 1927 kam, warum es nicht wiedereröffnet wurde und warum er nach der heutigen Veranstaltung wohl ohne Wein im Gepäck die Heimreise antreten wird.

16vor: Wie kam es, dass Trier als Ort für ein Deutsches Weinmuseum ausgewählt wurde?

Daniel Deckers: Damals hat man gesagt: „Wenn es eine Stadt gibt, in der man das Thema ‚Deutscher Wein‘ in Szene setzen will, dann ist das Trier.“ Es hatte auch so ein bisschen politische Bedeutung. In den 20er Jahren litt Trier in hohem Maße unter der Rheinland-Besatzung. Trier war Grenzregion, hatte kaum Industrie und der Weinhandel in der Stadt spielte wirtschaftlich eine ganz andere Rolle als heute.

Von der Händlerschaft ging die Initiative zu dem Weinmuseums allerdings nicht aus. Auch nicht von den Winzern. Das ging von denjenigen aus, die sich in Trier immer schon auch sehr stark für Sozialpolitik eingesetzt haben: von preußischen Beamten. Die erste Weinlagen-Klassifikationskarte von 1868, die in der Stadtbibliothek verkauft wird, ist von einem preußischen Beamten gemacht worden, der aus Schwedt an der Oder stammte.

In dieser Tradition hat man damals um die Jahrhundertwende die Domänen Ockfen, Avelsbach und Serrig gegründet. Der Direktor dieser Domänen hat zusammen mit einem anderen preußischen Beamten, der sich mit Fragen der Schädlingsbekämpfung und dem Rebschutz beschäftigte, die Idee zu einem Weinmuseum entwickelt. Unterstützung bekamen sie von der Stadt. Der damalige Oberbürgermeister Bruchhausen war seinerzeit Vorsitzender des Verbandes Deutscher Naturweinversteigerer, was heute der Verband Deutscher Prädikats- und Qualitätsweingüter ist. Die Stadt hatte man also mit im Boot. Dann waren da die Preußen, die gesagt haben: „Wir machen das jetzt zu unserer Sache.“ Derjenige, der das Konzept entwickelt hat, war Hermann Zillig. Er war erst in Trier und dann in Bernkastel und hat das in seiner Freizeit gemacht.

16vor: In der Weimarer Republik dürfte die Umsetzung eines solchen Projektes nicht einfach gewesen sein.

Deckers: Was sie in den 20er Jahren nicht hatten, waren Geld und Räumlichkeiten. Die Franzosen hatten viele Immobilien besetzt. Zunächst wollte man das Museum im Frankenturm einrichten. Das ging aber nicht. Die Stadt hat dann mit Müh‘ und Not das Augustinerkloster, wo heute das Rathaus ist, freibekommen. Dort hat man das Weinmuseum dann installiert. Geschickt war, die Leute vom Landesmuseum, das damals Provinzialmuseum hieß, mit an Bord zu holen. Dadurch konnten historische Sachen ausgestellt werden. Ein Teil von dem, was man heute im Landesmuseum sieht, stand damals im Weinmuseum.

Einen anderen Effekt sieht man in der Stadtbibliothek. Im Weinmuseum hat man Zeitschriften und Versteigerungslisten gesammelt. Dieser komplette Bibliotheksbestand ist heute in der Stadtbibliothek vorhanden. Deswegen ist die Stadtbibliothek, wenn man sich mit Weinbaugeschichte beschäftigt, gewissermaßen das Mekka. Es gibt keinen Ort in Deutschland, an dem man die Weinbaugeschichte bis 1940 so im Detail dokumentiert sieht wie dort. Sie sitzen in Trier auf Kostbarkeiten.

16vor: Das heißt, man brauchte heute eigentlich gar kein eigenes Weinmuseum mehr, weil Vieles von damals im Landesmuseum und der Stadtbibliothek zu sehen ist?

Deckers: Jein. In Speyer hat man um 1900 ein Weinmuseum für die Pfalz gegründet. Das befand sich in den Räumlichkeiten des Historischen Museums der Pfalz. Es gab eine eigene Abteilung, die heute noch existiert. Jeder weiß: Das ist das Historische Museum und dort gibt es auch eine Weinbauabteilung. Beim Landesmuseum weiß man das nicht.

16vor: Welche Rolle spielte das Trierer Weinmuseum überregional?

Deckers: Das Museum in Trier hatte die Funktion des Deutschen Weinmuseums. In der damaligen Weinwelt war Trier der Nabel des deutschen Weins.

Was selbst Leute, die sich ein bisschen mit dem Weinmuseum beschäftigen, nicht wussten: Die Koblenzer waren zur gleichen Zeit dran, ein Deutsches Weinmuseum ins Leben zu rufen. Darauf bin ich in einer Akte gestoßen. Aber die Koblenzer sind, das muss man so sagen an ihrer eigenen Blödheit gescheitert. Die Stadtverwaltung hat sich gegenseitig die Knüppel in die Speichen gesteckt. Oberbürgermeister gegen Verkehrsverein, Verkehrsverein gegen Museumsdirektor, Museumsdirektor gegen Liegenschaftsamt, Liegenschaftsamt gegen Bürgermeister – hat nicht funktioniert. Da haben die Trier denen kurzerhand die Butter vom Brot genommen.

16vor: Wieso wurde das Museum nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut?

