„Es besteht noch Aufklärungsbedarf“

Die Hintergründe des schweren Baumunglücks, bei dem im vergangenen November in der Trierer Altstadt eine Frau getötet wurde, sollen im Rahmen einer Hauptverhandlung erhellt werden. Der zuständige Richter beim Amtsgericht lehnte es ab, einen von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehl zu unterzeichnen. Die Stadt lehnt weiter jegliche Stellungnahme ab, es handele sich um ein laufendes Verfahren, begründete ein Sprecher am Donnerstag die Zurückhaltung des Rathauses. Dabei steckt die Verwaltung schon jetzt in arger Erklärungsnot. Denn wenn denn stimmt, was ein Mitarbeiter gegenüber den Ermittlern ausgesagt hat, dann war die Leitung des zuständigen Grünflächenamtes auch Tage nach dem Unglück nicht umfassend darüber im Bilde, welchen Kontrollen der umgestürzte Baum unterzogen worden war; oder aber man hielt eine wesentliche Information zurück.

TRIER. Von einer „Kommunikationspanne“ war die Rede, was eine verharmlosende Formulierung war angesichts des Desasters, für das der Leiter des städtischen Grünflächenamts am 27. November 2012 die persönliche Verantwortung übernahm. Am Tag zuvor hatte Franz Kalcks Amt spontan und ohne vorab das eigene Presseamt geschweige denn die Öffentlichkeit zu informieren im Rautenstrauchpark eine Kastanie gefällt. Unter gewöhnlichen Umständen hätte dieser Vorgang für wenig Aufsehen gesorgt, doch war wenige Tage zuvor, am nahezu windstillen Mittag des 22. November wenige Meter entfernt eine vergleichbar alte und ähnlich hohe Kastanie auf die Rautenstrauchstraße gestürzt. Bei dem Unglück wurde eine Seniorin getötet, ein Mann musste mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Etliche Passanten kamen mit dem Schrecken davon, viele standen unter Schock.

Nach dem Fällen der zweiten Kastanie war die Aufregung groß in der Stadt – und die Berichterstattung für die Verwaltung verheerend. OB Klaus Jensen (SPD) und Baudezernentin Simone Kaes-Torchiani (CDU) beriefen kurzfristig eine weitere Pressekonferenz ein, und anders als bei einer vergleichbaren Zusammenkunft am Tag nach dem Unglück saß dieses Mal auch der Leiter des Grünflächenamts mit am Tisch. Kalck räumte ein, dass es ein Fehler gewesen sei, in einer solchen Situation nicht vorab über die Fällung der zweiten Kastanie zu informieren. Doch vor allem nutzte er die Gelegenheit zu erklären, weshalb dennoch alles mit rechten Dingen zugegangen sei, sich die Mitarbeiter seines Amts und auch er selbst sich absolut nichts vorzuwerfen hätten. Sowohl die umgestürzte als auch die vier Tage später gefällte Kastanie seien am 1. Oktober 2012 von einem Baumkontrolleur des Grünflächenamts überprüft worden, berichtete Kalck. Beide seien dann für eine eingehendere Untersuchung im Laufe des nächsten halben Jahres vorgemerkt worden. So sei das übliche Verfahren, und weil es auch keinerlei Hinweise auf eine fehlende Standfestigkeit der Bäume gegeben habe, habe man keinen akuten Handlungsbedarf gesehen.

Zumindest bei der zweiten Kastanie, die schließlich ohne Vorankündigung gefällt wurde, erfolgte noch eine eingehendere Untersuchung – am Tag, nachdem der benachbarte Baum eine Passantin erschlagen hatte. Was Kalck am 27. November auch sagte: Die Überprüfung der Bäume durch zwei Gärtnermeister des Grünflächenamts werde elektronisch dokumentiert und sei nicht nachträglich manipulierbar. Denn würden in dem System nachträglich Informationen geändert, so lasse sich auf jeden Fall nachvollziehen, wer diese Änderungen vorgenommen habe, erläuterte Kalck weiter. Das klang nach lückenloser Dokumentation, und auch der Oberbürgermeister verließ sich offenkundig auf die Darstellung des Amtsleiters. Gleich mehrfach betonte Klaus Jensen, die Verwaltung habe ein hohes Aufklärungsinteresse: „Es gibt keinen Grund, etwas zu verschleiern“. Auch Baudezernentin Simone Kaes-Torchiani, in deren Zuständigkeitsbereich das Grünflächenamt fällt, verteidigte das Verhalten der Verwaltung und wiederholte ihre Theorie von einem gewissen Restrisiko, welches sich nicht ausschließen lasse.

