„Wir Trierer schämen uns“

Rund 100 Menschen haben am Abend in Trier der Opfer der „Reichspogromnacht“ vor 73 Jahren gedacht. Der Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde, Benz Botmann, und OB Klaus Jensen legten an der Gedenkstele in der Zuckerbergstraße Kränze nieder. In seiner Ansprache rief der Stadtchef zu verstärkter Wachsamkeit gegenüber rechtsextremistischen Umtrieben auf. Mit deutlichen Worten kritisierte Jensen das Oberverwaltungsgericht. Die Koblenzer Richter hatten am späten Nachmittag eine Versammlung von Neonazis im Umfeld der Porta Nigra erlaubt. „Wir haben alles versucht, das zu verhindern“, erklärte der OB, für die Entscheidung des OVG habe er kein Verständnis. An einem solchen Jahrestag seien Demonstrationen von Rechten auf Triers Straßen noch unerträglicher als ohnehin schon.

TRIER. In seiner Ansprache nannte Benz Botmann die Ereignisse des 9. November 1938 „eine Form von Hochverrat, wie es sie in Deutschland wohl nie gegeben hat“. Denn in der „Reichspogromnacht“ habe ein Staat seine Bürger verraten. Rund 1.400 jüdische Gotteshäuser wurden niedergebrannt und zerstört. Botmann sprach vom „wahrscheinlich größten staatlich organisierten Pogrom der Menschheitsgeschichte“. Der Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde mahnte: „Nein, die Zeit heilt diese Wunden nicht“. Man sei es den Opfern der Shoah schuldig, immer wieder über dieses Verbrechen zu sprechen und daran zu erinnern, damit sich derartiges nicht wiederhole.

Auch Jensen unterstrich die Bedeutung des Jahrestags für die Gegenwart: „Dieses Gedenken ist für uns Demokraten eine bleibende Verantwortung. Es ist Ausdruck einer Erinnerungskultur, die uns sensibel aufhorchen lassen muss, wo immer rechtsextreme Töne vernehmbar, Anzeichen von Intoleranz, Rassismus oder jedweden totalitären Gebarens spürbar werden“.

Weit musste man an diesem Abend nicht gehen, um auf eben jene rechtsextremistischen Parolen zu stoßen: Unweit der Porta Nigra hatten sich zur selben Zeit ein paar Neonazis angekündigt. Im Rathaus hatte man bis zuletzt verhindern wollen, dass die von der NPD angemeldete Demonstration ausgerechnet am 9. November stattfinden konnte. Also verfügte die Stadtverwaltung gestern auf Anweisung des Stadtvorstands, dass sich die Rechten frühestens am Donnerstag versammeln durften. Zur Begründung hieß es, die Durchführung einer Versammlung durch Personen aus dem Umfeld der NPD am Tag des Gedenkens an den 9. November 1938 habe Provokationswirkung und stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar.

Gegen diese Verfügung legte die NPD Widerspruch ein und stellte gleichzeitig einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Trier. Die Versammlung solle an den Mauerfall am 9. November 1989 erinnern, behaupteten die Rechten, deshalb mache die Durchführung auch nur an diesem Tage Sinn. Doch von dieser Version ließ sich zumindest das Trierer Gericht nicht beeindrucken: Die 1. Kammer lehnte den Eilantrag der NPD am Nachmittag ab, die Demonstration könne das „sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger der Stadt erheblich beeinträchtigen“.

Die NPD rief daraufhin das OVG an. Die Koblenzer Richter machten schließlich unter Auflagen den Weg frei für zwei Versammlungen der Neo-Nazis. Ein „Umzug“ zwischen den beiden Veranstaltungsorten wurde ebenso untersagt wie das von den Rechten ursprünglich geplante Tragen von Fackeln sowie schwarz-weiß-roten Flaggen.

Jensen zeigte sich verärgert über die Eilentscheidung aus Koblenz. Für diese habe er keinerlei Verständnis. Versammlungen von Neonazis seien generell „unerträglich“, doch gelte das noch mehr an einem Tag wie dem 9. November. „Wir Trierer Bürgerinnen und Bürger schämen uns , dass es in unserer Stadt Demonstrationen von Rechtsextremisten gibt, die ihre unerträglichen Parolen durch unsere Straßen oder auf unseren Plätzen grölen“. Der OB weiter: „Es sind Gott sei Dank nur wenige, aber immer noch zu viele“.

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