„Ganz bewusst eingeplante Provokation!“

Babic2„Von der Finanz- zur Eurokrise – zurück zur D-Mark heißt unsere Devise“ – unter diesem Motto wollte die NPD in der Trierer Innenstadt eine Versammlung abhalten. Nicht an irgendeinem Tag, sondern am 27. Januar. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz, seit 18 Jahren ist das Datum hierzulande ein gesetzlich verankerter Gedenktag, mit dem an die Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird. Dass eine rechtsextreme Partei an diesem symbolträchtigen Tag eine Versammlung abhalten wollte, empfanden viele als Provokation, und das nicht nur im Rathaus. Dort untersagte man die Kundgebung und ordnete an, dass diese einen Tag später stattfinden sollte. Zu Unrecht, entschied nun am Mittwoch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig und hob damit die Urteile der beiden vorherigen Instanzen auf, die der Argumentation der Stadt gefolgt waren. OB Klaus Jensen (SPD) übte scharfe Kritik an der Entscheidung, und auch in Unionsreihen hat man kein Verständnis für das Urteil. 

TRIER. Einen streitbaren und nicht unumstrittenen Redner hatten die Organisatoren des Alumni-Treffens der Trierer Politikwissenschaft 2012 engagiert: Professor Max Otte. Der Mann lehrt in Worms und im österreichischen Graz Wirtschaftswissenschaften, die Liste seiner Publikationen ist lang. Seine Veröffentlichungen tragen Titel wie “ Wie man Vermögen aufbaut“ oder „Der Informationscrash: Wie wir systematisch für dumm verkauft werden“.

Für dumm verkauft fühlte man sich im Januar 2012 auch im Trierer Rathaus. Die örtliche NPD hatte eine Versammlung für den 27. desselben Monats angemeldet. Das Motto war angelehnt an einen Vortrag Ottes am selben Tag in der Promotionsaula des Bischöflichen Priesterseminars: „Von der Finanz- zur Eurokrise“ hieß es bei Otte, „Von der Finanz- zur Eurokrise – zurück zur D-Mark heißt unsere Devise“ hieß es nun bei der NPD. Dass es den Rechten an einem 27. Januar wohl weniger darum gehen würde, sich mit der seinerzeitigen Euro-Krise auseinanderzusetzen als mit dem Abhalten einer Versammlung am symbolträchtigen Holocaust-Gedenktag zu provozieren, lag nahe; zumal die NPD in Trier mit unschöner Regelmäßigkeit auch am 9. November Kundgebungen organisiert. In der Verwaltung wollte man die Provokation des NPD-Kreisvorsitzenden Safet Babic nicht hinnehmen und ordnete die Verlegung der Versammlung vom 27. auf den 28. Januar an. Ansonsten würden „grundlegende soziale und ethische Anschauungen und Empfindungen verletzt“, hieß es seinerzeit aus dem Rathaus. Die NPD sei nach ihrem eigenen Selbstverständnis dem rechtsextremen politischen Spektrum zuzuordnen. Sie lasse in der öffentlichen Wahrnehmung „die notwendige Distanz zu dem Unrechtsregime vermissen, das die Opfer zu verantworten habe, derer am 27. Januar gedacht werde“, argumentierte die Verwaltung.

Die NPD tat nun das, was sie in solchen Fällen immer tut: Sie rief eine Instanz nach der anderen an – und kassierte erst einmal zwei Pleiten. So wies das Verwaltungsgericht Trier die Klage der NPD auf Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser versammlungsrechtlichen Verfügung ab. Und auch das Oberverwaltungsgericht wies die Berufung der NPD zurück: Die öffentliche Ordnung sei „unmittelbar gefährdet“ gewesen, denn von der Versammlung wäre eine „das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigende Provokationswirkung ausgegangen“, befanden die Koblenzer Richter. Die Klägerin habe das von ihr angegebene Thema der Versammlung lediglich als Aufhänger gewählt, während die dahinter stehende Motivation von der Bevölkerung darin gesehen worden wäre, an einem zentralen Ort in der Innenstadt Präsenz zu zeigen und nach außen zu dokumentieren, dass man als rechtsextreme Partei trotz des Holocaust-Gedenktags „Flagge zeigen“ könne. In der Stadtspitze sah man sich bestätigt, dass Leipzig anders entscheiden würde, damit hatten am Augustinerhof wohl die wenigsten gerechnet.

