Knüppelsuppe satt mit scharfer Systemkritik

In Zeiten, in denen Nazis erneut Menschen ermorden und Spekulanten Hungersnöte verursachen und ganze Länder in den Ruin treiben, bedarf es eigentlich keiner antirassistischer und antikapitalistischer Ideologiestärkung mehr – und dennoch tut Punkrock im Moment wieder richtig gut. Auch bei Slime, die am Freitagabend mit Bildungslücke, Fahnenflucht und Popperklopper auf der Sommerbühne im Exhaus auftraten, hat sich wieder genug Wut für ein neues Album angesammelt. Auf dem gelungenen Werk „Sich fügen heißt lügen“, das vor wenigen Wochen erschien (18 Jahre nach der Vorgängerplatte „Schweineherbst“), haben sie Texte des Schriftstellers Erich Mühsam vertont. Die Inhalte sind – wieder einmal – hochaktuell, und man möchte sie am liebsten rausschreien. Das tun Slime und die 500 Besucher dann auch.

TRIER. Schon am Nachmittag hält sich ein sichtlich alkoholisierter Punk im Innenhof des Exhauses auf. Beim Soundcheck wird er gebeten, vor der Tür zu warten. Schließlich ist er – die Zwischenzeit hat er offenbar auch nicht abstinent verbracht – wieder einer der ersten, als sich um 18 Uhr die Tore öffnen. Er bekommt an der Kasse ein Bändchen ums Handgelenk geklebt – und bricht zusammen. Mit deutlichem Unwillen muss er, nachdem man ihm auf die Beine geholfen hat, erneut das Haus verlassen.

Dadurch entgeht ihm, wie auch den etwa ein Hundert am Parkplatzmäuerchen verweilenden Fans, der Auftritt von Bildungslücke – der amüsanteste Auftritt des Abends. Dass der Sänger ab und zu auf Textblätter schauen muss, liegt daran, dass er nicht der Stammsänger der Band ist. Gizmo von Frontex ist für seinen Kumpel eingesprungen, der eine Reisebuchung nicht mehr rückgängig machen konnte. Und obwohl Gizmos Stimme noch von einem Konzert am Vorabend angeschlagen ist, gibt er alles. Der freundliche Mann mit dem schönsten Iro des Festivals keift die superschnellen Hardcore-Punk-Stücke wie „Europa rüstet auf“ („Fast unsingable“, Gizmo), „MTV-VIVA-Punx“ oder „Dosenbier“ und zieht dabei Grimassen, dass es eine Art hat.

Wäre es nicht für einen Freund gewesen, wäre er nicht aufgetreten, erzählt er später im Gespräch mit 16vor. 19 Euro Eintritt und 2,50 Euro für das Bier seien eine Unverschämtheit. Allerdings treten Bands wie Slime längst mehr nur für Benzingeld auf. Hätte der Kultursommer Rheinland-Pfalz die Veranstaltung nicht unterstützt, hätte man sie für 19 Euro pro Person nicht durchführen können, sagt Martin Schümmelfeder vom Exhaus.

Bei Fahnenflucht wird es voller vor der Bühne und die Besucher gehen mehr mit. Ältere, aber inhaltlich wieder sehr zeitgemäße Songs wie „Ohne Ausweg“ („Denn da, wo Gier und Hass ein Land regiert, da wird der Widerstand zu Pflicht. Der deutsche Staat schließt weiter seine Augen und einen Ausweg gibt es nicht“) oder das „Hausbesetzer-Lied“ („Eigentum verpflichtet, steht fest im Grundgesetz. Zum Wohl der Allgemeinheit und nicht als Spekulationsobjekt. […] Eine Unzahl leerer Gebäude wird kriminell saniert, zur Maximierung des Gewinns, damit der Geldsack profitiert.“) werden genauso mitgeschrien wie Stücke des aktuellen Albums (z.B. „Taub, stumm, blind“), und es wird erstmals Pogo getanzt. Denn auch die Band aus dem Ruhrpott setzt musikalisch viel Aggression um.

In der Zwischenzeit begehrte der Herr vom Anfang wieder Einlass, den man ihm jedoch wegen seines nicht verbesserten Zustandes verwehrte. Wer gesehen hat, wie betrunken manche Punks waren, die reindurften, kann sich vorstellen, wie es um dessen Verfassung bestimmt war. Weil der Besucher aber weder einschlafen wollte, wie sich das bei einem ordentlichen Rausch empfiehlt, noch seine Abweisung akzeptierte, musste die Polizei anrücken.

