Drohungen, Thermen und Trierer Plätze

Seit seinem Ausscheiden aus dem Amt meldet sich Helmut Schröer höchstselten zu Wort. Zur Tagespolitik äußere er sich nicht, stellt er klar. Dieser Selbstverpflichtung bleibt er auch im zweiten Band seiner Erinnerungen treu. Wer die „Trierer Weichenstellungen“ liest, wird dennoch Parallelen zur Gegenwart ziehen. Schröer erinnert an die heftigsten Auseinandersetzungen der jüngeren Stadtgeschichte, als mit Viehmarkt, Domfreihof und Kornmarkt gleich drei innerstädtische Platzgestaltungen anstanden und sich der OB Morddrohungen ausgesetzt sah. Natürlich liefert er seine subjektive Sicht der Dinge, die vor allem in Sachen Palais Walderdorff sehr knapp ausfällt. Doch für Beobachter, politische Akteure und an der Stadtentwicklung interessierte Trierer sollte das Buch Pflichtlektüre sein, spiegelt es doch eine der größten Herausforderungen der vergangenen Jahrzehnte wider.

TRIER. Mitte der 1990er tobte in Trier ein Streit um ein paar Platanen. Die in die Jahre gekommenen Bäume sollten der Neugestaltung des Domfreihofs weichen. Es gab weder Facebook noch Online-Petitionen, doch an Widerstand mangelte es nicht. Mit harten Bandagen wurde gekämpft, bis der Stadtrat entschied: Die Platanen fallen. In den frühen Morgenstunden des 11. Oktober 1994 rückten Männer mit Motorsägen an.

Einige der Bäume blieben jedoch vorerst stehen, und weil das Oberverwaltungsgericht den Einwohnerantrag einer Bürgerinitiative für zulässig erklärt hatte, musste der Stadtrat sich ein weiteres Mal mit dem Thema befassen. Fassungslos verfolgte der Verfasser dieser Zeilen die Abstimmung, maßlos enttäuscht war er von deren Ergebnis. Dass eine Mehrheit des Rats den Argumenten der Baumschützer nicht folgen wollte, empfand er als Affront gegenüber dem scheinbar mehrheitlichen „Bürgerwillen“. Schließlich hatten sich nur Pro-Platanen-Protagonisten organisiert, von einer Bewegung, die Unterschriften für das Fällen der Bäume gesammelt hätte, ist nichts überliefert.

Tatsächlich gab es auch Stimmen, die den OB und die Mehrheit des Stadtrats in ihrer Entscheidung bestärkten, doch ist Helmut Schröer vor allem die Äußerung eines Wutbürgers im Gedächtnis haften geblieben. Wiederholt greift er diese denn auch in seinem jetzt im Paulinus Verlag erschienenen zweiten Band seiner „Trierer Weichenstellungen“ auf: Im Rahmen einer Leserumfrage des Trierischen Volksfreunds hatte ein Zeitgenosse seine Enttäuschung über die geplante Neugestaltung des Domfreihofs geäußert – „weil man die dafür verantwortlichen Verbrecher nicht mehr an den Platanen aufhängen kann“. Schröers Gattin Gisela wurde schon mal mit Sprüchen wie „Da kommt die Frau des Baummörders“ konfrontiert. 15 Jahre nach Fertigstellung der Platzgestaltung fällt es schwer sich zu erklären, wie der Streit derart eskalieren konnte.

Stadtrat beschließt Fußgängerzone

Der Domfreihof und vor allem der Platanen-Streit füllen in Schröers Buch viele Seiten, doch steigt der Autor früher ein. 1971 beschloss der Stadtrat die probeweise Einführung einer Fußgängerzone – auf eigene Initiative und ohne dass der Stadtvorstand eine entsprechende Vorlage geliefert hätte. Eine für damalige Verhältnisse mutige Entscheidung, passierten doch stündlich noch bis zu 3.000 Fahrzeuge die Simeonstraße. In der Bevölkerung schien eine Mehrheit für die Fußgängerzone vorhanden, doch waren wichtige Fragen nicht geklärt; etwa die, wie der gesamte Verkehr umgeleitet werden sollte. Der ewigen Diskussionen leid, beschloss der Rat die Fußgängerzone, und so wurde binnen weniger Monate bis auf die Stadtbusse der gesamte motorisierte Verkehr aus den betroffenen Straßen verbannt.

