„Es sind wieder Journalisten im Raum“

PeerSteinbrück03072013KleinErst galt er für das Gros der Hauptstadt-Journalisten als der einzig denkbare und der SPD Erfolg versprechende Herausforderer, nun zieht Peer Steinbrück schier chancenlos in den Endspurt des Wahlkampfs. Am Dienstag machte er Station in Trier, um das Thema Demografie ging es bei einem von rund 300 Menschen besuchten Forum der SPD-Fraktionen im Bund sowie im Mainzer Landtag. Auch an der Mosel holte den ehemaligen Bundesfinanzminister seine Vergangenheit ein, dieses Mal die als Ministerpräsident von Düsseldorf und Mitglied im West-LB-Verwaltungsrat. Dass Steinbrück gemeinsam mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer ein 10-Punkte-Papier für eine Pflege-Reform vorlegte und 125.000 neue Stellen in diesem Sektor versprach, drohte da beinahe in den Hintergrund zu rücken. Der SPD-Kanzlerkandidat hätte es sich leicht machen und eine Snowden-Schlagzeile produzieren können – allein er will es sich und anderen nicht leicht machen, wie auch an diesem Nachmittag deutlich wurde.

TRIER. Hochzeitstage sind eine sehr private Angelegenheit, das prominente Paar hätte vermutlich kein Wort darüber verloren. Das tat stattdessen der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion als er erklärte, weshalb Peer Steinbrück denn an diesem Nachmittag ausgerechnet nach Trier kommen musste. Darauf habe die Ministerpräsidentin bestanden, berichtete also Hendrik Hering, schließlich sei das für Malu Dreyer die einzige Möglichkeit gewesen, ihren Mann Klaus Jensen am gemeinsamen Hochzeitstag zu sehen. Großes Gelächter im lichtdurchfluteten Saal der Europäischen Kunstakademie, auch Peer Steinbrück strahlte.

Dabei hat der Mann wenig zu lachen, und auch die Stimmung in seiner Partei war schon deutlich besser. Keine drei Monate vor dem Wahltag scheint das Rennen für viele schon gelaufen, liegen der SPD-Bewerber und seine Partei hoffnungslos hinter der CDU und Kanzlerin Angela Merkel zurück. Im Lichte der aktuellen Umfragen betrachtet ist die Lage für die Sozialdemokraten noch aussichtsloser, als sie es im Einheitsjahr 1990 war – damals, als ein von einem schweren Attentat kaum genesener und mit den damaligen SPD-Granden Willy Brandt und Hans-Jochen Vogel tief zerstrittener Oskar Lafontaine wenige Monate vor der Wahl drohte, die Kanzlerkandidatur hinzuschmeißen; oder 1994, als Rudolf Scharping Autorität und Größe fehlten, seine Partei und Johannes Rau hinter der Präsidentschaftskandidatur Hildegard Hamm-Brüchers zu sammeln, so die Liberalen in die Bredouille zu bringen und womöglich doch noch die beste Bewerberin ins Schloss Bellevue zu bringen; wenige Monate später wurde Schwarz-Gelb erneut bestätigt, wenn auch denkbar knapp. Selbst 2009 schienen die Aussichten für die SPD weniger verheerend, überraschte das Ausmaß des desaströsen Ergebnisses am Wahlabend nicht nur die Genossen, sondern auch den politischen Gegner – und die Demoskopen und „politischen Beobachter“ obendrein.

Dienstagnachmittag in Trier: Kurz nach 16 Uhr fährt Steinbrück vor der Kunstakademie vor und wird sogleich von Journalisten umringt. Mit ihm trifft Malu Dreyer ein. Die Genossen scheinen guter Dinge, man drückt sich, scherzt. Der Gast will nun wissen, wohin es ihn denn verschlagen habe. Dreyer ruft Dr. Gabriele Lohberg herbei: Er stehe jetzt vor der größten Kunstakademie in freier Trägerschaft in Europa, erklärt ihm die EKA-Leiterin stolz. „Und ich dachte schon, die größte der Welt“, kontert Steinbrück und lacht. Frau Lohberg lacht nicht. Steinbrücks Humor ist nicht jedermanns Sache, aber dass die amtierende Kanzlerin viel Witz versprühte und dank ihres hohen Unterhaltungswerts an der Spitze der Bundesregierung steht, ist auch nicht überliefert.

