Piraten nehmen Kurs auf den Stadtrat

Piraten1Klein„Wenn Sie jetzt schreiben, ‚die Piraten saßen alle ganz brav am Tisch‘, dann interessiert das doch keinen“, sagt Direktkandidat Andreas Brühl in einer Mischung aus Bedauern und Amüsement. Die Piraten saßen alle ganz brav am Tisch, und in einem Jahr wollen sie im Stadtrat sitzen; zuvor vielleicht auch schon im Bundestag, was nach Lage der Dinge schwieriger werden dürfte. Mit der Kommunalwahl beschäftigen sich die Piraten um Kreischef Thomas Heinen schon seit geraumer Zeit. Heinen wird auf einem Kreisparteitag an diesem Sonntag erneut für den Vorsitz kandidieren, doch von seinem „sanften Führungsanspruch“ will er auch künftig nur dezent Gebrauch machen. Mit der Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz, dem Verzicht auf jegliche Firmenspenden und dem kommunalpolitischen Programm will die Partei im Mai 2014 auf mindestens 2 Prozent der Stimmen kommen. Denkbar auch, dass man einen eigenen Bewerber für die OB-Wahl aufstellen wird.

TRIER. Das direkt neben dem Theater gelegene“Astarix“ verdankt seinen Namen dem Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA), der die Kneipe 1979 gründete, und dem unbeugsamen Gallier. Tauchen in Asterix-Heften Piraten auf, erleiden diese eigentlich immer Schiffbruch. So gesehen ist das „Astarix“ vielleicht nicht der beste Ort für ein Treffen mit drei Vertretern der Trierer Piratenpartei, doch so wenig Andreas Brühl, Thomas Heinen und Christian Voßen an den Hype um ihre Partei glaubten, so wenig fürchten sie nun deren Untergang. Man bleibt auf dem Boden, spekuliert nicht über zweistellige Wahlergebnisse und macht sich auch keine Illusionen, was die Chancen bei der Bundestagswahl anbelangt.

Dass ihnen der Einzug ins Berliner Reichstagsgebäude gelingen würde, schien für manche Meinungsforscher schon ausgemacht – 2011, nach dem Triumph bei den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin, wo die Partei fast 9 Prozent der Stimmen einfuhr. 2012 zogen die Piraten in die Landtage von Kiel, Saarbrücken und Düsseldorf ein, mit jeweils mehr als 7,4 Prozent Stimmenanteil. Nichts würde die Partei auf ihrem Weg in den Bundestag aufhalten, dachten nicht wenige journalistische Beobachter. „Total übertrieben“, dachte Thomas Heinen mit Blick auf die Umfragen; wenn man diese zur Messlatte mache, dann könnten die Piraten nur verlieren, gibt auch Christian Voßen zu bedenken.

Andreas Brühl kann nicht gewinnen, zumindest nicht das Direktmandat im Wahlkreis 204. Wenn es sehr gut laufen sollte für seine Partei, dann könnte er über seinen dritten Platz auf der Landesliste in den Bundestag einziehen. Dafür bräuchte die Piraten allerdings gut 7 Prozent der Zweitstimmen, und danach sieht es derzeit nicht aus. Der gebürtige Bad Sobernheimer will mit seiner Bewerbung dennoch vor allem für ein gutes Zweitstimmenergebnis sorgen. Seine Präsenz im Wahlkampf werde ihm persönlich vielleicht nicht so arg viele Erststimmen einbringen, doch werde die Partei stärker wahrgenommen, hofft er. Wie ernst es ihm mit seiner Kandidatur ist, zeigen die kommenden Wochen: Brühl wird sich ab August unbezahlten Urlaub nehmen, dann wolle er sich ganz auf die Kampagne und auf die Partei konzentrieren, kündigt er an. Schon als er bei den Piraten aktiv wurde, reduzierte er auf eine 4-Tage-Woche, so hatte er mehr Zeit für sein politisches Engagement.

Brühl, der von Freunden in und außerhalb der Partei „Yoga“ genannt wird – ein Spitzname, dessen Herkunft er nicht wirklich erklären kann – schrieb vor vielen Jahren einmal alle nennenswerten Parteien an. Zehn Fragen stellte er ihnen, wollte auf diese Weise herausfinden, ob eine Partei ihm zusagt. Auch eine Frage zu Kohls schwarzen Kassen sei darunter gewesen, erzählt er. Warum der Altkanzler, der bis 2002 noch dem Bundestag angehörte, seinerzeit nicht zu einem Mandatsverzicht gedrängt wurde, fragt sich Brühl noch heute. Fast alle Parteien antworteten, doch keine vermochte ihn wirklich zu überzeugen. Erst die Piraten sagten dem Informatiker zu, nun führt er sie im Wahlkreis Trier in die Bundestagswahl. Ob er den Eindruck hat, von den Bewerbern der „etablierten“ Parteien ernst genommen zu werden? Brühl überlegt einen kurzen Moment, berichtet dann von einer Podiumsdiskussion. Da habe er schon das Gefühl gehabt, dass ihn beispielsweise der CDU-Bewerber regelrecht ignoriert habe.

