Trier für Eilige

Wer hätte das gedacht, dass ausgerechnet der Backes Herrmann wehmütig wird. Nein, nicht wegen irgendwelcher Frauen (er hat schon wieder eine neue Neue in Arbeit), sondern wegen: MIR. Herrmann jammert, und da ist er bislang Gott sei Dank der einzige, recht lautstark darüber, dass ich ja bald aus Trier weg muss. Er habe dann gar niemanden mehr, mit dem er mal ein ernstes Gespräch führen könne, sagt er. Mir war bisher noch gar nicht aufgefallen, dass wir auch ernste Gespräche führen. Jedenfalls hatte der Herrmann aufgrund der Einsicht, dass meine Stadtschreiberzeit schon fast vorbei ist, das dringende Bedürfnis, mir auf den letzten Drücker das ein oder andere in Trier zu zeigen, was ich bisher noch nicht gesehen habe. Jetzt auf einmal hat er’s eilig, mir SEIN Trier zu zeigen. Und er hat uns das Programm ganz schön vollgepackt.

TRIER. Zuerst gehen wir, endlich mal, zum Karl-Marx-Museum, zum KaMaMu, wie der Herrmann es nennt. Ich hätte nie gedacht, dass der Herrmann sich für Karl Marx interessiert. Das tut er zunächst auch nicht, sondern wir flirten zuerst einmal ausgiebig mit der Frau an der Kasse im Museumsshop. Genauer gesagt: Herrmann flirtet und ich versuche verbindlich zu grinsen.

Dann entschließen wir uns, die Tour „Marx für Eilige: eine (Ein-)Führung“ mitzumachen. Leben und Werk von Marx sind nämlich dermaßen kompliziert, dass man sich entweder das halbe Leben damit beschäftigen muss, um es zu verstehen, oder eben eine halbe Stunde, um zu begreifen, was man verpasst, wenn man sich nicht ausgiebig damit beschäftigt. Die KaMaMu-Führerin für Eilige schafft es tatsächlich, uns in nur dreißig Minuten dermaßen für Kalle Marx zu begeistern, dass wir nach dem Rundgang freiwillig auch noch das oberste Stockwerk besichtigen, wo man etwas über seine Wirkungsgeschichte erfährt (die von Marx, nicht die des oberen Stockwerks).

Wenn Sie in Trier mal einen Ort suchen, wo Sie garantiert keinen Trierer treffen, gehen Sie einfach ins KaMaMu, ins obere Stockwerk, „Wirkungsgeschichte“, da finden Sie nur noch Chinesen, Amerikaner oder sonst die halbe Welt. Nur keine Trierer.

Als wir „Marx – Wirkungsgeschichte“ betreten, kichern da zwei ältere Chinesen rum wie Schulmädchen. Wir verstehen nicht, worüber sie sich so amüsieren, sehen aber ein: Die Zeiten haben sich geändert! Wo kommen wir da hin, wenn schon die Chinesen im KaMaMu kichern! Ein Amerikanisches Ehepaar nimmt die Sache schon ernster und studiert sorgenvoll die Weltkarte, auf der alle kommunistischen Staaten rot eingefärbt sind. Man sieht ihnen an, dass sie sich umzingelt fühlen und wir trösten sie damit, dass die Karte ja nun nicht mehr auf dem neuesten Stand sei und z.B. Polen und noch ein paar andere jetzt auf unserer Seite seien. Da dies die Stimmung nicht wesentlich verbessert, gesteht Herrmann den Amis und den Chinesen, dass wir aus Trier kommen und ganz in der Nähe vom KaMaMu wohnen. Das schindet deutlich Eindruck! Die vier Vertreter der beiden Weltmächte bestehen unbedingt auf einem gemeinsamen Foto mit zwei echten Trierern, und wir beichten nicht, dass ich nur halb zähle, weil ich immer noch überwiegend Saarländer bin. Dass ich in Trier wohne, stimmt ja immerhin … noch.

Ich kann nicht über alle Events berichten, zu denen mich der Hermann an diesem Wochenende schleppt, wie z.B. zu der enttäuschenden 0-1-Niederlage der Eintracht gegen Koblenz (Stadionwurst und -bier haben dennoch gemundet) oder zur komplett verregneten Blues-„Sommer“nacht danach im Brunnenhof. Aber über ein Ereignis muss ich doch noch kurz was sagen: Zur „Illuminale“.

