Nonsens im Nieselregen
„Jetzt weiß ich, warum ich hier bin“, fiel Helge Schneider plötzlich auf der Bühne ein. „Ich wollte tanken.“ Es war aber gewiss nicht nur die Nähe zum Spritparadies Wasserbillig, weshalb er sein Wohnmobil nach Trier steuerte. Gestern Abend stellte Deutschlands vielseitigster Komiker im ausverkauften Amphitheater bei widrigen Wetterbedingungen sein aktuelles Programm „Buxe voll!“ vor. Dabei blieb kein Auge trocken. Und keine Oberbekleidung.
TRIER. Auch wenn es angesichts 2200 Besucher an diesem „doch noch angenehmen Herbsttag“ (Helge Schneider in einer Regenpause) in diesem „wunderschönen Loch“ (Schneider über das Amphitheater) keiner weiteren Werbung für diese Veranstaltung bedurft hätte, hätten wir gerne im Vorfeld in Form eines Interviews auf den Auftritt des anarchischen Komikers hingewiesen. Allein, das Timing der Anfragen war unglücklich. Ein Exkurs:
Zuerst hieß es Anfang Juli, dass Helge Schneider bis zum Ende des Monats im Urlaub sei. Im Juni musste er aus gesundheitlichen Gründen seine Tour unterbrechen, woraufhin er eine längere Verschnaufpause verordnet bekam. Am 27. Juli schickte ich die zweite schriftliche Anfrage hinaus, auf die sein Manager mit einer Bitte um Rückruf auf dem Mobiltelefon antwortete. Mein Anruf eine Stunde später kam jedoch ungelegen, da mein Kontaktmann sich gerade auf dem Weg zu einer Autowerkstatt befand. Ob ich mich in zehn Minuten nochmal melden könne.
Wie das so ist, wenn man ein bisschen Zeit totschlagen muss, kann man selbige dabei leicht vergessen. Mit 15-minütiger Verspätung rief ich den Tourbüroleiter wieder an. Er bedauerte, das Telefonat abermals verschieben zu müssen, da er nun justament an einer Supermarktkasse stehe. Gleich sei er aber wieder in seinem Büro erreichbar.
Das stimmte auch. Meinem Anliegen, Herrn Schneider fernmündlich ein paar Fragen stellen zu dürfen, räumte der Terminkoordinator wenig Chancen auf Verwirklichung ein. Schneider müsse am nächsten Tag fünf Stunden lang Interviews geben und habe bereits Missfallen darüber geäußert, dass dies eine Stunde länger dauere, als ursprünglich vereinbart. Aber vielleicht ergebe sich ja kurzfristig noch etwas, machte er mir ein bisschen Hoffnung. Ich solle mich nochmal am nächsten Tag um 12 Uhr melden.
Um Punkt 12 klingelte das Telefon des Managers. Es sehe ganz gut aus, aber mehr wisse er erst um 14 Uhr. Zwei Stunden später war offenbar eine andere Situation eingetreten. „Nee, heute klappt es wohl nicht mehr“, teilte er mir mit.
Am vergangenen Montag schlug ich vor, die Fragen per E-Mail zu senden, sodass Herr Schneider sie beantworten könne, wann er wolle. Das Interviewzeitfenster für diese Tour war jedoch endgültig geschlossen. Ich bin niemandem böse deswegen. Schon gar nicht Herrn Schneider, der sich ja auch nicht jederzeit mit jedem unterhalten muss.
„Text vergessen, scheißegal, nananana“
Und zu sagen hat er auch genug auf der Bühne. Er schwadroniert bewusst umständlich mit näselnder Stimme drauf los und ist damit stets komisch. Denn was ihm in den Sinn kommt, ist wunderbarer Nonsens. „Ich wollte mal eine Paddeltour machen, hatte dann aber keine Lust. Schade.“ Wenn es gut läuft, enden seine Sätze, die oft in einer anderen Konstruktion fortgeführt werden, als sie begonnen haben, sogar mit einer Pointe. Und selbst, wenn das Improvisationsgenie sich in seinem eigenen Gedankenirrgarten verlaufen hat, findet er mit sympathisch entlarvenden Füllsätzen („Text vergessen, scheißegal, nananana“) oder zeitgewinnenden Wortspieltricks („Wo war ich stehen geblieben? Ah, dort“; geht zurück zu seinem vorherigen Platz) wieder auf einen Weg in eine überraschend andere Richtung zurück.
Bei seinem Auftritt in Trier singt und spielt Schneider viele bekannte Titel wie „Texas“, „Telefonmann“ oder „Meisenmann“ und bereits gesehene Gattungsparodien auf Jazz, Schlager, Flamenco und Blues, bei denen er formale Eigenheiten der einzelnen Genres subtil überspitzt. Und doch sind die Nummern nie gleich. Beim nächsten Termin in Hanau werden sie wieder einen zumindest etwas anderen Text haben, der sich ebenfalls nicht oder nur schlecht reimt, kein Versmaß hat und in dem einfach nichts passt. Wenn er die Stücke überhaupt ins Programm nehmen wird.
Denn Schneider macht auf der Bühne, wonach ihm gerade der Sinn steht. Das kann er auch, weil er’s kann. „Komm‘, wir machen noch ‚Wurstfachverkäuferin'“, fordert er seine Band spontan auf. Für diese Freiheit, die er sich nimmt, braucht er exzellente Musiker. Rudi Olbrich (Kontrabass) und Sandro Giampietro (Gitarre) sind schon länger dabei, Willy Ketzer hat auf der aktuellen Tour den Platz von Pete York hinterm Schlagzeug eingenommen und am Saxophon wird der Multi-Instrumentalist seit neustem vom Gute-Laune-Bär Tyree Glenn Jr. begleitet, dessen Vater Posaunist von Louis Armstrong und Duke Ellington war. Mit Ellingtons „Mood Indigo“, bei dem Schneider am Vibraphon unter anderem Zuckungen am rechten Arm simuliert und einen Roboter imitiert, fällt der Jazz-Block im Vergleich zum vorherigen Programm sehr kurz aus.
Der 55-Jährige spielt damit, dass die Band, deren Mitglieder er wie gewohnt herablassend behandelt, schikaniert und verspottet, perfekt auf ihn eingestimmt sein muss. „Ich fange an, wann ich will“, kündigt er an und tut das dann auch. Aber musikalisch sitzt alles einwandfrei – im Gegensatz zu seinen toupierten Perücken und farbintensiven Cord- und Polyesteranzügen, die für eine weitere komische Komponente sorgen.
Mit „Buxe voll!“ beweist Helge Schneider wieder einmal, dass er der vielseitigste deutsche Komiker ist. Ein Improvisationskünstler, wie es hierzulande keinen zweiten gibt. Ein Meister der absichtlichen Abschweifung und des gehobenen Slapsticks.
Sein Manager, von dem ich mal ein Foto im Internet gesehen und deshalb im Amphitheater erkannt habe, steht während des Auftritts im Innenraum neben den Stuhlreihen. Als ich mich vorstelle und ihm mitteile, dass ich auch nach der Veranstaltung noch für ein Interview mit Herrn Schneider bereit sei, muss er sehr lachen. Ich werde dranbleiben.