Selbiges stand mehreren Plätzen noch bevor: Ob Domfreihof oder Viehmarktplatz, Paulusplatz oder Kornmarkt, oder der Basilika-Vorplatz – noch vor wenigen Jahrzehnten dienten sie allesamt als Stellflächen. Die Blechwüsten in lebendige Orte mit Aufenthaltsqualität zu verwandeln, war ein Schwerpunkt der kommunalpolitischen Arbeit der 70er bis 90er Jahre. Akribisch zeichnet Schröer die Debatten und Entscheidungsprozesse nach, beschreibt, wie Ideen ent- und wieder verworfen wurden; und wie die Stadt versuchte, trotz klammer Kassen Projekte zu realisieren. Dabei war der Auftakt wenig vielversprechend, sondern sollte sich vielmehr zu einem regelrechten Trauma der Stadtpolitik auswachsen: die Umgestaltung des Viehmarktplatzes.

Das Projekt entwickelte sich zu Triers zweitem „Stuttgart 21“. Das erste lag erst wenige Jahre zurück, als es der wohl erfolgsreichsten Bürgerinitiative der Stadtgeschichte gelang, eine vom Rat bereits beschlossene Rodung weiter Teile des Weißhauswalds zu verhindern. Allein rund 600 Stellplätze fanden sich noch bis in die 80er auf dem Viehmarktplatz. Überlegungen, dieser „unerträglichen städtebaulichen Situation“  (O-Ton Schröer) den Garaus zu machen, gab es zwar schon länger, doch erst als die damalige Stadtsparkasse plante, ihr Hauptquartier von der Simeonstraße an den Viehmarkt zu verlegen, kam Bewegung in die Sache.

Patt im Rat, Schlüsselrolle für Schröer

Neben dem Sparkassen-Neubau war auch eine Tiefgarage mit 750 Stellplätzen geplant – bis bei Aushubarbeiten die Überreste einer großen Thermenanlage zutage traten. Alles zog sich hin, und weil das Oberverwaltungsgericht aufgrund eines Formfehlers den Bebauungsplan kassiert hatte, klaffte in Triers Mitte mehr als drei Jahre ein gigantisches Loch. Eine Bürgerinitiative machte Front gegen die Planungen. Inmitten der Auseinandersetzungen verließ OB Felix Zimmermann (CDU) die Stadt, zu seinem Nachfolger wählte der Rat den damaligen Wirtschaftsdezernenten Schröer. Nur wenige Monate im Amt, sorgten die Kommunalwahlen für eine Überraschung: Erstmals gab es eine rechnerische Mehrheit für Rot-Grün. Während SPD und Grüne nun auf 26 Stimmen kamen, brachten CDU und FDP 25 auf die Waagschale.

Doch trotz der herben Schlappe für seine Partei fand sich Schröer nun in einer Schlüsselstellung wieder: Denn mit seiner Stimme konnte er fortan ein Patt herbeiführen, und schon bald sollte er von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Während SPD und Grüne unisono forderten, auf eine Tiefgarage zu verzichten, verlangten Union und FDP eine reduzierte Anlage mit 480 Stellplätzen. Beides fand keine Mehrheit, ein Kompromiss musste her: CDU und SPD einigten sich auf 320 Stellplätze. „Immer wieder wird der Kompromiss als Ausweichmanöver verkannt. Wer aber nicht kompromissfähig ist, der wird erreichbare Lösungen verfehlen“, schreibt Schröer. Das dürfte die überraschen, die den heute 69-Jährigen vor allem als kompromisslosen Macher erinnern, dessen autoritärer Führungsstil wenig gemein hat mit dem eher auf Ausgleich zielenden Amtsverständnis seines Nachfolgers. In der Tat fällt es schwer, Gemeinsamkeiten zwischen Schröer und Jensen auszumachen. Doch mit seinem Rückblick ruft der langjährige OB auch in Erinnerung, dass in seiner Amtszeit ebenfalls mitunter Jahre ins Land gingen, bis aus Ideen Realitäten wurden.

