„Das ist eine ganz harte Nuss für die CDU“

SPD-ListeKlein„Kippen Gabriels Genossen die Große Koalition?“, fragte Der Spiegel vergangene Woche. Gabriels Trierer Genossen wohl eher nicht, wie sich am Samstag auf einem Parteitag zeigte. Kaum hatte Malu Dreyer für den Koalitionsvertrag geworben, erhielt sie Unterstützung von allen Seiten. Von einem „Sieg für die Sozialdemokratie“ sprach ein Ratsmitglied, OB Klaus Jensen gar von einer „historischen Chance“. Zuvor hatten die Sozialdemokraten die Weichen für die Kommunalwahl gestellt: Partei- und Fraktionschef Sven Teuber wurde fast einstimmig zum Spitzenkandidaten gewählt und führt nun eine Liste an, auf der sich neben bekannten Namen auch ein paar neue Gesichter finden. Für seine Partei erhob er den Anspruch, im Frühjahr 2015 maßgeblich über die Besetzung des Baudezernats zu entscheiden.

TRIER. Es gibt Momente, in denen man sich als Beobachter fragt, wie die, die man gerade beobachtet, das eigentlich alles schaffen? 17 Stunden dauerte die letzte Runde der Berliner Koalitionsverhandlungen, bis in die frühen Morgenstunden wurde beraten. Gesund ist das nicht, etwas Ruhe nach solch einem Beratungsmarathon wäre kein Luxus. Vielleicht verspürt auch Malu Dreyer dieses Bedürfnis, doch stärker noch scheint ihr Bedürfnis, ihre Genossen von dem zu überzeugen, was sie selbst mit ausgehandelt hat. So sitzt die Ministerpräsidentin am Samstag vier Stunden im Balkensaal des Bürgerhauses Trier-Nord und verfolgt den Parteitag ihrer Genossen. Die Bundespolitik muss warten, zunächst stehen die 2014 anstehenden OB- und Stadtratswahlen im Vordergrund.

In der ersten Reihe sitzt Klaus Jensen. Nachdem dieser vor zwei Wochen angekündigte, nicht wieder für das Amt des Stadtchefs zu kandidieren, soll Wolfram Leibe für die SPD ran. „Es geht darum, dass ich euch besser kennen lerne“, erklärt der designierte OB-Kandidat an seine Genossen. Er werde mit den „klassischen sozialdemokratischen Themen Arbeit, Bildung und Wohnen“ in den Wahlkampf ziehen, kündigt Leibe an und nennt seinen „Kernsatz“, wie er es ausdrückt: „Wir können über vieles diskutieren, aber wir müssen immer wieder mit Realismus rangehen“.  Trier müsse ein attraktiver Wohnstandort bleiben, auch für Luxemburg-Pendler. „Sie sollen in der Stadt wohnen, nicht irgendwo im Umland“. Leibe weiter: „Auch Wohlhabende gehören in dieser Stadt dazu, auch sie brauchen wir für unser soziales Gefüge.“

Selbstbewusst trat Leibe auf, doch an Selbstbewusstsein mangelt es auch nicht dem Mann, der inzwischen Nummer Eins der Trierer SPD ist. Als Sven Teuber, damals noch als Student, die Sozialdemokraten 2009 erstmals in eine Stadtratswahl führte, gab es nicht wenige Skeptiker. Zumal sein Bekanntheitsgrad noch überschaubar war und er in und außerhalb der eigenen Partei als das wahrgenommen wurde, was er auch ist – ein politischer Ziehsohn Dreyers. Das Wort der Ministerpräsidentin wird auch heute noch großes Gewicht in der Trierer SPD haben, doch hat Teuber längst eine eigene Autorität entwickelt.

SPDMaluDreyer1„Die SPD ist die gestaltende Kraft der Trierer Politik“, nahm er am Samstag für seine Partei in Anspruch. Teuber ging zunächst auf die Schulpolitik ein: „Wir haben zwar einen Schritt nach vorne gemacht, aber wir haben nicht die Erfolge erringen können, die es für eine Schulpolitik braucht“. Trier habe zu viele Grundschulen, erklärte Teuber, und dass er überzeugt sei: „Wenn man mit Sachargumenten an die Dinge herangeht, kann man auch überzeugen“. Teuber kündigte an: „Auch Martin ist eine Schule, bei der wir genau hinschauen müssen“. Seine Partei werde „anhand der Sanierungsliste entscheiden, wo wir Schwerpunkte setzen“.

