„Moralisch kann man das für eine Schweinerei halten“

Mit der Eröffnung eines „Flatrate-Bordells“ ist die Diskussion über die Legitimität von Prostitution im Allgemeinen und Dumping-Tarifen im Speziellen auch in Trier voll entbrannt. Die Frauenrechtsgruppe „Terre des Femmes“ hatte unter dem Titel „Gewerbegebiet Frau?“ zu einer öffentlichen Diskussion in den Warsberger Hof eingeladen. Der Strafrechtsexperte Professor Hans-Heiner Kühne von der Universität Trier und Sabrina Müller vom ALDONA e.V., einer Beratungsstelle für Prostituierte und Migrantinnen in Saarbrücken, schilderten ihre Sicht der Dinge. Im Rahmen der Debatte wurde auch deutlich: Die Diskussion über „Flatrate-Bordelle“ hat nur vordergründig mit Prostitution zu tun, im Kern geht es um Arbeitsbedingungen und Menschenrechte.

TRIER. Es waren nur ein paar Wochen, die zwischen den ersten Gerüchten über die geplante Ansiedlung eines „Flatrate-Bordells“ in Triers Norden und seiner Eröffnung am nördlichen Rand des Stadtgebiets lagen. Trotzdem reichte diese Zeit, das Thema Prostitution auf die lokale Agenda zu hieven. Eine Diskussion, die streckenweise als Scheindebatte geführt wurde, in der die schrillen Töne dominierten: „Terres des Femmes“ unterstellten Oberbürgermeister Klaus Jensen (SPD), sich zum „Komplizen der namenlosen Frauenverachtung“ zu machen, weil er den Billigpuff nicht verhindert habe; umgekehrt wurden die Frauenrechtlerinnen von einzelnen Gegnern als lustfeindliche Emanzen und Schlimmeres diffamiert.

Mit der öffentlichen Diskussionsveranstaltung „Gewerbegebiet Frau?“ sollte nun nachgeholt werden, was im impulsiven Auftakt der öffentlichen Auseinandersetzung zu kurz kam: Inhalt und Differenzierung. Nicht ohne Grund hatten die Organisatorinnen von „Terre des Femmes“ den 18. Oktober als Termin gewählt – der „Europäische Tag gegen Menschenhandel“ berührt im Kern, was die Frauenrechtsgruppe in ihrem Offenen Brief an Kritik ins Feld geführt hatte: Nicht gegen Prostitution im Allgemeinen formierte sich der Protest, sondern gegen das Geschäftsmodell der Pauschal-Bordelle, das nicht nur katastrophale Arbeitsbedingungen für die Frauen mit sich bringe (weniger Geld pro Freier, kein Verhandlungsspielraum), sondern auch Verbrechen wie Menschenhandel und Zwangsprostitution forciere.

Eine Gegenüberstellung, die von der Saarbrücker Beraterin Sabrina Müller nur bedingt mitgetragen wird: „Wir können das nicht so einfach pauschalisieren und von ‚guten‘ Bordellen und ‚bösen‘ Flatrate-Clubs sprechen“, erklärt sie und erzählt vom Saarbrücker Straßenstrich, auf dem sexuelle Dienstleistungen schon ab 10 Euro zu bekommen seien. In der saarländischen Landeshauptstadt gibt es laut Müller aktuell rund 100 Bordelle und bordellähnliche Betriebe, darunter drei Billigpuffs. Dass die Rotlichtbranche in Saarbrücken derartige Dimensionen angenommen hat, führt Müller auf die Nähe zu Frankreich zurück. Im Nachbarland sind Bordelle offiziell verboten, die Folge ist ein gerade an den Wochenenden florierender Grenzverkehr.