Gut möglich, dass es ihm und seinen Mitstreitern noch einige Male so gehen wird. Überraschen würde sie es nicht, denn natürlich weiß auch Kreischef Thomas Heinen, wie kritisch seine Partei inzwischen beäugt wird – nachdem das Gros der Medien die Piraten erst hoch schrieben; und er ist auch durchaus selbstkritisch. „Wir haben schon so ein bisschen die Krankheit, dass wir manches zerreden“, beschreibt er die Folgen langwieriger und mitunter auch zielloser Diskussionen. Als Kreischef kann er nicht eingreifen, die Basis hat grundsätzlich das letzte Wort. Er könne allenfalls „einen Impuls rein geben, um Sachen zum Rollen zu bringen“, beschreibt Heinen seine Funktion und sein Amtsverständnis. Von einem „sanften Führungsanspruch“ spricht er dann, auch in dieser Hinsicht unterschieden sich die Piraten doch sehr von den anderen Parteien, ist Heinen überzeugt. Im Übrigen: beim letzten Mal diskutierte man 62 Anträge, davon 57 inhaltliche. Von denen fanden dann aber 48 auch den Weg ins Programm.

„Wir gehen an Politik ganz anders ran“, sagt Andreas Brühl. Mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung habe man sich auf die Fahnen geschrieben, politische Entscheidungen müssten „besser nachvollziehbar“ werden, verlangt er. Das fordern inzwischen aber nahezu alle Parteien, und auch der Oberbürgermeister nimmt es für sich in Anspruch; und Politik im Stile früherer Jahre, als die wesentlichen Entscheidungen noch in verrauchten Hinterzimmern getroffen wurden und anschließend „durchregiert“ wurde, ist heute kaum mehr möglich. Heinen wird nun konkreter: Die Ausschüsse des Stadtrats sollten grundsätzlich öffentlich tagen und ein Ausschluss der Öffentlichkeit immer gesondert begründet werden. Bislang ist es anders herum, muss ein Beschluss herbeigeführt werden, wenn ein zunächst für den nicht öffentlichen Teil geplanter Tagesordnungspunkt doch in öffentlicher Sitzung beraten werden soll. Zudem sollten die Sitzungen allesamt aufgezeichnet und ins Netz gestellt werden, verlangen die Piraten.

All das wirke der Politikverdrossenheit entgegen, sind Brühl, Voßen und Heinen überzeugt. Den Einwand, dass schon zu den öffentlichen Sitzungen nur einige wenige Bürger kommen und es meist nur die „üblichen Verdächtigen“ sind, die sich das antun, lassen die drei Piraten nicht gelten. „Es geht nicht darum, zu jeder Sitzung zu kommen, sondern darum, dass der gesamte Entscheidungsprozess nachvollzogen werden kann“, so Heinen. Deshalb seien die Ausschüsse so wichtig, denn der Stadtrat sei nur noch „Endabnehmer“. Und gerade die Schuldebatte habe doch gezeigt, dass es zu bestimmten Themen ein großes Interesse innerhalb der Bürgerschaft gibt.

Der Stadtrat entscheidet auch darüber, welche Vorschläge des Bürgerhaushalts umgesetzt werden. Die Piraten schlagen vor, dass über die am besten platzierten Ideen ein Bürgerentscheid durchgeführt wird. Voßen berichtet, seine Partei habe sich ganz wesentlich von den Vorschlägen der Bürgerhaushälter inspirieren lassen, als man sich daran machte, das eigene Kommunalprogramm zu formulieren. „Da waren sehr viele sinnvolle Ideen drunter“, so Voßen. Der Student ist so etwas wie der Stammwähler unter dem Piraten-Trio im „Astarix“ – 2009, als er erstmals zur Urne schreiten durfte, gab der angehende Politikwissenschaftler der Partei seine Stimme. Er habe damals sämtliche Programme studiert, sich also umfassend informiert, und sei dann „über diese neue komische Partei gestolpert“.

Die zählt in Trier inzwischen 62 Mitglieder, im gesamten Wahlkreis sind es 97. Mit dieser Basis wollen Heinen und seine Parteifreunde im kommenden Jahr den Sprung in den Stadtrat schaffen. Er sei da sehr zuversichtlich, dass dies auch gelingen werde, erklärt der Kreischef ohne Übermut, man habe in der ganzen Stadt eine Grundunzufriedenheit an der derzeitigen Stadtpolitik ausgemacht. Die dürfte angesichts der ECE-Debatte weiter wachsen, gegen mögliche neue Einkaufscenter hat die Partei frühzeitig Position bezogen. Rund zwei Prozent wollen die Piraten mindestens erreichen, dann säßen sie mit ein oder zwei Mitgliedern im Rat. Dass sie das erreichen werden, davon sind Heinen und seine Kollegen überzeugt.

2014 steht auch die Oberbürgermeister-Wahl an. Dass die Piraten sich auch in dieses Rennen stürzen werden, schließt Heinen nicht aus. Bei der Landratswahl im September wird die Partei mit von der Partie sein, mit der promovierten Biologin Darja Henseler steht eine potenzielle Kandidatin bereit. Dass sie den Amtsinhaber ablösen wird, steht zwar nicht zu erwarten, aber die Piraten zeigen einmal mehr Flagge.

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