Politkrimi mit Klasse

Die Krimiliteratur ist mit „Gier – Die fünfte Macht“ um einen interessanten, gut geschriebenen Roman reicher. Der in Trier lebende Emile Claassen alias Karl-Georg Schroll hat ihn verfasst und im Südwestbuch-Verlag Stuttgart veröffentlicht. Vor wenigen Tagen ist das über 300 Seiten starke Taschenbuch erschienen. Darin gerät der Journalist Johann Wahlberg eher unwillig in eine Story zwischen Korruption und Gier, die sich zwischen der Provinzhauptstadt Mainz und der Bundeshauptstadt Berlin entfaltet.

TRIER. Emile Claassen ist ein Pseudonym von Karl-Georg Schroll. Schroll hat eine bewegte Berufskarriere hinter sich: Kulturplaner in Bremen, Aurich, Saarbrücken. Nach Auflösung der dortigen Planstelle Studium der Verkehrswissenschaft mit Promotion, Gründung eines eigenen Planungsbüros. Anschließend Mitarbeiter der Linken-Fraktion im deutschen Bundestag, nun wieder selbständiger Verkehrsberater und eben auch Autor.

Er ist viel in Deutschland herumgekommen und erlebte die Tagespolitik, die Medien und vieles mehr aus nächster Nähe und erster Quelle. Auf diesem breiten Hintergrund erscheint es fast logisch, dass der begeisterte Krimileser irgendwann selber zur Feder greifen und das Erfahrene und Gesehene in einem politischen Kriminalroman zusammenfließen lassen würde. Und es ist ihm bravourös gelungen!

Das Prologkapitel beschreibt den Mordfall, der alles ins Rollen bringt. Ein Abgeordneter aus Bad Kreuznach feiert in Mainz seine Wiederwahl in den Bundestag. Unmittelbar nach der Wahlparty wird er in der Tiefgarage der Rheingoldhalle erschlagen und verschleppt. Zeuge wird ein kleiner dicklicher Journalist, der mit Balzer verabredet war und glücklich der Gefahr entrinnt. Er vermutet ein politisches Verbrechen.

Bereits das erste nummerierte Kapitel enthält eine Rückblende. Die für den Roman immer wieder wichtige Anwaltskanzlei „Lochner & Lochner“ wird vorgestellt. Sie ist eine derjenigen nichtstaatlichen Einrichtungen, die in großem Umfang professionelle Lobbyarbeit betreiben, Abgeordnete kaufen, unter Druck setzen, nötigen, dazu bringen, im Wahlkampf beworbene Positionen nach erworbenem Sitz zu verraten und das Gegenteil zu tun, und, wer weiß, bei Widerstand vielleicht sogar umbringen lassen. Was in den Bonner Anfangsjahren der Bundesrepublik zu Vater Lochners Zeiten als echte Entscheidungshilfe und Informationsversorgung für Politiker nützlich war, hat sich in der Berliner Gegenwart der Söhne längst zur fünften Gewalt im Staat entwickelt und hebelt die Demokratie in ihren Grundfesten aus. Claassen zeigt das ohne Verzerrung, unaufgeregt und darum umso glaubwürdiger auf.

Wahlberg, den man als Alter Ego des Autors interpretieren möchte und der Hauptfigur auch in weiteren Claassen-Krimis werden soll, steigt mehr und mehr in die politischen Interna der Partei für Demokratischen Fortschritt ein. Ein System von Grabenkämpfen, Maulkörben, Postenschacher und Selbstversorgertum tut sich seinen wach registrierenden Augen auf. Rückblenden durchstoßen immer wieder die Haupthandlung, die in Bremen, Mainz, Berlin und Bad Kreuznach spielt.

Die 332 Seiten untergliedern sich in 47 angenehm überschaubare Kapitel plus Prolog und kurzen Epilog und lesen sich flüssig. Der Autor versteht sein Handwerk, das sich klar an der Tradition des realistischen Romans orientiert und beispielsweise in den Politthrillern John Grishams repräsentiert. Und Claassen steht dessen besseren Büchern nicht wirklich nach. Die Zusammenhänge, die er aufarbeitet, die Intrigen, die er entlarvt, die Fragen, die er aufwirft, sind höchst spannend und werfen weit über den kriminalliterarischen Aspekt hinaus Schlaglichter auf unsere politische Gegenwart.

Kenner der aktuellen Parteienszene (unverkennbar speziell der Partei DIE LINKE) erleben den zusätzlichen Reiz, das Buch als Schlüsselroman zu lesen. Eindeutig orientieren sich etliche Figuren und Einzelsituationen an bekannten Modellen.

Es entstand über alledem kein politisches Sachbuch oder eine bloße Reportage. Dazu ist die Darstellung zu sehr erfüllt von einem feinen Gespür für Atmosphäre und Zwischentöne. Claassen kann etwas, das zum wichtigsten Rüstzeug eines guten Autors gehört: er kann Charaktere zeichnen. Er entwickelt sie liebenswert und feinnervig aus dem, was sie sagen, tun und wie sie sich geben.

Auch die Erotik kommt zu Wort. Zwei Frauen irritieren den geschiedenen Wahlberg, mit einer schläft er, zarte Bande ziehen ihn aber ebenso zu einer Zugbekanntschaft, mit der er anfangs eine witzige Rempelei auf dem winterlichen Bremer Bahnsteig hatte. Wahlberg ist ein Frauengenießer.

Im übrigen enthält sich der Autor drastischer Beschreibungen und verschont den Leser dankenswerter Weise von jenen sinnlos aufeinandergetürmten Bergen verstümmelter Leichen, wie sie in den Serienmörderkrimis Mode und eigentlich doch nur langweilig sind. Der Leser dieses Buches muss schon mehr wollen als platte Unterhaltung. An einer farbigen, fein abgestuften Handlung entlang gewinnt er intime Einblicke in den Alltag und die Anfechtungen derer, die unsere Gesetze bestimmen.

Claassen, Emile: Gier – die fünfte Macht. Ein Johann-Wahlberg-Roman. Stuttgart, Südwestbuch (SWB-Verlag). 2011

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