Teuber versprach, die SPD werde sich weiterhin dafür einsetzen, den Anteil an bezahlbarem Wohnraum innerhalb der Stadt zu steigern. Hoffen lasse ihn das Vorhaben der geplanten Großen Koalition, das Programm „Soziale Stadt“ wieder auszubauen. In Sachen Verkehrspolitik erklärte er: „Wir haben eine geografische Lage, die es nicht zulässt, Stadtautobahnen zu bauen“. Er wolle aber ohnehin „den ÖPNV sowie den Rad- und Fußverkehr deutlich stärken“. Fast schon im Nebensatz machte der SPD-Vormann dann eine Ansage in einer nicht unwichtigen Personalfrage: „Wir brauchen an der Spitze dieses Dezernats (für Bauen und Verkehr; Anm. d. Red.) einen anderen Geist“. Deshalb werde die SPD den „Anspruch erheben, nicht nur den OB zu stellen, sondern auch eine Person, die dieses Dezernat führt“.

Damit ließ Teuber erkennen, dass er Lehren aus der Vergangenheit ziehen will. 2009 hatte die SPD die Wahl Thomas Eggers (damals FDP) und Angelika Birks (Die Grünen) unterstützt und, obschon stärkster Partner im kurzzeitigen Ampelbündnis, auf eigene Ansprüche verzichtet. Auf die Frage, ob seine Fraktion Egger und Birk noch einmal wählen würde, antwortete Teuber im vergangenen April im Interview mit 16vor: „Wir würden uns das sicherlich nochmal genau überlegen.“ Tatsächlich ist es innerhalb der SPD ein offenes Geheimnis, dass zumindest Birk nicht mehr auf die Unterstützung der Genossen zählen kann; und auch Simone Kaes-Torchiani (CDU) wird nicht auf die SPD hoffen können, sollte sie sich im Frühjahr 2015 im Stadtrat erneut zur Wahl stellen.

Seine Rede dankten ihm die Genossen mit lang anhaltendem Beifall. Fraktionsvize Rainer Lehnart attestierte Teuber: „Man hat gemerkt, dass er mit Leidenschaft hinter seiner Aufgabe steht. Er hat auf seine Art der Fraktion seinen Stempel aufgedrückt, und er wurde von Anfang an akzeptiert und respektiert. Wir waren und sind ein gutes Team“. Mit 98,5 Prozent wurde Teuber zum Spitzenkandidaten gewählt und zieht nun mit einer Liste in den Wahlkampf, auf der sich neben erfahrenen Ratsmitgliedern auch einige neue Gesichter finden: etwa das von Monika Berger auf Platz 6, Mitglied der Geschäftsleitung des Trierer Bürgerservice und nach eigener Aussage „noch keine richtige Parteisoldatin“; von der Partei erhielt sie 93-Prozent Unterstützung. Übertroffen wurde dieses Ergebnis von Juso-Sprecher Andreas Schleimer. Der gelernte Industriekaufmann ist der einzige Nichtakademiker unter den ersten Zehn und kam auf 97 Prozent Zustimmung. Nik Stöckle und Thiébaut Puel sind zwei weitere neue Namen, die unter den ersten 15 auftauchen. Bis auf Tamara Breitbach (77 Prozent) und Jutta Föhr (80) kamen alle für die ersten 20 Plätze vorgeschlagenen Kandidaten auf Ergebnisse von 86 Prozent und mehr.

Ein Zustimmung von 80 plus X zum Koalitionsvertrag wäre für die Berliner SPD-Führung ein Triumph. Wenn die Delegierten am Samstag ein realistisches Stimmungsbild von der Parteibasis abgaben, haben Gabriel und Co. aus Trier nichts zu befürchten. Dabei machte Karsten Rindt deutlich, wie gemischt die Gefühle bei den Genossen sind: „Die vorherige Große Koalition war wirklich sehr schwer zu ertragen. Ich weiß noch nicht, wie ich mich entscheiden soll. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass eine rot-rot-grüne Regierung mehr herausgeholt hätte“.

