Perfekt organisiertes Chaos

"Kaum hat man es sich gemütlich gemacht, bricht die Hölle los." Angelika Schmid als Dotty Otley, die die Haushälterin Mrs. Clackett spielt. Foto: Marco Piecuch/Theater TrierEs gibt eine aufmunternde Redewendung, die lautet: Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere“. In „Der nackte Wahnsinn“ werden weit über einhundert Mal Türen geschlossen und geöffnet, doch meistens hat dies nichts Positives zur Folge. Michael Frayns flotte Farce soll eine Parodie auf den Theaterbetrieb sein, was aber in der Inszenierung von Caroline Stolz, die am vorvergangenen Wochenende im Theater Trier Premiere feierte, in den Hintergrund gerät. Das Publikum bekommt ein reines Slapstickfestival geboten. Wer mit Figuren- und Situationskomik zum Teil eher schlichter Figuren und vorhersehbarer Situationen nichts anfangen kann, muss zumindest die Leistung der Hauptdarsteller anerkennen. Deren Tempo und Timing ist beachtlich. Auch die Bühnen- und Maskenbildner haben alles gegeben.

TRIER. „Der nackte Wahnsinn“ (im Original „Noises off“) ist kein Stück, das dem Zuschauer intellektuell viel abverlangt. Am besten macht man sich überhaupt keine Gedanken. Dann wundert man sich auch nicht darüber, warum sich beispielsweise der „Inspizient“ auf einem schmalen Geländer zum Schlafen legt oder warum eine Schauspielgruppe am Abend vor der Premiere überrascht ist, sich bereits in der Generalprobe zu befinden. Allerdings erfordert das bloße Betrachten hohe Aufmerksamkeit, da die Handlung rasant ist.

In dem 1982 uraufgeführten Lustspiel werden drei Stadien einer Theater-Aufführung gezeigt – das Publikum bekommt also ein Stück im Stück zu sehen. Peter Singer spielt den Regisseur Lloyd Dallas, der im ersten Akt inmitten der echten Theaterbesucher sitzt und vergeblich versucht, die Abschlussprobe seines Ensembles für eine Boulevardkomödie über die Bühne zu bringen. Alles geht schief, was schiefgehen kann.

Dotty Otley (Angelika Schmid) als Haushälterin Mrs. Clackett, die es sich im Wohnzimmer ihres vermeintlich verreisten Arbeitgebers gemütlich machen will, vergisst immer wieder bestimmte Requisiten. Garry Lejeune (Jan Brunhoeber) als Immobilienmakler Roger Tramplemain, der das längst gepfändete Haus für ein Schäferstündchen nutzen möchte, scheitert unter anderem an klemmenden Türen, und Brooke Ashton (Alina Wolff) als Lejeunes Geliebte und Klischee-Flittchen Vicki hat permanent Schwierigkeiten mit ihren Kontaktlinsen. Hinzu kommen vorhandene und neu entstehende Beziehungsprobleme, die nicht nur hinter der Bühne zu Komplikationen führen.

Es ist der Stoff, aus dem Schwänke und Possen sind. In der Trierer Inszenierung von „Der nackte Wahnsinn“ bekommt der Zuschauer ein Konzentrat aus hundert Jahren Klamotte geboten: Stolperer, eingeklemmte Krawatten, Unfälle mit Klebstoff und Kakteen, lose Toupets und immer und immer wieder heruntergelassene Hosen (je älter der Darsteller umso mehr Lacher). Das alles kann lustig sein, sich aber bei zu großer Übertreibung bei der Umsetzung und bei zu vielen Wiederholungen schnell zum Klamauk entwickeln.

Um die Gagdichte zu erhöhen, wurden zudem Zitate anderer Komödien und Sketche eingebaut (zum Beispiel die „Käffchen“-Szene aus „Kein Pardon“) und – es geht offenbar nicht ohne – lokale Bezüge hergestellt. Seltsamerweise sorgt bereits die bloße Präsentation einer der berühmten roten Karl-Marx-Plastiken für großes Gelächter im Publikum.

Das Klamottenhafte wird dadurch verstärkt, dass es bei manchen Figuren keinen Unterschied zwischen dargestelltem Schauspieler und seiner Rolle gibt. Beispielsweise ist Brooke Ashton dasselbe scharfe Dummchen, das sie als Vicky spielen soll.

Barbara Ullmann und Klaus-Michael Nix wissen Komik richtig zu dosieren. Foto: Marco Piecuch/Theater TrierDas Geheimnis des Erfolges der Komödie ist das Tempo. Egal, wie schwach Gags sind, sie kommen besser an, wenn sie zügig wiedergegeben werden – der sogenannte Mario-Barth-Effekt. In „Der nackte Wahnsinn“ funktioniert dies wegen der Figuren- und Situationskomik aber nur durch sehr gutes Timing. Und hierbei leistet das Ensemble Großes. Das zunehmende Chaos ist perfekt durchorganisiert.

Von den Schauspielern wird zwei Stunden lang höchste Konzentration in puncto Einsatz und Bühnenposition abverlangt. Sobald eine Figur durch eine der acht Türen verschwindet, taucht die nächste auf. Zudem gibt es Stürze aus dem ersten Stock und auf Köpfe fallende Vasen – dabei muss alles passen. Dies ist der Grund, warum das Stück trotz des Inhalts für Laientheater weniger geeignet und eine Herausforderung für professionelle Darsteller ist.

Auch an die Bühnen- und Maskenbildner (Ausstattung: Jan-Hendrik Neidert) stellt das Werk hohe Ansprüche. Die Kulisse mit Wohnzimmer, Türen, Treppe und Gang in der ersten Etage wird von zwei Seiten bespielt. Der erste Akt zeigt die Front, vor der die Generalprobe stattfindet. Im zweiten wird das Set um 180 Grad gedreht, so dass der Besucher bei der ebenfalls an Patzern nicht armen Premiere buchstäblich einen Blick hinter die Kulissen erhält, wo es nicht minder lebhaft zugeht. Im dritten Akt ist eine Aufführung zu einem späteren Zeitpunkt zu sehen, die noch pannenreicher und absurder als die vorangegangenen abläuft und sich damit zu einer Groteske entwickelt. Diese letzte Zuspitzung tut der Komik gut. Dazu trägt auch die Arbeit Neiderts bei: Kulisse und Figuren sind nun stark lädiert. Frederick Fellowes (Klaus-Michael Nix), der viel einstecken muss, sieht inzwischen aus wie vom Bus überfahren.

Trotz Manfred-Paul Hänig in Unterhosen, viel Hysterie und Ohnsorg-Klamauk könnte das Stück zum beliebtesten Schauspiel der Saison werden. Beziehungsweise gerade deswegen.

Weitere Aufführungen im Oktober: Heute, 20 Uhr; Freitag, 11. Oktober, 20 Uhr; Freitag, 18. Oktober, 20 Uhr; Mittwoch, 23. Oktober, 20 Uhr; Freitag, 25. Oktober, 20 Uhr.

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