TInzwischen spricht einiges dafür, dass wichtige Informationen nicht bis zur Stadtspitze vordrangen oder vor dieser zurückgehalten wurden. Denn folgt man den Ergebnissen der von der Kriminalinspektion Trier geführten Ermittlungen, dann wurde der zuständige Sachgebietsleiter im Grünflächenamt bereits im Juli 2012 von einem seiner Mitarbeiter auf den bedenklichen Belaubungs- und Vitalitätszustand der später umgestürzten Kastanie aufmerksam gemacht. Hierauf soll er den Baum, der im Stammfuß bereits deutlich sichtbar ausgehöhlt gewesen sei, in Augenschein genommen und eine eingehende Untersuchung der Standfestigkeit angekündigt haben, so die Version der Ermittler. Zu dieser Untersuchung sei es dann jedoch nie gekommen, und deshalb sei auch unerkannt geblieben, dass die Standsicherheit der 90 Jahre alten und etwa 18 Meter hohen Kastanie nicht mehr gewährleistet gewesen sei. „Der Baum war nämlich von einem holzzersetzenden Pilz befallen, der den Stamm von innen bis zu einer Restwandstärke von zum Teil weniger als 10 Zentimeter zersetzt hatte“, teilte die Staatsanwaltschaft vor 13 Tagen mit.

Bei der Anklagebehörde scheint man von der Glaubwürdigkeit des Mitarbeiters überzeugt, doch dessen Aussagen belasten die Amtsleitung erheblich. Weshalb wurde die schon im Juli erfolgte visuelle Kontrolle der später umgestürzten Kastanie nicht elektronisch erfasst? Oder wurde sie dokumentiert und wenn ja, warum blieb die Amtsleitung auch in der zweiten Pressekonferenz am 27. November 2012 bei ihrer Darstellung, der Baum sei erst am 1. Oktober in Augenschein genommen worden? Wurde ein und die selbe Kastanie binnen fünf Monaten zweimal lediglich visuell kontrolliert, obschon doch im Juli festzustehen schien, dass eine eingehendere Untersuchung vonnöten war? Vor allem aber: Zu welchem Zeitpunkt und von wem war der Leiter des Grünflächenamts darüber informiert worden, dass der Sachgebietsleiter schon im Juli auf den Zustand der Kastanie hingewiesen worden sein soll?

Fragen über Fragen, zu denen aus dem Rathaus derzeit keine Antworten zu erwarten sind. OB Klaus Jensen und Baudezernentin Simone Kaes-Torchiani sind verreist. Vor allem aber handele sich um ein laufendes Verfahren, weshalb man keine Stellungnahme hierzu abgeben werde, wiederholte ein Sprecher der Stadt am Donnerstag auf neuerliche Anfrage von 16vor, was er schon vor zwei Wochen erklärt hatte. Da machte die Staatsanwaltschaft publik, dass sie einen Strafbefehl gegen den zuständigen Sachgebietsleiter beantragt hatte. Der Angestellte sei „hinreichend verdächtig, für den Unfall strafrechtlich verantwortlich zu sein“. Eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung forderte die Behörde. Jetzt steht fest: Der Strafbefehl wird nicht erlassen, der zuständige Richter beim Amtsgericht unterzeichnete den Antrag nicht und verlangt stattdessen eine Hauptverhandlung. Ob es denn oft vorkomme, dass ein von der Staatsanwaltschaft beantragter Strafbefehl nicht erlassen werde? Das hänge vom Einzelfall ab, erklärte Amtsgerichtsdirektor Jörg Theis am Donnerstag. Dem Vernehmen nach handelt es sich um einen eher seltenen Vorgang. Im konkreten Fall jedenfalls sehe der Richter „weiteren Aufklärungsbedarf“, so Theis, der damit rechnet, dass die Hauptverhandlung noch in diesem Jahr eröffnet wird.

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