Sozialkritik im Suppenteller

Ab Sonntag präsentiert das Stadtmusuem in Kooperation mit dem Stedelijk Museum s’Hertogenbosch seine neue Sonderausstellung. Die Ausstellung „Zierrat / Sieraad. Künstlerservice und Künstlerschmuck von Pablo Picasso bis Cindy Sherman“ liefert nicht nur einen formidablen Überblick über die Entwicklungen und Spielarten des Kunsthandwerks, sondern verblüfft auch mit der Einsicht, dass Zierrat nicht nur dekorativen Zwecken dient, sondern auch ein Träger sozialkritischer Botschaften sein kann.

TRIER. Alexandra Orth weiß, worauf sie sich eingelassen hat. „Wenn man die Begriffe ‚Zierrat‘ und ‚Kunsthandwerk‘ hört, hat man meist die Assoziation des rein Dekorativen und Oberflächlichen“, eröffnet die Kuratorin die Führung durch jene Ausstellung, die sich zum Ziel gemacht hat, mit genau diesem Vorurteil gründlich aufzuräumen.

Dass man dabei auf Leihgaben aus einem Museum zurückgreifen darf, das in diesem Sammlungsfeld seinesgleichen sucht, ist einer glücklichen Kalenderfügung zu danken: In Triers niederländischer Partnerstadt Herzogenbusch wappnet man sich dieser Tage für die Feierlichkeiten des Hieronymus-Bosch-Jahres 2016, wenn die Stadt den 500. Todestag ihres berühmtesten Sohnes begeht. Aus diesem Anlass bleibt auch das Stedelijk Museum’s-Hertogenbosch umbaubedingt geschlossen. Das Trierer Stadtmuseum machte aus dieser Not eine Tugend und handelte mit den Kollegen die Leihgaben aus. Ergebnis ist eine Ausstellung mit Werken von 60 Künstlern, von der klassischen Moderne bis zur Gegenwart. „Eine Verbeugung vor der herausragenden Sammlung dieses Museums“, erklärt Museumsdirektorin Elisabeth Dühr.

Weitgehend chronologisch zeichnet die Ausstellung den Weg nach, auf dem die Vertreter der hohen Kunst Anfang des 20. Jahrhunderts das Handwerk für sich entdeckten und sich mit den Jahrzehnten immer weiter von der bloßen Verschönerung emanzipierten. Nutzten Picasso und Chagall ihre Keramiken noch weitgehend wie eine Leinwand, begannen spätere Generationen, mit den Formen und Traditionen zu spielen und ihnen damit eine Dimension jenseits des reinen Nutz- und Dekorationswertes zu verleihen. Arman halbiert kompromisslos seine Kannen, Tassen und Teller und formuliert mit dem zersägten Service, das wirkt wie Equipment für eine „Friss die Hälfte“-Diät, die Konsumkritik der anbrechenden Neunzigerjahre. Welche politische Sprengkraft in einem gedeckten Tisch stecken kann, zeigt Joep von Lieshouts Installation „Board Room – Small“: Auf den 48 Teilen des Services sind Szenen einer dystopischen Gesellschaft abgebildet, die auf völlige Effizienz und Ausbeutung ihrer Mitglieder ausgerichtet ist. Nicht nur die Keramikobjekte, auch der Tisch und die Stühle sind Träger ihrer Botschaft: Wer darf am Kopfende sitzen? Die soziale Hierarchie findet ihren wohl anschaulichsten Niederschlag in der Sitzordnung einer Gesellschaft zu Tische.

Cindy Sherman, die Verkleidungskünstlerin unter den zeitgenössischen Künstlern, ironisiert Madame de Pompadours Porzellangedeck für König Ludwig XV. Das Konterfei der Mätresse hat die Künstlerin durch ihr eigenes ersetzt und schlägt damit die Brücke vom 18. Jahrhundert hin zu ihrem großen künstlerischen Thema der Gegenwart, der Offenlegung und Parodie unhinterfragter Geschlechterrollen und Verhaltensnormen. Der Bogen der Exponate reicht bis hin zu aktuellen Keramik-Werken junger niederländischer Gegenwartskünstler, die sich kritisch mit der Porzellantradition ihrer Heimat auseinandersetzen. Das Service „Paper Porcelain“ von Scholten & Baijings aus dem Jahr 2010 legt nicht nur den Herstellungsprozess offen, indem es sich ausnimmt wie ein provisorischer Dummy aus Pappe und Tesafilm; es mahnt auch an: Weite Teile der Weltbevölkerung müssen nicht nur auf exquisites Geschirr, sondern auch auf eine tägliche Mahlzeit verzichten.