Deckers: Dazu habe ich eine einzige Quelle. Einen Artikel, den der Direktor Hermann Zillig 1950 geschrieben hat: „Abschied vom Deutschen Weinmuseum in Trier“. Man hat das Museum 1940 geschlossen oder Teile davon nicht mehr zugänglich gemacht und die Exponate abtransportiert. Gerade die großen Ausstellungsstücke sind im Krieg und in den Jahren danach auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Der Direktor sah deshalb nach dem Krieg keine Möglichkeit mehr, nochmal einen neuen Ansatz zu finden. Ich vermute auch deswegen, weil die Gebäudesituation noch katastrophaler war als 1926/27.

16vor: Wie sind Sie auf die Existenz des Museums gestoßen? Bei der Recherche für Ihre Weinbücher?

Deckers: Ja. Im Stadtarchiv bin ich auf Dinge gestoßen, wo ich feststellte: Hier ist was passiert! Der Stadtarchivar Bernhard Simon, mit dem ich hervorragend zurechtkomme, kam eines Tages mit Kisten an und hat gesagt: „Gucken Sie sich das da mal an!“ Dort lagen kleine Postkarten und große Aquarelle mit Entwürfen für ein Plakat zum Deutschen Weinmuseum in Trier. Ich habe mich gefragt: „Was ist denn das?“ Dann habe ich eine Einladungskarte für die Eröffnung gefunden. Dort stand, was damals gegessen wurde, und es gab Weine, bei denen einem heute noch das Wasser im Munde zuzsammenläuft – 21er Weine von allem, was Rang und Namen hat.

Im Zuge der Lektüre von Weinzeitschriften aus den 20er, 30er Jahren gab es immer wieder Hinweise auf das Weinmuseum. Immer wurde es gelobt, was Fleiß, Engagement und Einsatz zu Wege bringen – es hatte eine richtig gute Presse. Es gab sogar – auch so ein loses Ding im Stadtarchiv – englische Werbung. Deutscher Riesling, vor allem Moselriesling, hatte in England eines seiner Hauptverbreitungsgebiete. Ist auch heute noch so. Die Wertschätzung für Mosel- und Saarriesling in England ist in der Masse nicht so hoch. Aber die Leute, die sich mit Wein beschäftigen, wissen genau, was sie an dem Wein haben.

16vor: Und woher haben Sie ihre Informationen zur Gründung des Museums?

Deckers: Der Durchbruch, was die Rekonstruktion der Gründungsgeschichte angeht, kam dadurch, dass ich irgendwann Herrn Simon anrief und sagte: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nirgendwo irgendwelche Akten aus der Stadtverwaltung gibt, wo man rekonstruieren kann, wie es zu dem Weinmuseum kam.“ Er brachte dann aus dem Nachlass von Zillig eine große Akte mit vielen Zeitungsausschnitten und mehreren Hundert Seiten Briefwechsel. Aus diesem Briefwechsel geht die Gründungsgeschichte ziemlich lückenlos hervor.

Weil es auch immer wieder Hinweise gab, dass man sich beeilen musste, weil die Koblenzer auch an einem Museum dran waren, habe ich beim Stadtarchiv in Koblenz nachgefragt. Die hatten Akten mit der Parallelüberlieferung. Der Oberbürgermeister von Trier bat den Kollegen in Koblenz um Exponate, woraufhin dieser empört zurückschrieb: „Ihr könnt gerne sammeln, aber nicht bei uns.“ Die Geschichte ist relativ süffig.

16vor: Sie wurden in Düsseldorf geboren, wuchsen in Köln auf und leben jetzt in der Nähe von Frankfurt. Wie kamen Sie zum Wein?

Deckers: Als unsere Kinder noch ziemlich klein waren, haben wir die Ferien am Rhein, an der Mosel und an der Lahn verbracht. Nach und nach ging mir nicht nur die Schönheit, sondern auch die Bedeutung dieser Landschaft auf. Dem wollte ich auf die Spur kommen. Ich habe also angefangen, nicht über Winzer und Weine, sondern über Landschaften zu schreiben. Ich habe mich gefragt: Was heißt es, wenn ich vor einem Weinberg stehe und jemand sagt mir, der heiße „Winninger Röttgen“? Warum heißt der so? Wer hat die Terassen gebaut?

16vor: Wie in Trier der Viez ist in Frankfurt Apfelwein ein Traditionsgetränk. Trinken Sie den?

Deckers: Näh. Ich bin einer der Tausenden, die jeden Morgen vom Land in die Stadt fahren und diese abends wieder fluchtartig verlassen. Von Köln haben wir es nur nach Limburg an die Lahn geschafft. Ich habe Apfelwein probiert, aber noch keinen Gefallen daran gefunden.

16vor: Unterhalten Sie sich gerne mit Ihrem Kollegen Stuart Pigott, der unter anderem eine Weinkolumne in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat?

Deckers: Wir sehen uns sehr selten.

16vor: Er ist auch ein großer Fan der Moselrieslinge.

Deckers: Ich habe wohl alles gelesen, was er über die Mosel geschrieben hat. Bei der Beschäftigung mit Moselweinen ist er mir 15 Jahre voraus. Er hat sich mit Winzern und Weinen beschäftigt, ich habe mich der historischen Dimension gewidmet.

16vor: Werden Sie heute oder morgen auf dem Rückweg nach Hause Wein im Gepäck haben?

Deckers: Glaube ich nicht (lacht). Mal gucken. Mein Keller ist nach dem Urteil meiner Hausgenossen brechend voll. Da geht nicht mehr viel rein.

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