Malu Dreyer war da ganz anderer Meinung. Ein „sehr enttäuschendes Wahlergebnis“ sei das für die SPD gewesen, „Rot-Grün wäre die ideale Regierungskonstallation“ ist die Ministerpräsidentin nach wie vor überzeugt. Die Entscheidung, in Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU einzutreten, sei dennoch „verantwortlich“ gewesen. „Es hat für mich auch eine Rolle gespielt, dass ich nie aus Selbstzweck in die SPD gegangen bin, sondern weil ich etwas gestalten will“. Zwar habe ihre Partei die letzten vier Jahre dazu genutzt, sich programmatisch neu aufzustellen, aber „wir haben in der Opposition nichts bewegen können“.

Sie sei überzeugt, dass „Deutschland ein gutes Stück gerechter werden kann“ – wenn denn die Große Koalition zustande komme. Dreyer verwies auf den Mindestlohn, von dem bis zu 6 Millionen Menschen profitieren würden. „Das ist eine ganz harte Nuss für die CDU, und ohne die SPD wird er auch nicht kommen“. Man habe Erfolge bei der Eindämmung der Leih- und Zeitarbeit erreicht, außerdem bei der Rente:  „Nach der Agenda 2010 haben uns die Leute die Rente mit 67 nie verziehen“, so Dreyer. Dass Menschen, die 45 Jahre gearbeitet haben, künftig abschlagsfrei mit 63 in Rente gehen können, sei ein „echt existenzieller Punkt, der unsere Glaubwürdigkeit auch wieder stärken wird“. Dreyer weiter: „Die CDU wird niemals unser Lieblingspartner sein. Man wird mit ihr auch nie die Bürgerversicherung einführen“. Unterm Strich habe man aber „ganz klare sozialdemokratische Akzente setzen“ können, das sei auch das Verdienst der SPD-Generalsekretärin gewesen – „Andrea Nahles hat wahnsinnig gut verhandelt“

Nach Dreyers Rede trat Ratsmitglied Hans-Willi Triesch ans Pult: „Wir müssen diese Verantwortung für Deutschland übernehmen“ appellierte er. Der Zewener nannte die Koalitionsvereinbarung „einen Sieg für die Sozialdemokratie“. Auch Klaus Jensen ging in die Bütt. „Wenn ich an meine Stimmung vom 22. September denke, dann hätte ich es völlig ausgeschlossen, dass ich zwei Monate später für eine Große Koalition werben würde“, räumte der OB ein. Nach Lektüre der Vereinbarung komme er aber zu dem Fazit: „Man muss da ‚Ja‘ sagen!“ Denn weit über zehn Millionen Menschen würden von den geplanten Maßnahmen profitieren, und auch einer Stadt wie Trier komme dieses zugute. Jensen verwies auf das Programm „Soziale Stadt“ und Mittel für den Sozialen Wohnungsbau. „Ihr nutzt mit einer solchen Entscheidung Millionen Menschen in ihrer täglichen Lebenssituation. Das ist eine historische Chance, die wir uns nicht entgehen lassen dürfen.“

Ratsmitglied Detlef Schieben zeigte sich überzeugt: „Damit wird die Gesellschaft ein Stück gerechter“. Der Gewerkschafter weiter: „Wir haben uns so teuer verkauft, dass der ganze Vertrag sozialdemokratische Züge hat“. In diesen Jubelgesang wollte SPD-Vize Markus Nöhl nicht einstimmen: „Ich habe manches schmerzlich vermisst“, erklärte er und nannte Beispiele wie das Thema Steuern, aber auch das Betreuungsgeld, die Bürgerversicherung und die Vorratsdatenspeicherung. „Das tut wirklich weh“, zumal man auch bei der Gleichstellung Homosexueller wenig erreicht habe. Aber er sehe auch, „dass es Bereiche gibt, wo wir deutlich vorankommen. Und deshalb kann ich nicht verantworten, dass ich dazu ‚Nein‘ sage“.

Über die überwiegend zustimmenden Reaktionen auf den Koalitionsvertrag dürfte sich auch Katarina Barley freuen. Die neue Bundestagsabgeordnete konnte krankheitsbedingt nicht am Parteitag teilnehmen, doch wird sie dem Mitgliederentscheid nun wohl zuversichtlicher entgegensehen. Dass Barleys Trierer Genossen mehrheitlich gegen die Große Koalition votieren werden, scheint nach diesem Parteitag eher unwahrscheinlich – auch wenn weniger als ein Zehntel der Moselstädter mit SPD-Parteibuch ins Bürgerhaus gekommen waren.

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