„Nie zurückmobben!“

Wenn der Blick ins Netz zum Horror wird: Internet-Mobbing trifft vor allem Schüler. Foto: Kathrin SchugSie verschanzen sich hinter Pseudonymen und nutzen die Anonymität des Webs, um andere zu beleidigen oder gar zu bedrohen. Die Täter wähnen sich auf der sicheren Seite, und tatsächlich ist es oft schwer bis unmöglich, hinter ihre wahre Identität zu kommen. Auch das macht es für Opfer von „Cyber-Mobbing“ schwer, sich gegen Angriffe zur Wehr zu setzen und mit den Folgen umzugehen. Auf Einladung der Klaus-Jensen-Stiftung und CRI Vivi Hommel Luxemburg diskutierten Experten, Schüler und Pädagogen kürzlich über das noch junge und wissenschaftlich kaum erforschte Phänomen. Bei der Tagung wurde deutlich: Die Folgen von „Cyber-Mobbing“ für die unmittelbar Betroffenen werden häufig unterschätzt, doch auch dem Täter – „Bully“ genannt – ergeht es oft nicht gut. Und wie im realen Leben sind die scheinbar Unbeteiligten gefordert, für das Opfer Partei zu ergreifen.

TRIER. Emma Bergmann sah für sich keinen anderen Ausweg. Zermürbt von den fortdauernden Attacken setzte die Schülerin ihrem Leben ein Ende. Am Ende erschien ihr der Tod als das geringere Übel, ja als Erlösung. Postum trifft sie noch einmal auf ihre Peiniger, konfrontiert die Menschen, die ihr das Leben zur Hölle machten oder nicht da waren, als sie Hilfe benötigte, mit ihrer Leidensgeschichte. Das eigene Begräbnis nutzt Emma Bergmann für eine Abrechnung: „Sie haben mich Arschkriecher genannt, und Streber“, wirft sie ihren ehemaligen Mitschülern vor. „Warum hat sie das nur getan?“, schluchzt die Mutter am Grab ihrer Tochter; „wir haben doch alles für sie getan“, meint der Vater. „Papa, für dich zählten doch nur gute Noten. Gefühle zeigen, so etwas gab es nie bei dir“. Die Schülerin stand allein auf weiter Flur, selbst auf ihre vermeintlichen Freundinnen konnte sie nicht zählen.

Emma Bergmann ist die nur scheinbar fiktive Hauptfigur des Muscials „It gets better? – Ät gitt besser!“ des Trierer mut’s e.V. Vor acht Jahren gegründet, verbindet der Kinder- und Jugendverein unter Federführung der Gesangspädagogin Béatrice Berger musikalische und künstlerische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit sozialpädagogischen Zielen. Im vergangenen Jahr widmete sich mut’s e.V. schwerpunktmäßig dem Thema Mobbing. Authentische Erfahrungen von Schülerinnen und Schülern aus der Stadt und der Region wurden in dem Musical verarbeitet, persönliche Schicksale bilden den Stoff von „It gets better? – Ät gitt besser!“. Wahrscheinlich erklärt dies, neben einem ausgeprägten Talent, die Ausdrucksstärke der Darsteller. Sie wollen wachrütteln, Augen öffnen. Auch bei diesem Auftritt zum Auftakt der Tagung „Cybermobbing – Perspektiven, Prävention und Intervention“ in der Volkshochschule.

„Cyber-Mobbing ist auch eine Form von Gewalt“, sagt Klaus Jensen, Namensgeber jener Stiftung, die für eine „Kultur der Gewaltfreiheit“ eintritt, wie es in den eigenen Zielen heißt. Gemeinsam mit dem „Cercle de réflexion et d’initiative Vivi Hommel asbl“ hat Jensens Stiftung zu dieser Tagung eingeladen. Es geht um ein Phänomen, das immer wieder für Schlagzeilen sorgt und von dem vor allem für Kinder und Jugendliche eine nicht unerhebliche Gefährdung ausgehen kann. Wie groß diese Gefahr ist, das lässt sich noch schwer ermessen und kaum in Zahlen fassen, wie die von Julia A. Jäger moderierte Veranstaltung rasch zeigte. Denn der Stand der wissenschaftlichen Forschung ist noch jung, die Ergebnisse vieler Untersuchungen kaum belastbar oder bisweilen in sich widersprüchlich. Dass „Cyber-Mobbing“ hierzulande schon Leben gekostet hat, ist nach Ansicht von Dr. Stephanie Pieschl eher unwahrscheinlich: „Es gibt noch keine wissenschaftliche Studie, dass Cyber-Mobbing für sich allein genommen jemanden in den Suizid getrieben hat“, erklärt die Wissenschaftlerin vom Institut für Psychologie der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.