Dafür, dass viele Gäste mit einem „A.C.A.B.“-T-Shirt („All cops are bastards“) rumliefen, rief deren Anwesenheit kaum Reaktionen hervor. Beleidigungen wurden lediglich hinter vorgehaltener Hand geäußert, und als die Polizisten ihren Streifenwagen unbewacht an der Zurmaiener Straße stehenließen, um sich auf dem Parkplatz um den Betrunkenen zu kümmern, „traute“ sich ein Besucher, ein versifftes T-Shirt über den Außenspiegel zu hängen.

Für Popperklopper hieß es dann wieder: Heimspiel. Die Band aus der Südeifel, die im Trierer Bunker probt und für Viele der Höhepunkt des diesjährigen „Bunker bebt“-Festivals im Exhaus war, gehört inzwischen zur Spitze in der Deutschpunkszene. Nicht nur für Jimi Berlin ist das Trio „einer der besten deutschen Punkrock-Acts„. Wer nach zwei Stunden Knüppelsuppe aus den Boxen eine Pause brauchte oder feste Nahrung zu sich nehmen musste, konnte sich währenddessen auch gut im benachbarten Burger King unterhalten lassen, indem er die konventionell gewandeten Gäste dabei beobachtete, wie sie ebenfalls dort essende Punks angafften. Köstlich, dass Nietenlederjacken, Tartan-Hosen und bunte Haare immer noch für Aufsehen sorgen.

Wie wohl diese Menschen reagiert hätten, wenn sie des Konzertes von Slime ansichtig geworden wären? Es wird gepogt, dass die Schwarte kracht, beim Stagediven geht so mancher Sprung ins Leere und im Laufe des Auftritts wird ein Zuschauer in einem Einkaufswagen über die Köpfe des Publikums hinweggetragen, was selbst die an extremen Erfahrungen nicht arme Band staunen lässt.

Gleich bei der ersten Nummer dürfen die Fans den schönen Anti-Nazi-Klassiker „Schweinherbst“ mitgröhlen. Es folgen „Sich fügen heißt lügen“ und „Freiheit in Ketten“ vom neuen Album und „Alle gegen alle“ von ihrer dritten Platte. Schon früh zeichnet sich also ab, dass der Geschmack aller Besucher bedient werden soll. Zwei Dutzend Stücke wird Dirk Jora, dessen Stimme nichts mehr, aber auch gar nichts mehr von der Jugendlichkeit des ersten Albums vor 32 Jahren hat, bis um 23 Uhr geröhrt haben.

Mit Songs wie „A.C.A.B“, „Störtebecker“, „Etikette tötet“, „Zu kalt“ und „Linke Spießer“ kommen die Freunde der früheren Werke – als Slime noch nicht so „kommerziell“ waren, wie ihnen oft vorgeworfen wird – auf ihre Kosten, mit „Seenot“, „Wir geben nicht nach“, „Bürgers Alptraum“ und „Rebellen“ die etwas aufgeschlosseneren Zuhörer. Letztere Titel stammen alle von der neuen Platte, auf denen die Punkrockpioniere Texte von Erich Mühsam vertont haben, die wieder sehr aktuell sind: „Ja, Bürger, ja – die Erde bebt. Es wackelt deine Habe. Was du geliebt, was du erstrebt, das rasselt jetzt zu Grabe. Aus Dur wird Moll, aus Haben Soll. Erst fallen die Devisen, dann fällst du selbst zu diesen“ („Bürgers Alpdruck“).

Etwas irritiert reagiert das Publikum, als Jora Joschka Fischer als „Revoluzzer“ bezeichnet. Im gleichnamigen Stück erfährt man, was er meint: „Und er schrie: ‚Ich revolüzze!‘ / Und die Revoluzzermütze / schob er auf das linke Ohr / kam sich höchst gefährlich vor. / Er war ein Revoluzzer, er war ein Revoluzzer / er ging im Revoluzzerschritt / mit den Revoluzzern mit.“

Bei „Legal, illegal, scheißegal“ und dem letzten Song, der Punkhymne „Deutschland“ („Wo Faschisten und Multis das Land regieren, wo Leben und Umwelt keinen interessieren, wo alle Menschen ihr Ich verlieren, da kann eigentlich nur noch eins passieren: Deutschland muss sterben, damit wir leben können“) gibt es kein Halten mehr. Nach diesen Widerstandsklassikern kann sich Slime doch nicht einfach verabschieden und eine aufgepeitschte Meute zurücklassen?

Tun sie auch nicht! Arm in Arm singt die Band zum Abschluss Heidi Kabels Schunkelnummer „In Hamburg sagt man Tschüss„, zu der Punkpärchen sogar Walzer tanzen. Was für eine Pointe. Punk’s not dead.

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