Präsentiert werden die kostbaren Werke so offen wie die Möbelausstellung einer Ikea-Filiale: Kein Glas, kein Absperrband trennt die Besucher von den Exponaten. Alles, was ist, wirkt zum Anfassen nah. Eine Vorgabe, die als bedingungslose Forderung aus Herzogenbusch kam: „Die Präsentation sollte den einladenden Charakter eines gedeckten Tisches haben“, berichtet Dühr von den Vorgaben des niederländischen Museumsdirektors. Auch wenn sie keinen Hehl aus ihrer Beunruhigung macht, „dass so ein Mokkatässchen schnell in einer Tasche verschwunden ist“. Damit es nicht dazu kommt, wurde ein findiges Alarmsystem installiert, dass auf Bewegungen reagiert, die dem wertvollen Geschirr zu nahe kommen. Die Präsenz von drei Wachleuten tut das Übrige zur Sicherheit.

Unaufdringlich in Szene gesetzt wird die Präsentation durch Medieninstallationen von FH-Studierenden des Faches Intermediales Design. Eine Zusammenarbeit, die man im Stadtmuseum mit größter Zufriedenheit bilanziert und die auch eine Etage höher zum Tragen kommt, wo Modedesign-Studierende sich in die Präsentation der Schmuckstücke eingebracht haben. „Schmuck steht immer in einem engen Bezug zur Person, die ihn trägt“, so erklärt Elisabeth Dühr, dass man die Ketten, Ringe und Broschen nicht nur in Vitrinen, sondern auch an Büsten präsentieren wollte, „die die Wirkung des Schmuckstückes unterstützen, ohne sich in den Vordergrund zu drängen“. In der Ausstellungsarchitektur, für die die Innenarchitektin Regina Hauber verantwortlich zeichnet, stehen die Büsten nun Spalier entlang eines Weges, an dessen Rändern die Schmuck-Objekte wie die Bepflanzung eines Gartens präsentiert werden. Anders als in der Geschirr-Etage möchte man hier das Risiko des „Zum Anfassen nah“ angesichts der Materialwerte nicht eingehen: Plexiglas schützt die Büsten und Kugelvitrinen, in denen die Ringe, Ketten und Broschen drapiert sind.

„Im Gegensatz zum alltäglichen Gebrauchsschmuck setzt sich der Künstlerschmuck spielerisch mit Traditionen und Erwartungen auseinander“, erklärt Alexandra Orth. Exemplarisch sehen kann man das an Meret Oppenheims Zuckerwürfelring, der gemeinsam auch die Plakate der Ausstellung ziert. Anstatt des erwartbaren Kristalls hält die Fassung aus vergoldetem Silber einen handelsüblichen Zuckerwürfel, der mit dem kostbaren Edelstein nichts gemein hat als die kristalline Struktur. Ein künstlerischer Coup, der – ganz ohne Worte und doch präzise – den materiellen Wert von Schmuck hinterfragt.

Schmuckstücke nach Entwürfen von Picasso, Max Ernst und Jean Cocteau begeben sich auf die Suche nach den Ursprüngen der sozialen Praxis des Schmückens und bedienen sich antiker, mystischer und primitivistischer Formsprache, um der großen Erzählung von der der Bedeutung des Schmuckstücks nachzuhorchen. Dass Schmuck aber auch andere Themengebiete als sich selbst reflektieren kann, erzählt Jenny Holzers „Schlangenring“ mit dem Titel „With you inside me comes the Knowledge of my Death“. Die Worte, eingraviert auf die Außenseite des Ringes, der die Form einer sich windenden Schlange hat, thematisieren die Vergewaltigungen der weiblichen Bevölkerung während des Bosnien-Krieges. Während die Gravur durch die Oxidation des Silbers mit den Jahren immer unleserlicher wird, mahnt das Schmuckstück vor dem Vergessen der Kriegsverbrechen.

An dieser Ausstellung faszinieren nicht nur die Dynamik und der Witz, mit der sich Künstler in den letzten hundert Jahren des Kunsthandwerks angenommen haben, sondern auch die Durchlässigkeit der Grenze, die man zwischen Kunst und Kunsthandwerk oft so bemüht zu ziehen versucht. Von der Vorstellung, dass Zierrat sich in Dekoration und Oberflächlichkeit erschöpfe, dürfte der Besucher sich nach dieser Ausstellung aber sicherlich mit Freude verabschieden.

Die Ausstellungseröffnung, zu der auch eine Delegation aus der Partnerstadt Herzogenbusch erwartet wird, findet am Sonntag um 11:30 Uhr statt. Zu sehen ist die Ausstellung bis zum 12. August. Der Katalog zur Ausstellung kann zum Preis von 12 Euro erworben werden.

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