NancyPoserMaluDreyerKleinZumal der SPD-Kanzlerkandidat nicht gekommen ist, um zu unterhalten. Vielmehr will der vor allem als Finanzpolitiker profilierte Volkswirt über ein ernstes Thema sprechen, das hierzulande eigentlich jede und jeden interessieren müsste – weil es jeden und jede treffen kann und die meisten wohl auch treffen wird: Pflegebedürftigkeit. Also hat Steinbrück an diesem Tag mit der vor allem als Sozialpolitikerin profilierten Juristin Malu Dreyer ein 10-Punkte-Papier für eine Pflege-Reform vorgestellt. In vier Jahren wolle man 125.000 zusätzliche, tariflich entlohnte Stellen für Pflegekräfte schaffen, erklärt der Kandidat.  „Das erste, das wir ändern müssen, ist, dass wir mehr Zeit für pflegebedürftige Menschen brauchen. Und das heißt auch: Mehr Geld für mehr Pflegekräfte“, sagt Steinbrück und kritisiert, „dass gerade diejenigen schlecht bezahlt werden, die in ihrem Beruf anderen Menschen ihre Zuwendung geben“. Er und Dreyer sagen auch, wie sie es finanzieren wollen: über eine Anhebung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung um 0,5 Prozentpunkte. Außerdem verlangt die SPD stärkere Investitionen in altersgerechte Wohnungen. Es müsse alles unternommen werden, um Menschen so lange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben in der gewohnten Umgebung zu ermöglichen, erklärt Steinbrück und berichtet von den eigenen Erfahrungen mit seiner zwischenzeitlich verstorbenen Mutter. Haushaltsnahe Dienstleistungen seien vonnöten, das Berufsfeld Pflege benötige dringend eine Aufwertung.

Der schwarz-gelben Bundesregierung attestiert er, in der Pflegepolitik „fast nichts“ zustande gebracht zu haben – „außer dem 5-Euro-Pflege-Bahr“. Dabei habe die Regierung Merkel-Rösler doch 2011 eigens das „Jahr der Pflege“ ausgerufen, sich dann aber um jede ernsthafte Reform gedrückt. „Die sind gut im Etiketten schreiben, aber was nutzen diese auf leeren Flaschen!“, sagt Steinbrück und leistet sich, sehr zur Belustigung seiner Zuhörerschaft, noch eine kurze Anspielung auf seinen 5-Euro-Pinot-Grigio-Fauxpas: Der Riesling, den er gerade getrunken habe, sei sehr gut gewesen. Mehr Applaus erhält er noch für seine Bemerkung: „Es sind wieder Journalisten im Raum, da muss ich aufpassen“.

Das war wohl semi-ironisch gemeint, denn dass Steinbrücks Verhältnis zu den Medien arg gelitten hat, konnte man zuvor schon vor dem Raum erleben. Kaum hatte er gemeinsam mit Malu Dreyer sein Statement zum Pflege-Papier abgegeben, da wurde er nach dem Prism-Whistleblower Edward Snowden befragt. Das war durchaus zu erwarten in diesen Tagen, doch der Kanzlerkandidat liefert nicht mal schnell ein druckfähiges Zitat, sondern flüchtet sich in seine sarkastisch-ironische Art: Er sei froh, dass der Journalist sich offenbar sehr für das Thema interessiere, um das es bei der anschließenden Veranstaltung gehen werde, sagt er. Ob er denn nun dafür sei, Snowden in Deutschland Aufnahme zu gewähren, hakt der Kollege nach. Schließlich hätten die Grünen das doch auch schon gefordert.

Steinbrück könnte nun sagen, Deutschland solle Snowden Aufnahme gewähren. Er hätte nichts zu verlieren, wenig später wird die Bundesregierung solchen Überlegungen eine Abfuhr erteilen. Dem Kanzlerkandidaten indes wäre eine Eilmeldung auf allen wichtigen Online-Nachrichtenportalen der Republik gewiss gewesen, hätte er sich die Grünen-Forderung zu eigen gemacht. Aber Steinbrück sagt: „Ich rate dazu, sich an Recht und Gesetz zu halten“. Zugleich kritisiert er die NSA-Spionage von mit den USA offiziell befreundeten Staaten und Institutionen, spricht von einer „völlig anderen Qualität“ der Vorwürfe und verlangt nun von der Kanzlerin klarere Worte. Klare Worte erwartet nun auch ein Journalist, allerdings von ihm. Es geht um einen Bericht über fragwürdige Offshore-Geschäfte der West-LB, die rund ein Jahrzehnt zurückliegen. Steinbrück gehörte als ehemaliger Finanzminister und dann Ministerpräsident dem Verwaltungsrat der Bank an, mit den Geschäften sei er nicht befasst gewesen, könne sich jedenfalls an nichts mehr erinnern. 

Der Kanzlerkandidat ahnt, dass die West-LB-Geschichte sein Pflege-Papier in den Hintergrund rücken wird. Und er verhehlt erst gar nicht, dass er kaum noch mit Inhalten durchdringt. Außer bei seinen Genossen und etlichen Experten aus der Praxis, die am frühen Abend in zahlreichen Kleingruppen unterschiedliche Aspekte des Themas Demografie beleuchten. Menschen berichten von ihren persönlichen Erfahrungen, machen konkrete Vorschläge, diskutieren offen, konstruktiv und engagiert über die unterschiedlichsten Facetten der Herausforderungen, die eine alternde Gesellschaft mit sich bringt. Steinbrück gesellt sich zu einer Gruppe, alle schauen erwartungsvoll in Richtung Kanzlerkandidat, manche wirken einen kurzen Moment lang gehemmt. Nein, sagt der 66-Jährige, er wolle erst einmal nur zuhören und auf keinen Fall die Diskussion dominieren.

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