Bis an diesem Mittwoch das Bundesverwaltungsgericht der Revision der NPD statt gab. Das Versammlungsgesetz erlaube Versammlungsbeschränkungen bei unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Ordnung, heißt es in einer Mitteilung des Gerichts. Eine solche sei dann gegeben, „wenn einem bestimmten Tag – wie dem Holocaust-Gedenktag – ein in der Gesellschaft eindeutiger Sinngehalt mit gewichtiger Symbolkraft zukommt, der bei der Durchführung einer Versammlung an diesem Tag in einer Weise angegriffen zu werden droht, dass dadurch zugleich grundlegende soziale oder ethische Anschauungen in erheblicher Weise verletzt würden.“ Doch dann führen die Richter fort: „Nicht ausreichend ist jedoch, dass die Durchführung der Versammlung an dem Gedenktag in irgendeinem beliebigen Sinne als dem Gedenken zuwiderlaufend beurteilt werden könnte“. Vielmehr sei „die Feststellung erforderlich, dass von der konkreten Art und Weise der Durchführung der Versammlung Provokationen ausgehen würden, die das sittliche Empfinden der Bürger erheblich beeinträchtigten“. Eine solche Feststellung setze voraus, dass die Versammlung „eine den Umständen nach eindeutige Stoßrichtung gegen das Gedenken erkennen lässt, etwa weil sie die Sinnhaftigkeit oder die Wertigkeit des Gedenkens negiert oder in anderer Weise dem Anspruch der Mitbürger entgegenwirkt, sich ungestört dem Gedenken an diesem Tag widmen zu können“. Diese Schwelle sei durch die von der NPD seinerzeit geplante Versammlung aber „noch nicht überschritten“ worden. Vielmehr habe die rechtsextremistische Partei „ein aktuelles allgemein-politisches Thema aufgreifen und die hierzu entwickelten programmatischen Vorstellungen“ der NPD  kundtun wollen. Für die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der NPD sei es in Wahrheit lediglich um eine – dem Gedenkanliegen der Mitbürger demonstrativ entgegen wirkende – öffentliche Präsenz um ihrer selbst willen gegangen, lägen „keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte“ vor.

In einer ersten Reaktion erklärte Oberbürgermeister Klaus Jensen (SPD) am Nachmittag, es falle ihm „außerordentlich schwer, dass notwendige Verständnis für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufzubringen“. Für ihn bleibe eine Kundgebung der rechtsextremistischen NPD am offiziellen Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus eine „ganz bewusst eingeplante Provokation, die sehr wohl die grundlegende soziale und ethische Anschauungen der Gesellschaft verletzen sowie das sittliche Empfinden der breiten Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger erheblich beeinträchtigen“ würde. „Nach meinem politischen Verständnis und den Lehren, die ich aus der Geschichte gezogen habe, dürfte es an diesem Gedenktag an die Opfer des Holocaust keine Kundgebungen von rechtsextremistischen Gruppierungen geben“, sagte Jensen. Er wisse nicht, wie er dieses Urteil gegenüber den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern und den Nachkommen der Opfer des Holocaust erklären könne. Die Würde und das Andenken der von den Nationalsozialisten millionenfach ermordeten und geschundenen Menschen werde verletzt, wenn eine rechtsextremistische Partei unter einem fadenscheinigen thematischen Vorwand und ganz gezielt am Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus eine Demonstration abhalte.

Kritik kam auch von CDU-Ratsmitglied Thomas Albrecht, im Hauptberuf Oberstaatsanwalt: „Noch so eine Entscheidung von Dogmatikern an Obergerichten, die sicher feinsinnig juristisch begründet sein mögen, denen aber jeder Praxis-Bezug fehlt“, kommentierte Albrecht auf Facebook. Der Unionsmann weiter: „Es war doch ganz offensichtlich, dass die Überschrift der NPD-Demonstration nur vorgeschoben war und die Veranstaltung eigentlich nur der Provokation dienen sollte“. Er könne  OB Jensen jedenfalls „nur in jeder Hinsicht beipflichten. Und leider muss ich feststellen, dass mein Vertrauen zu Obergerichten immer weiter schwindet.“

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