Letztes Jahr hieß die „Illuminale“ noch „LichterGartenFest“. Das ist inhaltlich zwar ein passender Titel, aber dem mangelt es offenbar an werbewirksamer Großspurigkeit. Der Herrmann erklärt mir: „Wenn andere Städte schon eine Biennale haben, soll in Trier das Lichtergartenfest wenigstens Illuminale heißen.“ So was nennt man Marketing, glaub ich, und das hat ja schon so manch beliebtes Fest ruiniert. Aber die Trierer sind schlau: Die tun einfach so, als ob es immer noch ein „LichterGartenFest“ sei und kommen entsprechend zahlreich und gutgelaunt. Nach Einbruch der Dunkelheit sieht es auf dem Petrisberg aus wie bei uns aufm Dorf beim Sankt-Martins-Zug, nur mit viel mehr Leuten und größeren Leuchten. Die Laternen, die vor allem Tiere und Phantasiegebilde darstellen, sowie die bunt beleuchteten Hecken und Wege lassen die Gegend um das Wasserspiel wie einen Zaubergarten wirken, über dem zum Glück ein zarter Geruch von Gegrilltem und Pommes wabert, so dass man weiß, dass man noch in der realen Welt ist und deren Annehmlichkeiten nicht ferne sind.

Viele Trierer haben als Entschuldigung ihre Kinder mitgeschleppt und sagen hundert Mal „oooh, schau mal daaaa…“, um so geschickt zu verbergen, dass sie selbst es sind, die sich kindlich verzaubert fühlen. Und ein ganzer Pulk von Erwachsenen lacht ergriffen, als ein kleiner Junge auf eine Dromedar-Laterne in Original-Dromedar-Größe zeigt und ruft: „oh, schaut mal, ein Kameleon!“

Wir treffen haufenweise Leute, die wir auch dann gerne treffen würden, wenn es um uns herum gerade nicht illuminiert, aber es hat durchaus seinen Reiz, vor einer Laterne in Eulen-, Igel- oder Drachenform zu verweilen, um mit Bekannten zu plaudern.

Erst nachdem wir die japanischen Trommler und die Feuerkünstler bestaunt und uns außerdem getraut haben, mal eines dieser Leuchtsäckchen, die die Gehwege markieren, aufzuheben und genauer zu inspizieren (es sind einfach verpackte Leuchtdioden), kommen wir zum Schluss, alles gesehen und alle Wunder enträtselt zu haben und uns nun „anderen Attraktionen zuwenden zu können“, wie der Herrmann es formuliert.

Wir enden in dieser Nacht noch auf einer rauschenden Party im „Ex-Haus“, und nach gar nicht so vielen Stunden Schlaf steht der Herrmann schon wieder früh bei mir auf der Matte, um mir seine Lieblingsaussicht auf Trier zu zeigen. Nein, es ist nicht der Blick vom Sockel der Mariensäule, sondern der berühmte Blick von genau der gegenüberliegenden Seite – von der Kurve beim Nonnenkloster auf dem Petrisberg, direkt oberhalb der Weinberge über dem Amphitheater, und obwohl ich schon ein paarmal hier war, habe ich den Eindruck, diesen Blick auf Trier noch einmal neu zu entdecken, weil der Herrmann runter auf die Stadt zeigt und mir erklärt, was er sieht und woran er sich erinnert, wenn er auf den Dom, die Palastaula oder auf Häuser zeigt, wo er Unvergessliches erlebt hat – von Schulzeiten bis Schäferstündchen. Dabei fällt mir auf, dass ich auch schon auf das ein oder andere Gebäude zeigen könnte, mit dem ich eine Geschichte, ein persönliches Erlebnis verbinde und mir wird von hier oben nochmal klar, wie verdammt mitten drin ich in Trier gewohnt habe…

Nachbemerkung. Was der Herrmann nicht weiß, ist, dass ich ihn letzte Woche gesehen habe, genau hier, in dieser Kurve, auf der breiten Balustrade sitzend – mit einer kleinen Dunkelhaarigen, die ihn nett anlächelte. Er erkannte mich nicht, weil ich gerade Segway fuhr und einen Helm in Form eines umgedrehten Woks auf dem Kopf trug. Und obwohl bei mir gerade die Titelmusik von „Fluch der Karibik“ über den Segway-Lautsprecher lief, hörte ich im Vorbeifahren, dass Herrmann sich bereits in der Phase: „Romantik für Eilige“ befand, denn er säuselte der kleinen Dunkelhaarigen zu: „Wie ass et wei? Gett dat lo haut noch ebbes mat ous?“

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