Beispiel Viehmarkt: 18 Jahren lagen zwischen dem Beginn der Planungen und der Fertigstellung der Ungers-Vitrine. Obwohl man am Augustinerhof geglaubt hatte, gerade im Hinblick auf Bürgerinformation und -beteiligung hinzu gelernt zu haben, sollte der Streit um den Domfreihof nicht minder heftig ausfallen. Doch hier lagen zwischen Grundsatzbeschluss und Realisierung „nur“ vier Jahre, wobei die Maßnahme durch die Heilig-Rock-Wallfahrt 1996 zweifellos beschleunigt worden war. Beim Kornmarkt hatte der Stadtrat auf Antrag der Grünen schon 1989 beschlossen, diesen autofrei zu machen. Um die Stellplätze zu kompensieren, wartete man jedoch die Fertigstellung des City-Parkhauses ab. Kaum wurde dieses im September 2000 eröffnet, war es vorbei mit dem Parken inmitten der Altstadt. Vier Jahre später war die heutige Gestaltung des Kornmarktes realisiert, und auch dieses Mal war es nicht ohne Auseinandersetzungen gegangen. Die hatte sich die Stadt selbst zuzuschreiben, denn obwohl sie die Bürger aufgefordert hatte, sich mit ihren Vorstellungen einzubringen, flossen diese  zunächst kaum in die Planungen ein. Eine Zufalls-Koalition aus CDU und Grünen brachte die Verwaltungsvorlage zu Fall und ebnete so den Weg für einen neuen Gestaltungsvorschlag, der die Vorschläge der Bürger stärker berücksichtigte.

Untertunnelung der Simeonstraße?

Vor allem im Kapitel zum Kornmarkt liest man zwischen den Zeilen auch ein wenig Selbstkritisches heraus, was sich nicht für alle Projekte sagen lässt, die Schröer in seinem zweiten Band der „Trierer Weichenstellungen“ behandelt. Was das Palais Walderdorff anbelangt, lässt er bis heute keinen Zweifel daran, dass für ihn die faktische Schenkung des riesigen Gebäudekomplexes an die Nikolaus-Koch-Stiftung alternativlos war. Wiederholt bedient er sich hierbei der wohlwollenden Kommentierung durch Redakteure des Trierischen Volksfreunds, obschon doch der Interessenskonflikt des Lokalblatts mit den Interessen der Stiftung ein Thema für sich ist.

All das ändert nichts daran, dass der Ex-OB mit seinem Band einen wichtigen Beitrag zur jüngeren Stadtgeschichte liefert. Dabei vermeidet er wie im ersten Band allzu tiefe Einblicke hinter die Kulissen. Gleichwohl überzeugt die Konzentration auf einige wenige Kapitel, und hier und da überrascht der Autor auch mit stadtplanerischen Anekdoten, die den wenigsten bekannt sein dürften; etwa die Überlegungen in den 70ern, die Fußgängerzone zu untertunneln. Die Lektüre von Schröers Buch relativiert auch so manche der gegenwärtigen Auseinandersetzungen, und gerne würde man wissen, wie Schröer heute entscheiden würde. Doch zu tagespolitischen Themen äußert er sich grundsätzlich nicht. Vielleicht hat er aber auch schon alles hierzu gesagt in seiner Antrittsrede vom 30. März 1989: „Der Bürger hat nicht nur Anspruch auf Anhörung und, wo dies nur eben möglich ist, auf Berücksichtigung seiner Interessen. Er hat auch Anspruch darauf, dass entschieden wird und die demokratisch legitimierten Entscheidungen umgesetzt, verwirklicht werden“.

Dass sich eine Mehrheit des Stadtrats über die Baumschützer am Domfreihof hinweg setzte, dafür dürften heute viele der damalige Platanen-Freunde dankbar sein. Der Verfasser dieses Beitrags ist es in jedem Fall.

Helmut Schröer, Trierer Weichenstellungen – Ein Beitrag zur jüngeren Stadtgeschichte, Teil 2, Trier 2011, 244 Seiten, Preis: 19,90 Euro.

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