Nachts, wenn die Dämonen kommen

Es kommt nicht alle Tage vor, dass die Süddeutsche Zeitung eine Trierer Theaterproduktion bespricht. Wenn dann auch noch in hohen Tönen von einer „großartigen Parabel auf eine Welt, die sich in fundamentaler Unordnung befindet“ die Rede ist, kann man fast darauf wetten, das Martina Roth und Johannes Conen etwas damit zu tun haben. Nach der Uraufführung in Luxemburg und einem Gastspiel am Stadttheater Fürth ist ihre aktuelle Produktion „Staub“ nun auch in Trier zu sehen. Die Tuchfabrik zeigt die Parabel über Verdrängung und Erinnerung am kommenden Donnerstag um 20 Uhr.

TRIER. Als Peter Weiss 1965 „Die Ermittlung“ veröffentlichte, galt das Stück als wegweisende künstlerische Auseinandersetzung mit der kollektiven Erinnerungs- und Verantwortungsverweigerung nach dem Holocaust. Auf ähnlichem Terrain, aber von einer ganz anderen Warte aus beschäftigen sich auch die Trierer Künstler Martina Roth und Johannes Conen in ihrer Produktion „Staub“ mit der Erinnerung und vor allem der Verdrängung der Verbrechen der Shoah. Es ist jedoch nicht die Öffentlichkeit, nicht sichtbare Biografie, die sie dabei in den Blick nehmen, sondern die Prozesse im Inneren einer Figur, die vergessen will, aber nicht kann. Schienen, die sich im Nichts verlieren, eine Verladerampe, Staub, der sich unterschiedslos über alles gelegt hat – mehr braucht es für das Auge nicht, um das Vernichtungslager auszumachen, das in „Staub“ ständig als beklemmender Zwischenton mitschwingt, ohne als Tatsache jemals ausgesprochen zu werden.

„Wir haben bewusst darauf verzichtet, plakativ auf diesen Kontext hinzuweisen“, erklärt Schauspielerin Martina Roth. „Was uns daran interessiert, ist der Mechanismus der Verdrängung, der angesichts dieser Schuld einsetzt.“ Bereits in ihrer letzten Produktion „Herzkeime“ haben Roth und der Regisseur Johannes Conen sich mit dem Holocaust beschäftigt. Initialzündung für die Produktion „Staub“ war der Text „Der Regen“ des australischen Autors Daniel Keene über die Erinnerungen einer gealterten Frau an ihre Zeit als KZ-Aufseherin. „Von dieser Wucht war ich wie elektrisiert“, erinnert sich Martina Roth. Aus dieser Auseinandersetzung ist ihr eigener Text „Die Besucherin“ entstanden: Eine verstörte und hilflose Frau nähert sich dem staubigen Chaos. „Alles war sortiert, wie es war“, stammelt sie, als sie sich zwischen den unzähligen Kisten bewegt, in denen sie nur noch „zerbröselnde Worte“ findet. Was sie sucht in diesen Kisten, was sie antreibt und quält, offenbart der zweite Teil, basierend auf Keenes „Der Regen“, der sich nahtlos an Roths Text anschließt.

„Nachts, wenn es dunkel wird und die Dämonen kommen, wird die Frau von diesen Schatten ihrer Vergangenheit heimgesucht“, erklärt Roth. „Dann wird das Fenster zum Spiegel.“ Dass die inneren Zustände für den Zuschauer sichtbar und erlebbar sind, ist Verdienst der besonderen Theaterform des Bewegtbildtheaters, die Martina Roth und Johannes Conen gemeinsam entwickelt haben: Eine Herangehensweise, die virtuelle und reale Spielebenen miteinander verknüpft, in der direktes Schauspiel und Projektionen bereits gefilmter Schauspiel-Sequenzen miteinander in Aktion treten. Dabei ist diese Integration von Live-Schauspiel und Video-Projektion weder Schnickschnack noch Selbstzweck, sondern ein gleichberechtigtes Mittel der Darstellung. Was theoretisch klingen mag, fügt sich zu einer selbstverständlichen Einheit, wenn es auf der Bühne zu sehen ist. Perfektion, Raffinesse und genaues Timing machen vergessen, dass man es hier mit Technik zu tun hat.

Geboren wurde die Idee des Bewegtbildtheaters aus einem künstlerischen Problem. „Wir haben uns gefragt, wie man Gleichzeitigkeit auf der Bühne darstellen kann und über diesen Weg zur Kombination von Schauspiel und Video gefunden“, erzählt Johannes Conen. „Deshalb eignet die Thematik von Staub sich so hervorragend für dieses Medium: Weil es um die Bedeutungslosigkeit von Zeit für die Erinnerung geht.“ Die Rolle der Zeit für die Erinnerung ist auch für Martina Roth von zentraler Bedeutung: „Wenn wir etwas verdrängen wollen, ist es letztendlich egal, wie lange es vergangen ist, es ist in unseren Gedanken immer gegenwärtig präsent“, erklärt sie. „Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es die Zeit gibt, wie wir sie uns vorstellen. Es scheint mir eher ein Trick zu sein, eine Täuschung“, sagt sie, denkt nach und lacht. „Es klingt verrückt, aber so scheint es mir.“

Abgesehen von dem verblüffend reibungslosen Ineinandergreifen von realem und virtuellem Spiel ist es auf allen Ebenen auch die Schauspielkunst von Martina Roth, die „Staub“ zu einem Theatererlebnis werden lässt. Wer sie in früheren Produktionen wie „Antigone.Stimmen“ oder „Neun und Eins“ gesehen hat, kennt ihre ungeheure Wandlungsfähigkeit. Und trotzdem: Wie in „Staub“ hat man sie noch nie gesehen und gehört. Nicht zuletzt deshalb bietet die Produktion einen äußerst sehenswerten Theaterabend. Das Ergebnis dieser ruhigen und beklemmenden Annäherung ist eine ganz inwendige und selten eindrückliche Annäherung an die Mechanismen von Erinnerung und Verdrängung.

Entstanden ist die Produktion in einem Atelier im Trierer Hafen. Auf den Bildern der ersten Proben stehen die Bäume vor dem Fenster gerade in ihrer Frühlingsblüte. Ein Jahr hatten die Proben gedauert, bis im Mai letzten Jahres die Uraufführung in Luxemburg stattfand, kurz darauf gastierte „Staub“ am Stadttheater Fürth. Die Aufführung in der Tuchfabrik ist vorerst die einzige Gelegenheit, die Produktion der Trierer Theatermacher in ihrer Heimatstadt zu sehen.

Karten kosten im Vorverkauf 18 Euro (ermäßigt 12 Euro), an der Abendkasse 19 Euro (ermäßigt 13 Euro).

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