Was nicht heißen soll, dass Stephanie Pieschl die Gefahren klein reden möchte. „Jeder kann Opfer von ‚Cyber-Mobbing‘ werden“, betont sie und verweist auf eine Untersuchung der Techniker-Krankenkasse. Demnach haben immerhin ein Fünftel der 1000. befragten Kinder und Jugendlichen erklärt, schon einmal elektronisch versendete Beleidigungen und Drohungen erhalten zu haben. Und immerhin ein Zehntel der befragten Schülerinnen und Schüler räumte ein, schon einmal Cyber-Mobbing betrieben zu haben, also Täter gewesen zu sein. Die meisten Opfer reagieren mit Wut, rund ein Fünftel deren, die schon mal Adressat einer Beleidigung oder Bedrohung wurden, gaben sogar an, „sehr verzweifelt“ gewesen zu sein; und beinahe genauso viele fühlten sich „hilflos“. Zahlreiche Opfer reagierten gar mit psychischen und psychosomatischen Beschwerden.

Wer im realen Leben Opfer ist, ist auch im Netz gefährdet

Wann von „Cyber-Mobbing“ die Rede ist und man zum Täter beziehungsweise Opfer wird, ist in der Wissenschaft umstritten. Stephanie Pieschl nennt als eine Bedingung eine bewusste „Schädigungsabsicht“. Wer absichtlich und wiederholt jemanden diffamiere oder schikaniere, zähle zweifellos zur Gruppe der Täter, konkretisiert sie, „und wer auch im realen Leben ein Täter ist, bei dem ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er Cyber-Mobbing betreibt“. Und umgekehrt: Kinder und Jugendliche, die offline zu Opfer werden, sind auch im Web gefährdeter. Doch während auf dem Schulhof oder im Jugendclub Täter und Opfer meist unmittelbar aufeinander treffen, kann erster im Netz anonym bleiben. Eine Besonderheit, die längst nicht nur Jugendliche und Kinder auszunutzen suchen – auch viele Erwachsene legen unter dem Schutz der Anonymität im Web mehr als nur bedenkliche Verhaltensweisen an den Tag, in dem sie andere beleidigen, verächtlich machen und mit Unterstellungen unterwegs sind.

Doch was ein Erwachsener vielleicht noch wegstecken kann, führt bei Kindern und Jugendlichen bisweilen in eine ernste Krise, aus der sie ohne professionelle Unterstützung kaum mehr herauskommen. „Das Schlimmste war für mich, dass ich vollkommen allein war“, beschreibt Kathrin* ihre Erfahrungen mit Cyber-Mobbing. Jannis* berichtet, wie er einmal einer Mitschülerin, die Opfer von Mobbing geworden war, beisprang. Die Reaktion der anderen sei gewesen, nun ihm Vorwürfe zu machen. „Ziemlich krass“ sei das gewesen, die „haben erst gar nicht gecheckt, was sie der Schülerin angetan haben“. Für François Thill von „Cyberworld Awareness & Security Enhancement Services“ aus Luxemburg steht dennoch außer Frage, dass Jannis grundsätzlich richtig handelte. Denn ein Schlüssel im Kampf gegen „Cyber-Mobbing“ sei die Aufforderung von Zeugen, „für das Opfer Partei zu ergreifen“. Georges Knell von BEE SECURE Luxemburg ergänzt: „Eltern, Freunde und Lehrer müssen aktiv werden“. Knell fordert auch, dass Bewusstsein bei Schülern für Mobbing zu schärfen. Ansonsten werde ein Zeuge schnell zum Mittäter und eventuell sogar zum Täter. So warnt er beispielsweise davor, Fotos in sozialen Netzwerken wie Facebook, die junge Menschen in peinlichen Situation zeigen, zu „liken“ oder gar zu teilen.

Stephanie Pieschl rät Opfern: „Nie zurückmobben!“. Zudem müsse man sich immer die Frage stellen: „Was hilft dem Opfer wirklich?“. So könne es im Einzelfall auch mal ratsam erscheinen, eine Beleidigung zu ignorieren, statt gegen sie vorzugehen. Allerdings warnt die Wissenschaftlerin davor, allzu schnell die „Delete“-Taste zu drücken. Wer Ziel einer Attacke werde, solle die Beweise sichern und sich im Wiederholungsfall beim Anbieter melden. Die reagierten erfahrungsgemäß zwar erst nach einer gewissen Zeit, seien aber für Hinweise häufig dankbar. Und noch eine Empfehlung gibt Pieschl den Opfern mit auf den Weg: Diese sollten sich „immer emotionale Unterstützung organisieren und auch Erwachsenen davon erzählen“.

Umfassende Informationen zum Thema finden sich auch auf folgender Homepage.

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