„Soll ma lachen oder greinen?“

Extrem komisch als missmutiger Widerling: Matthias Egersdörfer. Foto: Christian JörickeNach eigenen Angaben sind seine Vorbilder Thomas Bernhard und Karlsson vom Dach. Wer dies weiß, bekommt schon mal eine gewisse Vorstellung davon, wie die Figur aussieht, die der Kabarettist Matthias Egersdörfer auf der Bühne verkörpert. Der Mittelfranke spielt einen cholerischen Spießer, der sich vor sich selbst ekelt und unter anderem auch deshalb seine Mitmenschen hasst. Egersdörfer trat am vergangenen Freitag im vollbesetzten Kleinen Saal der Tufa auf. Verdient hätte er ausverkaufte Hallen.

TRIER. Matthias Egersdörfer braucht morgens einen Kaffee – mit Milch und, wenn er nicht schmeckt, auch mit Zucker. In Wirklichkeit trinkt er zwar seit Jahren nur noch Tee, aber das würde nicht zu seiner Rolle passen. Einmal, erzählt er bedeutungsschwanger, wachte er nachts auf und, weil ihm nichts Besseres einfiel, bereitete sich einen Kaffee zu. Kurz darauf wurde ihm wegen der Verwendung abgelaufener Milch übel. Er legte sich wieder ins Bett und fing im Fieberwahn an, zu fantasieren: Wie ein Sizilianer Zigarettenasche auf seiner Stirn abklopft und er sich daraufhin in einen Karpfen verwandelt. Egersdörfer war immer noch nicht ganz bei Sinnen, als ihn seine Frau ins Krankenhaus fuhr. Er hörte eine Stimme, die ihm befahl, den Bundespräsidenten zu töten. Denn: „Er hat ein paar Tausend Mal zu viel ‚Freiheit‘ gesagt.“

Egersdörfers aktuelles Programm „Vom Ding her“ ist überwiegend ein Monolog – manchmal beleidigt er auch Zuschauer – aus mehreren wunderbar verstörenden Geschichten, die sich immer wieder aufeinander beziehen. „Hat nichts gelernt, deshalb erzählt er Geschichten, die blöde Sau“, sagt er voller Selbsthass. Anders als Frank Goosen, dessen erstes Solo-Programm „Always kill your darlings“ (1999) ähnlich aufgebaut und teilweise ebenfalls bitterböse war, erzeugt Egersdörfer mit dem Aussehen und der Ausstrahlung seiner Figur keine Sympathie. In der ganzen ersten Hälfte lacht er kein einziges Mal. Und in der zweiten auch nur aus Schadenfreude. Egersdörfer hat eine Figur erschaffen, deren reale Entsprechung Mütter nicht in der Nähe von Kinderspielplätzen sehen möchten. Für einen Auftritt bei „TV total“, in dem er erzählt, wie er seiner Freundin zum Spaß eine Schwangerschaft einredet und sie dann zur Abtreibung zwingt, erhielt er Drohbriefe von Menschen, deren Komikverständnis bei Mario Barth und Bülent Ceylan endet. Die empörten Zuschauer konnten unter anderen nicht zwischen der Figur und dem Darsteller unterscheiden.

Vergleichen kann man Egersdörfers Komik am ehesten mit der von Josef Hader – wie sein Vorbild Thomas Bernhard auch Österreicher. „Er zertrümmert Kabarettgewohnheiten, gönnt sich und den Besuchern keine Pause, demaskiert sich und sein Publikum, zerrt unsere verleugneten Schattenseiten auf die Bühne und führt unseren Schweinehund äußerln“, schrieb der Journalist Erich Demmer über Haders Programm „Im Keller“ (1992). Die Beschreibung passt ebenso zu Egersdörfers „Vom Ding her“, auch wenn es bei Hader leiser zugeht und noch schwerer ist, Rolle und Künstler zu trennen.

Der gebürtige Franke (Lauf an der Pegnitz) ist ein exzellenter Erzähler. Rückblenden erzeugt er fast filmisch, indem er sie in bilderreicher Sprache als Folge von Übelkeit oder Müdigkeit einleitet. So wird er beispielsweise bei Kreislaufproblemen in der Sauna – zum Geburtstag gab es von seiner Frau eine „VIP-Bronze-Karte“ und einen weißen Bademantel („So’n Scheiß“, Egersdörfer) – in einen Lichtstrahl hineingezogen und ist plötzlich wieder Kind. Seine Erinnerungen, Egersdörfer wuchs mit einer schreienden Mutter, einer keifenden Oma und zwei bösen Schwestern auf, liefern eine Erklärung dafür, warum er zu solch einem cholerischen Widerling wurde. Wie bei fast allen hat die Familie den eigenen Weg vorgezeichnet. Den Rest besorgte das Umfeld.

Eine Freundin zeigte ihm, wie man richtig klaut. „Das war eine hochkriminelle Person. Aber grundehrlich“ (So ein Satz hat schon Poltsche Größe). Man müsse nur dreist genug sein, lehrte sie. Auf diese Weise sei er unter anderem zu sämtlichen Bernhard-Ausgaben gekommen. Mit meterweise Büchern sei er einfach aus dem „Hugendubel“ spaziert. Jetzt fühlt er sich nicht nur verantwortlich für die wirtschaftlichen Probleme der Buchhandelskette. „Vielleicht hob‘ i a Suhrkamp kaputtg’macht.“

Solche selbstkritischen Momente geben dem Charakter des meist missmutigen Grantlers mehr Fülle. Zeit zum Insichgehen hatte er früher jedes Mal, wenn er zu viel gebrüllt hat. Dann wurde er auf einen Schrank gesetzt, was ihn angesichts seiner Höhenangst schnell verstummen ließ. „Insgesamt habe ich über ein Vierteljahr auf dem Schrank gesessen.“

„Soll ma lachen oder greinen?“, stellt Egersdörfer zwischendurch die Frage nach der Daseinsbewältigung in der für ihn schwer zu ertragenden Welt. In Bezug auf sein Programm lässt sie sich eindeutig beantworten. Gerne schriebe man, Egersdörfer sei die deutsche Antwort auf Josef Hader oder der fränkische Gerhard Polt. Matthias Egersdörfer kann man aber letztlich aus demselben Grund wie bei Hader oder Polt nicht mit anderen vergleichen. Er ist einzigartig.

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