Das Lohndumping ist längst auch in der Prostitution angekommen, und zwar nicht erst mit der Erfindung der Pauschalclubs, die das sexuelle Äquivalent zum All-You-Can-Eat-Buffet darstellen: „Es wäre falsch zu glauben, dass die Welt in konventionellen Bordellen für die Frauen in Ordnung ist“. Auch den Begriff der Zwangsprostitution unterzieht sie einer Differenzierung: „Man hat natürlich zunächst vor Augen, dass eine Frau mit Gewalt in einem Zimmer festgehalten und zum Geschlechtsverkehr gezwungen wird“, weiß Sabrina Müller, um dieses Bild sogleich zurechtzurücken: „Diese Zwänge sind sehr viel subtiler und differenzierter, sie können auch wirtschaftlicher oder persönlicher Natur sein“

Als Beraterin im Saarbrücker Verein ALDONA e.V., der Prostituierte und Migrantinnen berät, war Sabrina Müller eingeladen worden, um die Lebenswirklichkeit von Prostituierten zu schildern. Andere Probleme schilderte sie hier drängender als das Phänomen „Flatrate-Bordell“. „Über 90 Prozent der saarländischen Prostituierten sind Migrantinnen, davon kommt der größte Teil aus Rumänien und Bulgarien“, beziffert Müller. „Oftmals sind diese Frauen und Mädchen Analphabetinnen und nicht oder nur unzureichend aufgeklärt, sprechen zudem die Sprache nicht“, berichtet sie; manche wüssten nicht einmal, was ein Kondom ist – geschweige denn, wie man es anwendet. Die ungewollten Schwangerschaften nach ungeschütztem Sex verschärften die ohnehin prekäre Lage der Frauen. „Weil Schwangere in den Bordellen sehr begehrt sind, arbeiten sie meist bis kurz vor der Entbindung“, hat Müller beobachtet. Nach der Geburt hätten die meisten der Frauen weder Anspruch auf Sozial- und Jugendamtsleistungen noch auf einen Platz in einem Frauenhaus. „Den meisten bleibt nur der Weg zurück in die Heimat“.

Auch Hans-Heiner Kühne greift das Thema Abschiebung auf: „Vor allem für außereuropäische Frauen sind die Zustände in ihren Heimatländern dabei oft schlimmer als ein Leben in der deutschen Zwangsprostitution.“ Die Zielsetzung des Prostitutionsgesetzes, mit einer Legalisierung die Lage der Prostituierten zu verbessern, sieht Kühne auch nach zehn Jahren nicht wirklich erreicht. Auch wenn sich die rechtliche Stellung der Frauen formal verbessert habe – „ihre Lage hat sich nicht verbessert“, sagt er mit Verweis auf die weiterhin verbundene Begleitkriminalität aus Vergewaltigung, Menschenhandel und Raub. In Hinblick auf „Flatrate-Bordelle“ bestätigt er allerdings die Argumentation der Stadtverwaltung: „Die Preisgestaltung ist durch das Prostitutionsgesetz frei gestellt. Moralisch kann man solche Etablissements eine Schweinerei finden, rechtlich gibt es nichts zu beanstanden“, so der Jurist.

Am strafrechtlichen Umgang mit Prostitution kritisierte er vor allem den Umgang mit Betroffenen, die als Zeuginnen aussagen: „Es ist sehr schwer, diese Frauen zu einer Aussage zu bewegen. Oftmals fehlt ihnen aus ihren Herkunftsländern jedes Vertrauen in einen Rechtsstaat“. Hinzu kommt, dass Zeuginnen nach ihrer Aussage meist die Abschiebung droht. „Hier bräuchten wir eine Kooperation von Ausländerbehörden und Polizei, um die Frauen zu schützen und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern“, fordert Kühne.

Einen Einwand erhielt der Jurist von Ratsmitglied Corinna Rüffer (B 90/ Grüne), die neben Katrin Werner und Linde Andersen (Die Linke) eine der wenigen Stadtratsmitglieder vor Ort war: „Aus meiner Erfahrung wäre eine solche Kooperation nur bedingt sinnvoll. Wir erleben in unserer täglichen Arbeit, dass gerade die Ausländerbehörden sehr restriktiv vorgehen“. Spontanen Applaus bekam sie für ihre Forderung: „Es wäre das Mindeste, diesen Frauen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Das Leid, das ihnen durch deutsche Staatsangehörige angetan wurde, ist ohnehin nicht mehr gut zu machen .“

Print Friendly, PDF & Email

von

Schreiben Sie einen Leserbrief

Angabe Ihres tatsächlichen Namens erforderlich, sonst wird der Beitrag nicht veröffentlicht!

Bitte beachten Sie unsere Kommentarrichtlinien!

Noch Zeichen.

Bitte erst die Rechenaufgabe lösen! * Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.